on blm

Ein Essay


Ich solle doch morgen nicht einen Kaffe mit Freunden trinken gehen, sondern mich stattdessen in Projekten und Bewegungen engagieren. Er sei in seiner alltäglichen Praxis als Firmenchef antirassistisch, weil er "streng nach Eignung" die Stellen vergebe (nicht nach verpönten Kriterien). Der Eignungsbegriff allerdings sei ihm fremd, weil er den "tatsächlichen Rassismus" bemäntele. Außerdem vertraue er darauf, dass der alltägliche Rassismus sich von selbst erledige, weil "diese Leute" aus einer rassistischen Firma ja einfach in eine andere wechseln könnten "wo das Klima stimmt". Es gelte vor allem marginalisierten Gruppen "zuzuhören". Was aber nicht erreicht werde, indem man diese Leute beim Bäcker anspräche, sondern, indem man sie in seinem Freundeskreis habe, wie er, er treffe morgen eine "Schwarze Person". Wer mit solchen Personen nicht in Berührung komme, sei nach seiner Ansicht "erbärmlich". Die Frage, wie man sich als weiße heterosexueller Cismann im Alltag effektiv antirassistisch verhalten könne, wenn man keinen eingehenden Kontakt mit migrantischen Personen habe, finde er abwegig und jetzt kommts:


ÜBERGRIFFIG

Die oben angeführte Argumentation interessiert mich in vielerlei Hinsicht. Zum einen scheint sie mir gänzlich von Klassenfragen bereinigt. Ohne es zu bemerken hat sich der Sprecher nur auf die "top qualifizierten" migrantischen Personen bezogen. Es wirkte mir fast, als ob die anderen in seiner Denke keinen Platz hätten. Vielleicht aus einer tiefgreifenden Angst des Unternehmers, etwas zu teilen, ohne einen materiellen Gegenwert zu erhalten. Sodann das wiederholte Insistieren auf der Zuhörer-Rolle, aus der zugleich eine moralische Überlegenheit abgeleitet wird. Ich verstehe diesen Gedanken wirklich nicht. Für mich ist ein Rederecht nichts, das per se nährt. Respekt und concern kann doch überhaupt erst im Dialog entstehen, oder? Woher kommt diese Fetischisierung des Monologischen? (übrigens nicht nur in linken Kreisen, die Rede Feldmanns bei der BLM-Demonstration war ganz und gar diesem Prinzip unterworfen. Ein völliger Verzicht auf den Kontakt. Eine Einsparung des dünnen Eises von Rede und Gegenrede. Ich möchte das in aller Deutlichkeit kritisieren. Ich finde diese Tendenz sehr bedauerlich). Und das führt auch schon zum dritten Aspekt:

Ebenso wie die Klage und die Empörung, so möchte ich hier vertreten ist das Übergriffigkeits-Argument im Kern eine dialogfeindliche und also diskurshemmende und also im Endeffekt demokratieschädliche Bestrebung. Es ist eines Erachtens nach ein Wesenszug eines jeden gelingenden Gesprächs, sich in die Lebensrealität seines Gegenübers hineinzuversetzen. Das muss ein Versuch bleiben, eine Asymptote, dies ist unbestritten. Aber genau deshalb muss es möglich sein, diese Annahme seinem Gegenüber gleichsam als Geschäftsgrundlage mitzuteilen. Nicht als Urteil, wie immer schnell unterstellt wird, sondern als Arbeitshypothese. Es muss, wenn wir nicht völlig vor die Hunde gehen wollen, wenn wir nicht in unseren Echokammern mit wundgeschrieenen Stimmbändern an Wut und narzisstischem Weltschmerz verenden wollen, möglich sein, zu seinem Gegenüber zu sagen: "Ich vermute mal, du hast in deinem Alltag gar nicht die Möglichkeit, dich gegenüber prekären migrantischen Personen antirassistisch zu verhalten, weil du nicht oft genug in Kontakt mit ihnen kommst". Es muss möglich sein, das zu sagen. Und sei es nur, um dann vom Gegenüber widerlegt zu werden. Dann geht das Gespräch als anderes weiter. Mit einer neuen Grundlage. Es muss möglich sein, seine Annahmen über den Dialogpartner* (dessen Sozialisation, dessen Peer-Group, etc.) diesem mitzuteilen, ohne des ÜBERGRIFFS bezichtigt zu werden. Was ist das überhaupt genau? Ein Übergriff? Ist auch egal. In dem Moment, in dem man dieses Wort benutzt, ist das Gegenüber bereits nachhaltig diskreditiert. Höre ich Flöhe husten, oder habe ich zu viel Barthes gelesen, wenn ich da eine sexuelle bzw. sexualdeliktische Komponente mitschwingen sehe? Klingt das nicht irgendwo nach "Vergewaltiger"? nach Harvey Weinstein? Ich denke, das ist meine steile These, dieser Effekt ist durchaus mit intendiert. Allein verhöhnt ein solche Sprachbenutzung die tatsächlichen Opfer solcher strafbaren Handlungen. Das an sich ist schlimm genug. Aber auf einer subtileren Ebene,  bestraft sie die Empathie in dialogischen Gesrächssituationen. Sie bereitet eine Gesprächskultur, in der jeder nur um sich kreist. Eine monologische Psychoanalyse-Situation. In der das einzige Argument die eigene Kränkung sein kann, die stets wieder aufgefrischt wird.

Ich wünsche mir einen anderen Umgang miteinander und mit gesellschaftlich strittigen Fragestellungen. Aber vielleicht darf ich auch nicht in Bornheim danach suchen. Vielleicht muss ich von der Skyline zum Bordstein zurück. Yok-Yok vielleicht nächstes mal

Von Yoko O.-H. (poc)

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