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CDU

Lob der Mit­te

Von Joa­chim Käpp­ner

Es war ein­mal, in der Ära Kohl, da pre­dig­te die Uni­on „Frei­heit statt So­zia­lis­mus“. Eben dies ist, wie ein Echo aus wei­ter Fer­ne, das Mot­to der „Wer­te-Uni­on“, ei­ner Grup­pe, die sich als kon­ser­va­ti­ves Kor­rek­tiv ver­steht zum „Links­kurs der Kanz­le­rin“. Der Nost­al­gi­ker-Trupp – sein pro­mi­nen­tes­ter Mann ist ein frü­he­rer, zu rech­ten Ver­schwö­rungs­my­then nei­gen­der Ver­fas­sungs­schutz-Chef – spielt zwar kei­ne gro­ße Rol­le, wenn die CDU nun über ih­ren Vor­sit­zen­den und da­mit ein gu­tes Stück weit über ih­ren Kurs ent­schei­det. Aber den­noch fra­gen sich vie­le Christ­de­mo­kra­ten, wo es denn heu­te noch in ih­rer Par­tei zu fin­den sei, das Kon­ser­va­ti­ve. 

Un­ter An­ge­la Mer­kel ist die Uni­on seit der Ab­wahl von Rot-Grün 2005 in der Tat weit in die Mit­te ge­rückt, um, so die Kanz­le­rin, „Brü­cken in die Ge­sell­schaft“ zu bau­en. Über ei­ne „So­zi­al­de­mo­kra­ti­sie­rung der CDU“ kla­gen da­ge­gen Par­tein­ost­al­gi­ker: Wehr­pflicht, Atom­kraft, Fa­mi­li­en­bild sei­en ge­op­fert wor­den auf den Al­tä­ren des lin­ken Zeit­geis­tes. Für vie­le, die so den­ken oder zu­min­dest füh­len, ist Fried­rich Merz der Mann der Stun­de, und er weiß sich, ob er ge­gen ein Tem­po­li­mit wet­tert oder an­de­re Zu­mu­tun­gen der Ge­gen­wart, auch ge­konnt als sol­cher zu in­sze­nie­ren. 

Aber Ge­füh­le sind noch kei­ne In­hal­te. Das kon­ser­va­ti­ve Pro­fil wird in der CDU oft be­schwo­ren, doch bleibt es selt­sam kon­tur­los. Mehr als ei­ne va­ge Sehn­sucht nach der ver­meint­lich hei­len Welt von ges­tern ist nicht zu er­ken­nen. Auch die SPD sucht ja ge­ra­de ih­re See­le, wel­che ih­re neu­en Füh­rungs­zir­kel ir­gend­wo weit links ver­mu­ten, und ist vor lau­ter Selbst­fin­dung in ein Jam­mer­tal ge­stürzt. Für die CDU kann das kein Vor­bild sein. Wo­zu soll­te sie über­haupt wie­der kon­ser­va­ti­ver wer­den?

Ih­re prä­gen­den The­men von einst – West­in­te­gra­ti­on, An­ti­kom­mu­nis­mus, Wie­der­ver­ei­ni­gung – sind Ge­schich­te, und doch ist die Uni­on die letz­te Volks­par­tei ge­blie­ben, die stärks­te po­li­ti­sche Kraft im Land. Der Mer­kel-Kurs der Mit­te war bis 2015, als Hun­dert­tau­sen­de Flücht­lin­ge ka­men, ei­ne enor­me Er­folgs­sto­ry, die nun, wäh­rend des Kampfs ge­gen die Pan­de­mie, so­gar wie­der auf­lebt.

Heu­te er­reicht die CDU in rei­chem Ma­ße Wäh­ler, die als Ju­gend­li­che „Stoppt Strauß“-Sti­cker am Par­ka tru­gen. Ja, 2015 ent­stand in der AfD je­ne Kon­kur­renz, die die Par­tei stets hat­te ver­mei­den wol­len. Aber für die Uni­on ist es weit mehr Se­gen als Fluch, dass sie die neue Rech­te und de­ren „igno­ran­te Ra­di­ka­li­tät“, wie es der frü­he­re CDU-Hard­li­ner Ro­land Koch nennt, nicht mehr bin­den kann. In die­ser Ge­sell­schaft ha­ben die Christ­de­mo­kra­ten nichts zu ge­win­nen, die Spreu hat sich vom Wei­zen ge­trennt, un­wi­der­ruf­lich. Wie in Frank­reich 2017 und so­gar den USA 2020 gilt in Deutsch­land: Wah­len wer­den heu­te in der Mit­te ge­won­nen, auch und ge­ra­de dann, wenn die Po­la­ri­sie­rung zu­nimmt. 

Nicht um­sonst um­wirbt Bay­erns Mi­nis­ter­prä­si­dent Mar­kus Sö­der, der sich ge­schickt als Kon­ser­va­ti­ver neu­en Schlags gibt und auch des­halb als Kanz­ler­kan­di­dat ge­han­delt wird, die Grü­nen wie ein nim­mer­mü­der Min­ne­sän­ger. Wo die Grü­nen Uni­ons­wäh­ler einst als Spie­ßer ver­ach­te­ten und die­se die „Ökos“ als un­ge­wa­sche­ne Bür­ger­schrecks, kon­kur­rie­ren bei­de Par­tei­en heu­te um ei­ne er­heb­li­che Schnitt­men­ge der Wäh­ler. Ei­ne schwarz-grü­ne Ko­ali­ti­on ist die rea­lis­tischs­te Op­ti­on nach der Bun­des­tags­wahl im Herbst; er­mög­licht durch die Ak­zep­tanz ge­sell­schaft­li­cher Rea­li­tä­ten hier wie dort. 

Das un­ter­schei­det die Uni­on von kon­ser­va­ti­ven Par­tei­en an­de­rer Staa­ten: In ei­nem Land, das einst Ver­nich­tungs­krieg und Ho­lo­caust ver­schul­de­te, bie­tet die Na­tio­nal­ge­schich­te ihr kei­ne Blau­pau­se po­li­ti­scher Iden­ti­tät. Die Uni­on als Neu­grün­dung 1945 er­setz­te den ag­gres­si­ven Ul­tra-Na­tio­na­lis­mus der deut­schen Alt­kon­ser­va­ti­ven durch ein christ­li­ches Men­schen­bild, auch wenn sie ihm nicht im­mer ge­recht wur­de; und sie trug fort­an ein Dop­pel­ge­sicht, rück­stän­dig-alt­mo­disch und fort­schritt­lich zu­gleich, sie in­te­grier­te al­te Na­zis wie Glob­ke und Ober­län­der mit skan­da­lö­sem Gleich­mut und lös­te sich doch von den brau­nen Dä­mo­nen der NS-Dik­ta­tur.

Wäh­rend ih­re Stahl­helm­frak­ti­on von den ver­lo­re­nen Ost­ge­bie­ten träum­te, or­ga­ni­sier­ten CDU und CSU die Bin­dung an den Wes­ten, die Ei­ni­gung Eu­ro­pas und die so­zia­le Markt­wirt­schaft. Kohl ver­sprach den Gest­ri­gen in der Par­tei ei­ne erz­re­ak­tio­nä­re „geis­tig-mo­ra­li­sche Wen­de“ – und über­zeug­te dann die Al­li­ier­ten, dass ein wie­der­ver­ein­tes Deutsch­land ein neu­es, fried­li­ches Land sei. 

Heu­te kann das Kon­ser­va­ti­ve durch­aus die Zu­kunft der Uni­on be­stim­men – wenn sie es neu de­fi­niert. Gu­te kon­ser­va­ti­ve Po­li­tik will nicht zer­stö­ren, sie möch­te von je­her be­wah­ren, was sie für be­wah­rens­wert hält. Das Be­wah­ren­de wie­der­um wur­de lan­ge nicht mehr so ge­braucht wie in ei­ner Zeit, in der ein US-Prä­si­dent den Mob ins Ka­pi­tol hetzt und die De­mo­kra­ti­en ent­de­cken muss­ten: Nichts von dem ist noch selbst­ver­ständ­lich, was sie für selbst­ver­ständ­lich hiel­ten, nicht ein­mal die Frei­heit selbst.

De­ren Er­run­gen­schaf­ten, die In­sti­tu­tio­nen der frei­en Welt, sind für mo­der­ne Kon­ser­va­ti­ve al­le­mal be­deu­ten­der als für vie­le Lin­ke, die lie­ber das Tren­nen­de be­to­nen, den Prag­ma­tis­mus ver­ach­ten und mit­un­ter den frei­heit­li­chen Staat selbst, wenn er ih­ren An­sprü­chen nicht in je­dem De­tail ge­nügt. Zu be­wah­ren ist drin­gend die Men­schen­wür­de, vor den Ab­grün­den der Di­gi­ta­li­sie­rung eben­so wie vor ei­ner kal­ten, glo­ba­len Markt­macht. 

Min­des­tens eben­so nö­tig ist das Be­wah­ren­de zur Ab­wen­dung der Kli­ma­ka­ta­stro­phe, der größ­ten Zu­kunfts­fra­ge un­se­rer Epo­che (lan­ge hieß kon­ser­va­tiv für die Uni­on in der Öko­lo­gie, sonn­tags für den Er­halt der Schöp­fung zu be­ten und am Mon­tag wie­der auf gren­zen­lo­ses Wachs­tum zu set­zen). Die Ret­tung der na­tür­li­chen Le­bens­grund­la­gen wä­re ge­wiss im Sin­ne kon­struk­ti­ver kon­ser­va­ti­ver Den­ker wie Ed­mund Bur­ke, der ge­sagt ha­ben soll: „Für den Tri­umph des Bö­sen reicht es, wenn die Gu­ten nichts tun.“

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