Life Art / Aktivismus / Manie / Melancholie (mit freudlicher Beratung durch Boris Nikitin)

Liebe SlämSchläm-Redaktion, 

ich fand es ja immer bekloppt, was Marina Abramovic mit ihrem Körper angestellt hat. Das ist doch keine Kunst. / Über so etwas sollte man einfach drüberfahren 

Der Hungerstreik von Janik Hauser, von dem ich über die Schäbige Zeitung erfahren habe, ist etwas aber etwas anderes. Er geht tiefer. Ist irgendwie dem politischen Tagesgeschäft entrückt, aber gerade deshalb emergent politisch. Aber ich muss von vorne anfangen!


Die Anordnung 

Die Anordnung ist denkbar einfach. Da sitzt ein junger Mann im Anzug vor einem baufälligen Theater. Er ist angekettet und verweigert jegliche Nahrung "außer Kaviar vom Fürsten höchstselbst". Er möchte erst wieder unter die "Überessenen" zurückkehren, wenn "ihm und der bunten Menge das Hoftheater aufgesperrt wird". Er trägt ein schwarzes Sacco und Feinrippshirt. Er schaut gleichmütig in die vor ihm liegende Fußgängerzone und zeigt ansonsten keine Regung. Manchmal hört man im Hintergrund einzelne Soundlandschaften oder Interview-Schnipsel, ohne jedoch genau zuordnen zu können, was die Tonquelle ist, und worum es geht. In etwa um einen verlorenen Raum und die Parzelliereung des öffentlichen Lebens. Auf seine Aktion angesprochen verweigert er jedoch mit einem nachsichtigen Lächeln jedwede Erklärung.

Auch der nur mit einem Apfel (Insignium der Macht?) beschwerte Ausstellungstext vor ihm gewährt nicht im engeren Sinne Aufschluss. Er rückt mit Zitaten aus Kafkas Erzählung Der Hungerkünstler die Aktion zwar weg von einem Ereignis politischen Protests gleichsam in die Sphäre des künstlerisch-artistischen. Doch auch hier ist die Zusammenstellung der Textpassagen eher geeignet eine selbstironische Lesart der Aktion zu vermitteln (frei nach der Erzählung "Gib's auf!") als dass man die Stoßrichtung erkennen könnte. Wenn ein Antrag an das Denkmalamt zitiert wird, bleibt der Kontext nebulös. Dies ist möglicherweise auch einer künstlerischen Unpräzisheit geschuldet. Auch wer das "Wir" sein soll, von dem der Text gebetsmühlenartig spricht (ein Verein? eine geheime Gilde? ein Künstler*innenkollektiv?) kann sich der Passant/Zuschauer nicht erschließen. Nichts als leere Deutungsprovokation bei gleichzeitiger Deutungsverweigerung. 



Soweit so Schultheater.

Aber der Kontext ist interessant. Zum ersten weil es nicht im MoMa ausgestellt wird, keine Spendengala ist, sondern auf der Straße stattfindet. Nichts kostet, nichts nützt.


Und dann weil der Versuch der Erzwingung der politischen Zielsetzung (hier: eine Renovierung und Wiedereröffnung des HT) anders als beispielsweise bei der -- in Bezug genommenen -- RAF nur vordergründig überhaupt besteht. Die Politik hat, was jeder hier weiß, dem inzwischen eine eindeutige Absage erteilt. 


Eigentlich -- und das ist das weitaus Interessantere an der Aktion--  wehrt sich der Performer gegen das kollektive Gerede, das lebendig ist aber todbringend. Gegen schwäbische Missgunst als Motor einer reaktionären Vorstellung des Zusammenlebens. All dies findet sich verkörpert in der Deutung vergangener Aktionen (die zugegebenermaßen höchst manisch-dilletantische Konzeptkunstbeiträge waren) durch die Medien. Er empowert sich über das Gerede der bunten Menge. (Heidegger/Faust). So lese zumindest ich das. Aber wer bin schon ich? Ein höchst bescheidener Arbeiter am Diskurs. 


Rezeption

Im Endeffekt hat niemand so richtig davon Wind bekommen. Außer die Schäbige, die die Aktion als Flop bezeichnet hat. Etwas lässt mich vermuten, dass der Performer dies von Beginn an gewusst hat. Dass er genau dies zeigen wollte. Den Tod in dem ganzen eitlen Gewusel (und welcher Ort eignete sich dafür besser als ein verschimmelndes Theater einer einst glorreichen Fürstendynastie, die, wenn sie in Erscheinung tritt, inzwischen nur noch beschämt, weil sie vor Gericht Raubkunst zurückstreiten will).



Manchmal frage ich mich...

Was, wenn dem aber nicht so ist? Was, wenn der Fürst das Theater tatsächlich geöffnet hätte? Auf Nachfrage versichert uns die Marketing-Agentur, die hinter dem Projekt steht, dass keinerlei Sachbeschädigung oder andere Straftaten zu befürchten gewesen wären. "Wir wollten einfach nur rein. Und da sitzen. und eine bessere Zukunft imaginieren, wie die Leute, die grade massenhaft über die Grenze strömen, mit denen wir uns übrigens hier ausdrücklich solidarisieren. Wir wollten einander etwas vorspielen, oder uns einfach nur Geschichten erzählen. Echte Geschichten voller Leben. Statt Lügen vom Brandschutz". Was, wenn es noch nicht zu spät ist dafür? 


Literatur:

Eva-Elisabeth Fischer: Zurück dahin, wo er nie war. Überlegungen zu George Taboris Inszenierung von Kafkas Der Hungerkünstler


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