about kritik und wahrheit

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2. “Schwarz allein reicht nicht” -- Marginalien zu einer konservativen bzw. restitutiven Rezeption

Ein oben skizziertes Schreiben im Dienste einer Ideologie, das von einer konservativen bzw. restitutiven “alten Kritik” gedeckt wird, welche gleichermaßen im Dienst derselben Ideologie steht, und ihre Gegnerschaft pathologisiert, während sie qua Originalität und Wahrscheinlichkeit eine hierarchisierende und didaktische Sprache für eine geschmacklich homogene Leser*innenschaft zu entwerfen versucht, muss nicht, wie es Müller-Schöll für eine polizeylichen Dramaturgie am Beispiel von Goebbels Reichspropagandaministerium ausführt, von einem straff organisierten Apparat mit lückenloser Weisungskette ausgehen. Vielmehr ist die “alte Kritik”, wie Barthes sie schildert, Ausfluss einer grundsätzlichen Geisteshaltung zum Vorgang des Rezipient*in-Seins. Als solche kann sie sich demzufolge in kleinen Gesten, in einzelnen Argumentationslinien oder auch nur in unwillkürlichen Reaktionen auf Produkte der Kunst bahnbrechen. Eine umstrittene und, was den Ton und die Argumentationsweise anlangt, hervorstechende Reaktion auf die Inszenierung Reckes war der SZ-Artikel von Eva-Elisabeth Fischer. In einem ersten Zugriff auf diesen soll im Folgenden das Theorem von Barthes über die “alte Kritik” angewandt werden und somit Skizzen einer Semiotik einer restitutiven Rezeption (die sich also für die Wiedererrichtung alter Wertesysteme und techné stark macht) angefertigt werden.

a) Kopien

Bereits in der Überschrift zu dem Beitrag wird klargestellt, dass die Inszenierung von der Rezensentin als unzulänglich bewertet wird (“reicht nicht”). Dies ist ein anders aufzufassendes Verdikt, als etwa zu behaupten, die Inszenierung wäre an einem bestimmten Anspruch gescheitert oder sie habe sich für eine nicht überzeugenden Zugang entschieden. Letztere Alternativen würden auf die Vielschichtigkeit künstlerischer Prozesse abstellen und dabei dem kritisierten Gegenstand in Anerkennung des Beitrags, den er versucht zu leisten, ein partielles Scheitern vorhalten und dabei auch der Vielgestaltigkeit der Rezeptionsergeignisse im Ansatz gerecht werden. Stattdessen wird Reckes Inszenierung von Fischer mit dem Essentialismus des Scheiterns in Verbindung gebracht. Wenn etwas “nicht reicht”, dann wurde das volle Potential ausgeschöpft, aber dennoch eine (vermeintlich objektiv feststehende) Leistungshöhe nicht erreicht. Dies ist Interessant, wenn man sich vor Augen hält, dass Barthes hinsichtlich der “alten Kritik” ein nahezu fanatisches Insistieren auf der Originalität und dem originellen Schöpfer-Genius analysiert. Bereits in der Überschrift zu der Theaterkritik reiht sich Fischer in dieses Narrativ des überwältigend Neuen ein, indem lapidar festgestellt wird, dass die Inszenierung bezüglich ihrer Gestaltungshöhe einfach “nicht reicht”. Wer den Artikel weiter liest, gewinnt mE nach den Eindruck, dass dieses Faktum die Inszenierung gleichsam wie einen Geburtsfehler durchzieht, anhand dessen das Kunstwerk sich seines Anspruchs auf eine genaue Lektüre und deutungsoffene Interpretation automatisch begibt. Es vermag im Hinblick auf die oben entwickelten Barthschen Analysen nicht zu verwundern, dass dieses gleichsam in der DNA der Inszenierung zu verortende “Problem” nach der Darstellung von Fischer mit dem Charakter der Inszenierung als Kopie in engem Zusammenhang steht. Originalität steht nach der Lesart der “alten Kritik” für eine Aura der Authentizität und für die Möglichkeit, das Werk durch eine biographistische Lesart erschöpfend zu decodieren. Eine Kopie entledigt sich diesem Anspruch auf Authentizität, Aura und Zugänglichkeit zunächst auf eine aggressive Art und Weise. Sie ist begriffsnotwendig kein Original und hat infolgedessen auch nicht den hierarchisierenden Gestus eines Genie-Streiches, in dem sich womöglich eine höher göttliche Ordnung ausdrückt, vor der die profane Leser*innenschaft nur ehrfürchtig erschaudern kann.

Und noch ein Skandalon birgt die Inszenierung unter dem Hinblick auf die Dogmen der alten Kritik: Recke ist keine etablierte Jung-Regisseurin, die aus einer Talentschmiede hervorgegangen ist und nun mit ihrer eigenen künstlerischen Handschrift zu einer Marke aufsteigt. Als langjährige Regieassistentin unter Lilienthal hat sie nicht an dem Profil einer exzentrischen Figur gearbeitet, deren Biographie als Lesehilfe für die Kunstwerke herangezogen werden kann. Doch genau hier ergibt sich andererseits ein Moment partieller Nähe zu den typischen Erwartungen an ein Authentisches Original: Die Inszenierung hat sich erklärtermaßen zum Ziel gesetzt, die (Unter-)Repräsentation schwarzer Körper auf deutschsprachigen Bühnen zu verhandeln. Diesbezüglich hat Recke demzufolge als Beobachterin der Szene durchaus eine gewisse Expertise, ihr Statement wirkt nicht angemaßt oder auf eine andere Weise unauthentisch.  Möglicherweise ist es allerdings gerade diese partielle Nähe zu überkommenen Konzepten der Repräsentation, die die Vehemenz der abstoßenden Reaktionen seitens der Rezipient*innen des restaurativen Lagers erst in der Form begründet.

b) Ausschluss aus der Riege der Professionellen

Wenn die Inszenierung Reckes das Prädikat Laien-Theater aufgeprägt bekommt, so wäre es freilich verfehlt dies als eine Rhetorik der archaischen Mordlust zu beschreiben. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass der Streit zwischen Picard und Barthes in dem Bewusstsein geführt wurde, jeweils ein etabliertes Gegenüber zu haben, das bereits ein hohes Ansehen genießt. Die teils diffamierende Sprache kann in diesem Interaktionsrahmen als etwas hyperbolische Aufforderung gelesen werden, dieses hohe Ansehen einer erneuten Prüfung zu unterwerfen. Hier hingegen geht es um eine Akteurin, die ihr Debüt an einem großen Haus gefeiert hat, ein evidentermaßen neuralgischer Punkt in jeder Karriere. Auch schwebt das zweifellos hochsensible Thema Rassismus im Hintergrund, was eine pejorative Rhetorik noch zusätzlich unpassend erscheinen ließe. In Anbetracht dieser Einschränkungen nimmt es sich dann doch als recht weitreichenden Eingriff aus, wenn der Inszenierung gleichsam pauschal ihre Eignung abgesprochen wird, in professionellen Kontexten zu bestehen (ganz abgesehen davon, dass es mithin elitär klingt, freie, ensemblefremde Schauspieler*innen als Amateure, also Liebhaber, zu beschreiben und dies nicht zuletzt wegen der in exotisierenden Dartellungen häufig anzutreffenden Verniedlichungs-Narrative einer genaueren Darlegung bedurft hätte). Es ist dies, technisch gesehen, die Verweisung an einen anderen Ort. An eine kleinere Bühne. An ein anderes Publikum. Diese Haltung eines Hausherren (Hausherr*in) über den Diskurs könnte man versuchsweise zumindest als autoritativen Gestus beschreiben, bei dem sich möglicherweise die Verunsicherung darüber bahn bricht, dass entgegen der als unverrückbar gewähnten Verkehrssitte in der Theaterlandschaft schwarze Personen in einer Vielzahl und nicht nur in untergeordneter Rolle die Stimme erheben und im Bühnengeschehen physische Präsenz beanspruchen. Insoweit wird es vertretbar sein, die Rhetorik als Versuch zu begreifen, die Akteur*innen und Akteure zumindest ihrer Funktion als gleichberechtigte Künstler*innen auf Festanstellungs-Niveau vernichten zu wollen. Ob sich hierbei eine archaische Komponente verwirklicht und inwiefern Lust eine Rolle spielt, soll im Rahmen dieser Arbeit dahingestellt bleiben.

c) Wahrscheinlichkeit schwarzer Repräsentation

Die Wahrscheinlichkeit (vraisemblance) als Kategorie der doctrine classique bezieht sich zunächst auf die Art und Weise, wie sich die szenische Handlung und die Figurenpsychologie entwickeln. Von derlei Fragen ist in der Kritik zu Reckes Inszenierung zunächst nichts zu lesen. Allerdings kann ebendieser Umstand einen kritischen Zugang zur Rezension Fischers eröffnen: Die Weigerung, die Handlung der Inszenierung gesondert zu interpretieren und sich nicht lediglich auf den Aspekt der schwarzen Darsteller*innen zu verengen, ist als solches möglicherweise als Verstärkung des Narrativs zu deuten, dass schwarze Körper, wie es Recke selbst formuliert, bislang nichts repräsentieren können. Indem der Artikel den Handlungsgang der Bierbichler-Vorlage, wie er in Reckes Inszenierung zum Tragen kommt, überhaupt nicht weiter thematisiert, verharrt die Rezeption bei dem von ihr als herausragend empfundenen Aspekt der Inszenierung, nämlich der Besetzungsfrage und verweigert sich dadurch der Möglichkeit einer vielschichtigen Rezeption, welche im Sinne Barthes wie ein Rhizom an ihren Enden ausfranst. 

Hinsichtlich des anderen Aspekts der Wahrscheinlichkeits-Kritik bewegt sich Fischer allerdings eindeutig auf der Linie der von Picard vorgezeigten Wahrscheinlichkeits-Kritik: Ein Insistieren auf der Markiertheit schwarzer Körper im Bühnenkontext und die gleichzeitige Weigerung, diese als bedeutungstragend anzusehen, entspricht möglicherweise der tatsächlichen, jedenfalls der prognostizierten Gesinnungslage der weißen Mehrheitsgesellschaft: Etwas, das diese als unwahrscheinlich empfinden würde (nämlich theatral handlungsfähige schwarze Körper) muss die “alte Kritik” als unwahrscheinlich und daher nicht sinnvollerweise dramatisch darstellbar brandmarken, und sei es auch nur mit der marginalisierend wirkenden Nichterwähnung der Handlungsfähigkeit.

d) Eindimensionale Lektüre nicht-sprachlicher Zeichen

Ein Aspekt, bezüglich dessen der progressive Ansatz Reckes hingegen nicht auf erkennbare Gegenwehr der Rezensentin Fischer stößt, ist die durch die Inszenierung vorbereitete Revolte gegen das Primat des literarischen Textes auf der Bühne. Indem eine bereits sich im Spielplan der Kammerspiele befindliche Inszenierung als Kopie aufgeführt wird, liegt der erklärte Fokus zunächst nicht auf der Textfassung. Vielmehr rücken die spezifisch theatralen Zeichensysteme in den Vordergrund: Die Existenz der Körper im Raum, Licht, Bühne, die von Barthes beschworene Rauheit der Stimme, etc. Infolgedessen wird in der Rezension auch nicht in erster Linie darauf abgestellt, ob die Inszenierung der literarischen Vorlage gerecht geworden ist, oder nicht. Allerdings könnte dem entgegen gehalten werden, dass die Körper nicht ansatzweise in ihrer immanenten Komplexität erfasst worden sind. Vielmehr wurden sie in der vorliegenden Rezension nur in ihrer Funktion als von der Norm abweichend exponiert. Insofern ist hier gleichsam ein Musterbeispiel des evokationslosen Lesens vorgelegt worden: Die schwarzen Körper können nicht in ihrem Verweischarakter auf repräsentationsspezifische Leerstellen, tatsächliche Gewalterfahrungen, oder als Umkehrung der Blickordnung begriffen werden, sondern müssen in dem Moment ihres In-Erscheinung-Tretens einem Maßstab erhöhter Leistungsanforderungen genügen. Ein Phänomen, dass nicht nur in der schnelllebigen Theaterwelt, sondern auch für die Philosophie beschrieben ist. Demzufolge ist Fischer auch hier den Grundzügen der “alten Kritik” treu geblieben.


e) Die Regeln der Gattung offenlegen

Zuletzt wäre zu untersuchen, ob die Rezeption der Inszenierung sich auf spezifische Weise dagegen wehrt, dass durch jene das Verbot nicht über die Gesetze der Gattung zu sprechen, durchbrochen wird. Wie oben dargelegt, wirft die Besetzung der Rollen ein spezifisches Licht auf die Beschäftigungssituation von Schauspieler*innen und insbesondere auf die Repräsentation von p.o.c. an Stadttheatern und an Schauspielschulen. Allein hierdurch werden also Regeln der Gattung reflektiert, die ansonsten größtenteils unausgesprochen fortwirken. Und auch in dem Umstand eine Regieassistentin ein derart ambitioniertes Projekt umsetzen zu lassen, wird eine Reflektion über Karriereleitern an Kulturinstitutionen angestoßen, welche mangels feststehender zuverlässiger Eignungskriterien allzu oft von der Willkür einer mächtigen Kaste abhängig sind und damit der Anknüpfung an verpönten Kriterien wie Rasse oder sexueller Ausrichtung nur bedingt etwas entgegenzusetzen haben. 

Hier ist zunächst festzustellen, dass der Vorwurf mangelnder Professionalität, wenngleich an den Cast gerichtet, natürlich gleichermaßen auf die diesen verantwortende Regie zielt. Zudem ist mit der Anlage der Inszenierung mit ihrer immanenten Problematisierung der Frage, ob schwarze Körper überhaupt in der Lage sind, etwas zu repräsentieren, eine Konstellation vorgelegt, die den von Müller-Schöll beschriebenen Kippfiguren ähnelt. Bei diesen lenkt sich der Blick automatisch auf das Blicken selbst. Entsprechend wird die Zuschauer*in / der Zuschauer der Inszenierung sich beim Betrachten der Körper fragen: Wie ist überhaupt meine generelle Anlage beim Betrachten schwarzer Körper? Insofern die Beantwortung dieser Frage sich je nach dem unterscheidet, ob die betreffende Person im echten Leben als migrantisch oder als Teil der Mehrheitsgesellschaft gelesen wird, ist dies ganz im Sinne einer Barthschen Rezeptionsästhetik, die sich in die Breite verflechtet und die Entstehungsbedingungen des Diskurses mit reflektiert, anstatt diesen nur zu ordnen. Indem Fischer dies alles jedoch nicht als Anlage der Inszenierung anerkennt, sondern sich nur auf ihre Ordnungsfunktion beruft, indem sie die Inszenierung als deplaziert bezeichnet, wird dieser Offenlegung der Gattungsregeln, welche Recke vornimmt, versucht eine schallende Ohrfeige rhetorischer Art zu erteilen. 

Verstärkt wird dieser Befund dadurch, dass, wie aus einer Rezension des Spiegel hervorgeht, die Inszenierung sich mit dem Genre der appropriation Art, welches in der Bildenden Kunst verbreitet und anerkannt ist, auseinandersetzt. Somit werden auf sehr pointierte Art und Weise evident “Regeln der Gattung” Theater-Inszenierung offengelegt und zur Debatte gestellt, ganz ohne dass dies von der Rezeption aufgegriffen worden wäre. 

Folglich ist auch in dieser Kategorie strikt nach den Mustern der “alten Kritik” verfahren worden. Sobald das Dispositiv vermittels der Kunst in den Blick gerät, und versuchsweise eine politische Dramaturgie entworfen wird, muss die restaurative “alte Kritik” mit Leugnung und Diffamierung antworten. 

 

Ausblick

3. Kritik als Simulacrum und Subjektivität als Strategie

Wie gezeigt wurde, trägt die Kritik hinsichtlich Reckes Aufführung mitunter Züge der von Barthes skizzierten “alten Kritik”. Unter 1. wurde ausgeführt, dass diese Sprache der Prädikation hierarchisierende Effekte hat und zu einer “Schließung” der Lektüre beiträgt. Sie dient einem eng umgrenzten Kreis an “Experten” dazu deren Anspruch auf Deutungshoheit immer wieder neu zu zementieren und unter dem Anschein einer vermeintlichen Objektivität andere Lesarten auszuschließen und als unsachlich zu diskreditieren. Die Rezensionen des Stücks, so könnte man verdeutlichend hinzufügen,  haben an dem falschen Punkt angesetzt und es ist ihnen infolgedessen nicht gelungen (falls das überhaupt der Anspruch war), dem künstlerischen Werk auf Augenhöhe zu begegnen. 

Nebenbei sei erwähnt, dass ein ebensolcher Gestus der systematischen Infragestellung der Gestaltungshöhe, wie er aus dem Prädikat des “Laientheaters” hervorgeht, den afrodeutschen Künstler*innen regelmäßig widerfährt, wenn deren Arbeiten als “community-Produkt” bezeichnet werden, um jenen somit sachgrundlos die Berechtigung auf größeren Bühnen gezeigt zu werden, absprechen zu können. Ganz im Sinne der Barthesschen Analyse wird hier eine Argumentation entwickelt, die Ästhetik und Moral auf eine Weise miteinander verknüpft, die es erlaubt, Sprache als Transportmittel für Ansprüche auf Macht gewaltvoll einzusetzen. Was sich als Beitrag zu einem offenen Austausch der Meinungen tarnt, offenbart sich bei näherer Betrachtung der sprachlichen Verfasstheit als Produkt eines Barthesschen “Schreibers”, der, anders als der allein der Sprache verpflichtete Schriftsteller, im Dienste einer Weltanschauung oder Ideologie steht. Was als feuilletonistischer Beitrag auftritt, gibt sich, bei näherer Durchleuchtung des Argumentationsgangs als Eingriff einer polizeylichen Dramaturgie zu erkennen. Was als Gebrauchstext zum Zwecke der Entscheidung darüber, welche Arbeit Gegenstand des nächsten Theaterbesuchs sein soll, daherkommt, ist in einer Weise verfasst, in der Sprache mittelbar diskriminierend wirken kann. Es stellt sich somit spätestens hier die Frage nach möglichen Gegenstrategien.

      Sprache als Problem sehen

Als mögliche Gegenstrategie deutet Roland Barthes zunächst an, die Sprache als ein Problem zu sehen. Es soll keine unschuldige Sprache mehr geben. Die Forderung wird gestützt durch Barthes Ausführungen zum Jargon. Die “Klarheit” in der Sprache, wie sie von der “alten Kritik” immer wieder gefordert wird, ist selbst ein Jargon, welches nur verständlich wird, wenn man (wie unter 1 ausgeführt) einer Reihe von Implikationen folgt, welche, verschleiert durch den Gestus der Objektivität “wie Schmuggelware im Gepäck des Szientismus” eingeführt werden, ohne dass hierauf explizit hingewiesen worden wäre.

Konkreter könnte das heißen, dass man als Schreiber von Kulturkritiken oder wissenschaftlichen Arbeiten über Theater die Implikationen der eigenen Begrifflichkeiten stets überprüfen sollte. Und dies nicht nur vor sich selbst und in Abgeschiedenheit. Sondern vielmehr soll dieser interne Dialog des Schriftstellers in die Textproduktion selbst mit einfließen. Er soll Teil der Reflexionen werden, die versuchen, das Theater, die Literatur etc. auf den Begriff zu bringen oder um es mit Barthes Verständnis zu beschreiben die Symbolsprache zu öffnen und zu verdoppeln.

Dies scheint insbesondere bei dem hier vorliegenden Gegenstand durchaus angebracht. Denn die sog. Schwarzkopie dürfte den verschiedenen Rezipient*innen aus unterschiedlichen sozialen oder ethnischen Kontexten in gesteigertem Maße eine unterschiedliche Rezeption anstoßen, je nachdem wie viele rassistische Erfahrungen diese bereits gemacht haben, und je nachdem, ob diese als Teil der Norm gelesen werden, oder ob sie, wie beispielsweise p.o.c. einen markierten Körper haben. Eine Sprache der Subjektivität, die auf dieses Dilemma der Rezeptionsästhetik offensiv zugeht, würde im Endeffekt auch weiße Menschen in die Position versetzen, textimmanent ihre Privilegien mit reflektieren zu können und hierdurch klar zu machen, von welchem Standpunkt aus sie schreiben. Es wäre dies die Ausfüllung des Barthesschen Postulats, das in ausreichender Kürze lautet: Die Sprache soll von der Sprache sprechen. 

Probleme bei der Selbstvornahme der Deutung

Eine andere denkbare Strategie auf eine hierarchisierende Sprache der Prädikation zu reagieren, könnte es sein, deren faschistischen Gestus der Einordnung vorwegzunehmen, indem der Urheber, die Urheber*in des Kunstwerkes selbst eine Beschreibung der eigenen Intention ablegt. Dies wäre auch insofern eine treffende Antizipation des Einordnungs-Gestus, als, wie oben gezeigt, die “alte Kritik” gerade dazu neigt den Sinn hinter den Werken der Kunst biographistisch zu arretieren. Tatsächlich findet sich eine solche Selbstvornahme der Deutung durch Recke auf der Website der Münchner Kammerspiele. Problematisch an dieser Strategie ist, wie man nach eingehender Lektüre mE feststellt: auch sie schließt die Lektüre, indem sie eine Lesart vorgibt. Insofern sie das nicht tut und nur eine mögliche Lesart anbietet, oder gar dem Barthesschen Postulat nach Verdoppelung nachkommt, sieht sich das Sprechen unmöglich in der Lage den autoritären Gestus der “alten Kritik” antizipierend auszuhebeln.

Und noch ein weiteres problematisches Moment ist der hier vorliegenden Aussage inhärent: Recke stellt darauf ab, dass die Inszenierung des Stückes mit schwarzen Körpern “neue Bedeutungsebenen” eröffne. Davon abgesehen, dass diese Aussage äußerst vage ist, enthält sie noch eine andere Implikation, die der Befreiung des Kunstwerks nach Barthesscher Konzeption entgegenwirkt: Sie affirmiert gerade die Erwartung an Kunstschaffende, stets eine “neue Bedeutung” zu liefern. Dies impliziert zum einen, dass zwischen Sender und Empfänger ein zuverlässiger Kommunikationskanal besteht, der, wie oben ausgeführt nach Griceschen Maximen nur unter Ausschluss der radikalen Subjektivitätskonzeption in der Kommunikation gestaltet sein kann. Eine solche Auffassung von den Zeichen degradiert die Sprache zur reinen Transaktion und nimmt der Bühne die Möglichkeit den Ort für das “Beben der Bedeutungen” bereitzustellen. Auch affirmiert es einen Originalitätsbegriff, der, wie oben gezeigt, das eigene Licht unter den Scheffel stellt, eine genialisch-autorschaftliche Neuerschaffung der Welt vorzunehmen. 

Zuletzt, und dies erscheint mir das wichtigste, scheint die Aussage sich dafür zu entschuldigen, dass sie in einem ersten Schritt sich mit zustimmungswürdiger großer Radikalität allein darauf beschränkt hat, den Blick des Theaterpublikums auf das Gestell zu lenken. Indem es implizit als (künstlerisch, semiotisch) nicht ausreichend deklariert wird, dass Schwarze Körper die Bühne eines mehrheitlich weißen Theaters bespielen, wird gerade der Anspruch aufgegeben, durch einen Eingriff politischer Dramaturgie das Primat des Inhalts im Sinne Foucaults zu unterminieren. Vorgeführt wird im Rahmen dieser schriftlichen Stellungnahme zum Werk (oder diese führt sich, das ist wahrscheinlicher, unwillkürlich selbst vor) eine (im Barthesschen Sinne durchaus zustimmungswürdige) Subjektivität, die allerdings nicht konsequent genug den Dienst am Dispositiv verweigert.
















Literaturverzeichnis


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zitiert als: Alt


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