Ein fiktiver Briefwechsel mit Ulrike Maria Hass


Lieber Janik,

die Geschichte mit den Landungsbrücken scheint mir wirklich interessant: das in ein Stück umzuformen, das dann dort vor Ort aufgeführt wird. Das klingt einfacher als es ist, ich weiß. Aber die Ortsgebundenheit, das Thema (es ist auch das Thema von SCHNEEWEISS von Jelinek, einem Stück, das mich mindestens für sechs Monate nach Erscheinen im Jan. 20 beschäftigt hat), man wird mit diesem Thema einfach nicht fertig, das ist, vom Theater her gesehen, das Gute daran. Ich glaube auch, dass Ihre Art zu schreiben, solchen Undingen wie sexualisierter Gewalt gewachsen ist. Ihre Assoziationsgewitter, die ja auch was Reinigendes haben, könnten dem beikommen. Ich glaube aber auch, dass Ihre Art zu schreiben ein Thema braucht, das hart ist. Die Schreiblust (die sich überträgt) muss sich mit irgendwas konfrontieren. Es können auch andere Texte sein, abseitige, auch vergessene.

Ich würde Ihnen gern ein Exemplar meines Chorbuchs zusenden, wenn Sie mir eine Postadresse geben.

Mich interessiert natürlich auch, was die paar Dinge sind, die sie sich inzwischen angeeignet haben und die zu einer ‚Vermarktung‘ taugen. Ich kann mir gar nichts darunter vorstellen.

Vielleicht können wir uns darüber mal austauschen, wenn Sie in mein Chorbuch reingeschaut haben?

Ich hab inzwischen eine Verbindung zum Literaturforum im Brecht-Haus Berlin, die werden irgendwas machen im Rahmen einer größeren Veranstaltung im Herbst.

Ebenso mit dem Ringlokschuppen in Mülheim, die werden was machen Anfang Oktober.

Ansonsten ist alles still. Ich mache ein paar Zoom-Veranstaltungen mit und bin entsetzt darüber, wie schnell die Leute sich mit diesen unsäglichen audiovisuellen online-Formaten arrangieren. 

Ich schreibe zwei (Pflicht)Aufsätze, die mir nicht so sehr Spaß machen und dann schreibe ich 95 Thesen zur Chorografie, d.h. zu allem, was im Chorbuch nicht Platz fand, das macht mir dann sehr viel Spaß. Aber am liebsten würde ich Veranstaltungen besuchen, Tagungen machen und Leute vor Ort treffen. Wenn alles gut geht, soll es ja im September/Oktober so weit sein, wenn Kathrin Tiedemann mit 72 Tagen-(wie die Commune)-Denk- und Arbeitsraum ihre neue Spielstätte in Düsseldorf bezieht.

Tja, so sieht’s aus. Und bei Ihnen?

Liebe Grüße

Ulrike Maria Hass



**** 


Liebe Frau Hass,


Ich habe mich sehr über Ihre Email gefreut. Manchmal scheint die ganze Welt zu schweigen in ihrer Redseligkeit. Sind Sie auf Instagram? Ich kann es nur empfehlen. Wirkt in etwa wie Medikenet.

SCHNEEWEISS kenne ich nicht. Aber es hätte mich gewundert, wenn es nichts von ihr gibt, was in die Richtung geht. Was genau hat Sie daran beschäftigt? An dem Stück?

Assoziationsgewitter haben für mich etwas Hysterisches. Hauptsache nicht das Sprechen aufhören. Ich suche mir was neues. Eine noch abseitigere Querverbindung. Denn ich möchte weiter sprechen dürfen; mich so mit der Welt verbinden und mit dem Unerhörten zugleich, was diese enthält. Ich mache also das Unerhörte hörbar, ohne es festzuzurren. Ich bin ein feiger Hai, der einfach nur seine Zähne bleckt und aggressiv seine Kreise zieht. Diese eigenbrötlerische humanistische Haltung habe ich von Elfriede Jelinek gelernt. Und ich lebe sehr gut damit. Habe sogar großen Spaß daran.

Was wären abseitige Texte? Haben Sie eine Idee?

Gerne erhalte ich ein Exemplar Ihres Chorbuches. Dann gerne zHd JH // c/o XXXXXXXXXXXXXXXX. Tatsächlich habe ich schon auf Google damit begonnen es zu lesen. Dann wurde ich zu nervös. Das passiert mitunter. Ich möchte aber ein Essay schreiben, das Ihre Auffassung (Chor als SCHON_DA mit dem zeitgenössischen Cloud-Rap in Verbindung bringt. Wie das gehen soll, ist mir absolut schleierhaft. Ich werde ganz schön viel pfuschen müssen!)

Die Sache mit dem Marketing. Seit Aufmerksamkeit zur Ressource geworden ist (Georg Franck) streben kapitalistische Verbände (Facebook, Google, Uber, Tinder, etc pp) nach derselben Ressource, wie jeder Privathaushalt. Die Semiotik verschwimmt: Werbungen werden immer emotionaler, menschliche Verhaltensweisen, insb. Auf den sozialen Medien, gleichen immer mehr Marketingkampagnen. 

Ich habe daher schon länger die Vision einer Marketing“Agentur“, die Performance im öffentlichen Raum der Vermarktung von Gütern annähert. Was brauch man iE? Menschen, die sich für Chor interessieren. Für ein strukturiertes Nachdenken darüber. Am Ende steht die Kaufentscheidung. Warum also nicht einen Chor inszenieren, der vor den Landungsbrücken Texte von Elfriede Jelinek aus SCHNEEWEISS skandiert, im GEISTE Ihrer Studien zu Chor, der aber EIGENTLICH (und was ist schon „eigentlich“?) nichts als eine Marketing-Kampagne für ein Buch ist. 

Frau Tidemann kennen ich nicht. Muss ich mich mal kundig machen.

Ich selbst möchte das Hoftheater Sigmaringen nach seiner Renovierung als Intendant beziehen, und muss diesbezüglich gerade viel Überzeugungsarbeit leisten, was mich jedoch in spannende Gefilde entführt (Lokalpolitik). Dann das Examen im September. Es gibt genug zu tun. Hoffentlich finde ich das (jeweils) Richtige.

Im Juni (25-27) gibt es ein Festival in Sigmaringen, von mir organisiert. Meine Freundin Miriam Haltmeier von der Folkwang ist uA dabei. Alle Hygieneauflagen werden eingehalten. Wie herrlich es wäre, Sie dort im Publikum zu wissen. Es gibt im Anschluss krawallige Publikumsgespräche, das kann ich jetzt schon versichern

Soweit. Ich habe auch einen Podcast aufgenommen (2min) mit ersten Assoziationen zu Ihrer Mail. https://soundcloud.com/theaterkater/brief-an-ulrike-maria-hass

Sehr herzlich

Janik Hauser

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