Textsorte: Marginalien zu Nuran David Calis oder ich weiß mal wieder NICHTS (versüßt mit unredigierten Egozentrismen nach Maries Rezept am 1. Feb.)
Liebe Marie Schw., so einfach und klar hätte ich es nicht formulieren können: Nuran david Calis
hatte uns gegenüber bei dem Frankfurter Positionen Extra-Interview im Mousonturm gemeint, er wolle seine Figuren, auch die verlorenen Söhne, ernst nehmen, nicht nur karrikieren. Er ging sogar weiter, und meinte: Mein Stück soll fragen: was, wenn die Recht haben? (Wer sind die? Diejenigen Konvertiten, die den Wertemaßstab von hier (in diesem Fall: Deutschland) ablehnen, die auf Familie, Solidarität, Fasten, Geschlechtertrennung in Moscheen bestehen, Anmerkung der Re(d)aktion)
Dieses Vorgehen wird von zwei Seiten gründlich torpediert (Her Callis, Sie selbst waren der Regisseur, fiel Ihnen das schlicht nicht auf, oder konnten Sie als Theaterregie-Neuling nicht die Courage aufbringen, den alteingesessenen (apropos sitzen:warum dieses einem unbefangenen Spiel eklatant unzuträgliche Bühnenbild? Diese Staktik verträgt die Dynamik ihres Textes für mein dafürhalten nicht) mal so etwas zu sagen, wie: Vorsicht Klischee. Vorsicht Technik. Vorsicht Text denken). So kann es auch passieren, dass Harald Baumgarten über fast den gesamten Abend eine Haltung zum Text entwickelt, die man Effektklaviatur versuchsweise taufen könnte. Das heißt, er spielt mit dem Umschlagen der Stimme von normalem Sprechduktus ins Schreien, in ein den Atem ganz aufbrauchendes diminuendo. Man könnte vermuten, er wärme sich auf. Man kann nicht vermuten, er habe den Text gründlich exzerpiert, gewendet, befragt, hinterfragt, man könnte, mit dem Regisseur gesprochen, nicht vermuten, er habe die Figur ernst genommen. Mit ihrer Desillusioniertheit ob der Ereignisse in der Türkei der 60er-Jahre, gegen die zu kämpfen der Vater aufgegeben hat, aus einer Erschöpfung des Psychischen gleichermaßen, wie im Hinblick auf den Sohn, der sich eben gerade zum Gegenteil dessen entwickelt, für das man damals gekämpft hat. Ich hätte auf meinen Kartenpreis gerne noch drei Euro (das Trinkgeld, das ich normalerweise an einem Sonntag bei Foodora bekomme) draufgelegt, dass Sie sich diese fünf Stunden lesearbeit gemacht hätten, ich bin mir sicher, wir hätten an diesem Abend einen besseren (ver-)Handel gemacht.
Doch nun zu Faktor zwei, der dem Stück seinen Tiefgang, oder sagen wir seinen interkulturellen Drohnenflug auf eine Weise verflacht: Kein Zweifel besteht daran, dass Christoph Franken von uns allen Leistungsboni in Höhe von mindestens 570 Euro verdient hätte, für seine Rollenarbeit. Denn hier versucht der Darstellung dieser hysterischen Seele des Hakan (Später mit "Kämpfernamen" Abu Ibrahim) über eine vordergründige Ruhe über eine ruhige Bestimmtheit in Duktus und Geste, gefolgt von einer eruptiven Direktivität in den späteren Bloggeinträgen (die Figur unterhält einen Youtube-Channel mit Anleitungen zum richtigen muslimischen Leben) einzu-führen, genau, über die 2 Stunden 10 Minuten Stückzeit, führt der Dasteller Franken die Rolle und er stellt sie uns vor. Präzise, gespalten (bis bipolar?), und als solche auch polarisierend. Er hat uns. Alle würde ich sagen, aber natürlich kann und darf und muss ich das nicht sagen. Aber er macht einen grandiosen Job, oder sagen wir er macht seinen Job grandios. Dennoch: seine Entwicklung führt, das ist leider die Verantwortung des Textes, er liegt dem Rezensenten im Original vor, zwangsläufig und direkt in die Radikalisierung, in den Aufruf zur Gewalt. Man könnte sich fragen, ob Herr Calis qua dieser Figur die steile These elaboriert, der Islam sei eine gewaltaffine Religion, sei (ich denke das wäre plausibler) mit der 5 Sure eine exklusive Religion, die nach dem Bush-Diktum verfährt: If you're not with us You're agains us. Ich würde ihn das gerne bei Gelegenheit selber fragen. Er wirkte auf mich so verständig!
Wenn man sich Rezensionen zu dem Stück durchliest [link] wird jedoch eines kristallklar. Dieses Narrativ: Verteufelung der Assimilation bei gleichzeitiger Dämonisierung des Islams (im Exempel der Figur und als solche natürlich nicht generalisierend, wenngleich nicht weniger resignifizierend), geht weg wie warme Weckle. Noch so ein Handel der gut funktioniert.
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Es ist vielleicht eine Generationenfrage. Wir hätten erfahren
können, wenn wir Calis bei FP-Extra genauer zugehört hätten, dass sich
die Schauspielerin Almuth an der Rolle, die der Regisseur ex Machina
ihr gab, extrem aufgerieben hat. sie sei ihr zu schwach, befand sie.
Will eine linke Lösung des Rechten problems. Ich will korrigierend
eingreifen und schreien (leider darf man das im Theater nicht, nicht mal
bei der Publikumsbeschimpfung hat man es wirklich gedurft) stimmt das,
Herr Goffman?, sind Sie herr Goffman, freut mich!) schreiend sagen, versuchen zu sagen: es ist falsch, Herr Calis den
Islam als etwas zu erzählen, das mit gewalttätigkeit korelliert,
schreien, flüstern und sei es nur meiner Nachbarin, die gleich denkt,
wie ich, falsch zu glauben, was hier passiert mit der Figur sei ein von
Rechts verursachtes Problem. Ich würde dann weiter schreiend
relativieren: natürlich sind wir alle am Zug, wenn es um Integration
geht, doch geht es hier nicht um Integration, es geht nicht darum, dass
christliche Kirchen kalt hallen, während in der Mosche die Lautsprecher
lauschig warm knistern, darum geht es nicht, es geht darum, dass böse
Menschen einen Kanal suchen um böse zu sein, es geht um das Böse,
schätze ich, geschätzter Herr Calis, und vielleicht ist das banal und
vielleicht wollten Sie es daher nicht zeigen, und vielleicht kommt es
daher, dass ich so maßlos enttäuscht bin von der Inszenierung.
Ja, reden wir über mich, weil um mich geht es hier auch in nicht
unerheblichen Masse. Ich kenne keinen Radikalen. Nicht links, nicht
rechts, nicht religiös. Aber ich bin als jemand aufgewachsen, dem eine
unermessliche Ehrfurcht demgegenüber beigebracht wurde, was passieren
kann, wenn zwei Leute mit ungeachtet welcher Positionen, ver hand eln (und ich gebe die Frage zurück warum der Rabbi nicht eingelassen wird,
denn diese Welt haben Sie geschaffen Herr Calis. SIE sprachen davon, das
wir Utopien BRÄUCHTEN). Wie viel Hass verpufft, wenn man die immanente
Sperrung des Disputes vermittels dem Disput aufzuheben vermag! Ich bin persönlich der Meinung,
dass die Literatur die Grundfesten dieser Sperrung mit einer Nagelfeile
ankratzen kann. Sie wird fallen, es ist schon Mittag. Ich glaube aber
für eine gelingende Feilung müssen die Fuguren leben, ja und
tatsächlich, die Jungen Schauspieler schienen mir um längen
Diskursbereiter, bereiter den Diskurs zu verbreiten, als Almuth.
Dabei war sie doch, so denke ich weinend auf meiner Galerie, mit der
stärksten aller weltlichen Waffen ausgerüstet: Mit der Liebe zu ihrem Sohn.
Kommentare
Warum läuft Herr R. Amok? – An den Münchner Kammerspielen verwandelt Susanne Kennedy den Film von Fassbinder/Fengler in einen beklemmenden Steh-Reigen
Spiel mir das Lied vom Biedermann
ursprünglich von Michael Stadler
München, 27. November 2014. Welche Geschwindigkeit das Leben (und das Theater) auch hat, irgendwie ist es nie ganz recht.QUATSCH. Absoluter Stillstand ist nicht erwünscht, weil dann Langeweile droht.(((Absoluter Stillstand wäre nicht zu erreichen, oder?)) Zu viel Speed verträgt man auch nicht((Dann fragen Sie doch mal die Rezensenten von Stemann WUT)), sondern wünscht sich – schöner Modebegriff – Entschleunigung, ein Herunterfahren des Tempos, ein besseres Haushalten mit der Energie. Das Theater von Susanne Kennedy, so, wie man es besonders seit Fegefeuer in Ingolstadt kennt, geht physisch hinein in den Stillstand, handelt von ihm, übt sich in Entschleunigung, lässt Zeit vergehen. Was für manche Zuschauer schwer zu ertragen ist. Dann wird man unruhig, dann ruft man "Aufhören!" und "Buh". Vielleicht auch, weil einem die hochgradige Artifizialität, der Formwille ((wie sehen Sie Formwillen, Herr Rezensent? Hat mein Kommentar formwillen? Und Heidi Klum, hat die Formwillen?)) Kennedys auf die Nerven geht.
Suchbild mit Fehlern
Das Maskenspiel bietet sich also hervorragend an für Kennedys Theateradaption, und sie dreht nicht nur damit die Schraube nach dem "Fegefeuer" ein kräftiges Stück weiter: Dieses Mal wurde das Playback, dem die Darsteller sklavisch und beeindruckend lippensynchron folgen, nicht von ihnen selbst eingesprochen, sondern von einem Cast von Sprechern, denen der transkribierte Text aus dem Fassbinder/Fengler-Film vorgelegt wurde. Nun ließen die Regisseure von einst – wobei Fassbinder selten am Set war und sich bei Sichtung des Films von diesem distanzierte – ihre Schauspieler entlang einer losen Drehbuchvorlage improvisieren, so dass es von Unreinheiten und Versprechern, von Dahin-Gesagtem und bairisch Eingefärbtem nur so wimmelt.
Auf absurde Weise kommt bei Kennedy nun das Spontane, der schnöde Alltagsjargon zu vollen Theaterehren ((Ja, das ist gut beobachtet, da kann ich jetzt auch nichts dagegen sagen)): langsam eingesprochen, klar artikuliert und deutlich vernehmbar, was mitunter urkomisch ist. Jedes "Äh" darf hier strahlen, genauso wie jedes Bühnendetail seinen Auftritt bekommt, genauso wie jede Geste der Schauspieler, auch maskenbedingt, das Auge einfängt. Völligen Leerlauf gibt es in Kennedys Inszenierung nicht: Man sitzt vielmehr vor sich ständig leicht verändernden Suchbildern, ähnlich, wie man es vielleicht von alten TV-Zeitschriften kennt: Links das Originalbild, rechts das gleiche Bild, nur mit "Fehlern".
Alles wirkt bedeutsam, alles könnte eine Spur sein. ((Ja, gut. Deutungsprovokation. Gut analysiert)) Oder Nichts. Auch darin liegt eine Qual. Ein höllisches Szenario, ein neues Fegefeuer. Nicht umsonst sieht das holzgetäfelte Bühnenbild von Lena Newton wie eine Sauna oder der Empfangsbereich einer Sauna aus. Regenbogenfarben leuchtet Licht aus zwei hohen Fensterschlitzen, verändert sich unmerklich. Getaktet werden die einzelnen Szenen durch das Absinken und Hochgehen einer Projektionsfläche, auf der Videos laufen: Der holzgetäfelte Raum ist da im Bild, nur die Zimmerpflanze steht auf der anderen Seite und ist auch gar nicht genau dieselbe. Oder man sieht Menschen, nicht die Schauspieler, sondern Laiendarsteller: wie sie unter anderem Requisiten hereinbringen, eine Engelstatue putzen, in den Raum filmen, die Kamera aufs Publikum gerichtet. Die Welt, in der Herr R. lebt, wurde halt auch irgendwann mal eingerichtet. Das selbstentfremdete Subjekt, das mit fremder Stimme spricht, denkt darüber gar nicht mehr nach.
Im sterilen Bürger-Biotop, in dem Dinge und Menschen nach dem Belieben einer unsichtbaren (Regie-)Hand auftauchen und verschwinden, hängt zudem ein Bildschirm, auf dem der Raum selbst oder ein Parkplatz zu sehen ist. Verschachtelungen, ständige Verschiebungen, lauter Realitäten. Und dann eben, bei aller Form, eine lose Folge von Stationen, wobei Kennedy besonderen Wert ((DAS ist doch eine gute Beobachtung Herr Rezensent! Das stimmt, das scheint doch der Susanne ihr verfahren zu sein, dass sie alles irgendwie prosodisch entleert und die Dialoge NIVELLIERt,um dann an ANDeren Stellen den FOkus setzen zu können!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Happy End mit Adlertanz? ((Schön, Sie Leuchte spielen hier auf das Gedicht des Jungen an??))
Die Sehnsucht des Herrn R. verbirgt sich in dieser einen Melodie. Einzigartigkeit, auch das wohl ein Wunsch des braven Biedermanns ((Ich bitte Sie Herr Rezensent, das ist ja sowas von frech! Woher wissen Sie denn, was die Sehnsucht eines solchen sei? Ich bin selbst jahrelang einer gewesen und ich wollte damals alles andere Sein als eben einzigartig, also das ist wirklich frech, finde ich, Herr Administrator, kann man da nichts unternehmen, dass hier der kleine Mann nicht gehört wird, ich finde um genau den sollte es bei der Rezension doch gehen?? ich bin verwirrt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!)), der mit dem Gefühl der Austauschbarkeit leben muss. Auch daraus macht Kennedy ein Prinzip: Ihre standfesten, die Tragikomik des bürgerlichen Trauermienenspiels hervorragend herausarbeitenden Darsteller tauschen die Rollen, nutzen die Pausen, die sich beim Zeigen der Videos ergeben, um sich blitzschnell umzuziehen. Mal steckt Edmund Telgenkämper, mal Christian Löber, mal Walter Hess in der schwarzen Lederjacke und den Blue Jeans von Herrn R., wobei die jeweils eigene Körpersprache ((Ha!!! Das heißt Schauspieler sind DOCH individuen!!!!!!!!!!!!!!!!! q.e.d. Herr M.Sc.))
Ein Suchspiel also, ein beklemmendes Puzzle, das in einen brutal ruhigen Amoklauf mündet. Opfer: die geschwätzige Nachbarin, die Ehefrau, der Sohn. Mordinstrument: die Engelstatue. Sie wurde ja auch frisch geputzt. Die Polizeiuntersuchung danach im Büro, wo Herr R. sich auf der Toilette (im Film) selbst richtet, inszeniert Kennedy mit jenen Laien, die man in den Videos gesehen hat. Womit Kennedy eine weitere Dimension aufmacht: Dachte man mitunter an die Augsburger Puppenkiste – nur ohne Fäden und zappelige Bewegungen – oder an die Statik der Untoten in japanischen Horrorfilmen, so hat der Steh-Reigen auch etwas von einem Spiel, an dem sich Menschen versuchen, die nicht Lebensprofi genug sind, um ihre Rollen perfekt zu gestalten. Kein Wunder, dass die Masken sich immer etwas verwundert umschauen, hineingeworfen in Situationen, aus denen sie nicht fliehen können. Eine Befreiung liegt in der Musik, die abheben lässt: Hatte Herr R. mit seinem Sohn noch im Schulbuch von einem Adler im Käfig gelesen, so sieht man am Ende eine Dame allein im Raum zu seinem einen Song frei tanzen. Die Arme ausbreitend. Ein Adlertanz. So wenig professionell, so mutig und beschwingt, dass es zum Abschluss dieses grandiosen Abends wie ein Happy End wirkt.