Textsorte: kleiner kommensurabler Torso
Ich habe von meiner Bachelor-Zeit in der Germanistik in Freiburg sehr profitiert. Das Studium dort macht eine gute Arbeit, die
Studierenden zu mündigen Heranwachsenden zu bilden, die literarische Texte in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext und mit
ihren ideologischen Implikationen untersuchen. Wenn man dort den Anschluss nicht verlieren möchte, erfordert das einige
Disziplin und Eigeninitiative (erlerne Theorien mit anderen Inhalten querzulesen und literaturwissenschaftliche Instrumentarien
auf Texte aus verschiedenen Epochen anzuwenden, ganz zu schweigen von der sonstigen Eigenrecherche). Kurzum, ein solcher Studiengang
lehrt einem Studenten vernetztes und verantwortungsbewusstes Denken. Dieses Instrumentarium möchte ich nicht missen und ich bin sehr
dankbar dafür.
Von meinem Masterstudium in Dramaturgie an der Goethe-Universität habe ich mir eine Ausrichtung auf die Praxis erhofft, sowie ein vertiefendes Verständnis von den
Mechanismen der Institution Theater. Bis jetzt scheint er das auch durchaus einzulösen. Jedoch ist mir bei dieser politisch-kritischen
Auseinandersetzung mit dem Thema, die das Profil der hiesigen Lehre ist, auch zunehmend der unangenehme Gedanke gekommen,
dass das Theater in seiner Fähigkeit impulsgebend auf die Gesellschaft zu wirken, beschränkt sein könnte. Beschränkt einerseits durch
seine Sprache: eine vorwiegend abstrakt und assoziativ beschreibende, beschränkt aber auch im Hinblick auf die Frage, wer diese Auseinander-
setzungen in erster Linie verfolgt. Dies ist eventuell nur ein kleiner Kreis an sehr gebildeten, politisch häufig bereits ausgerichteten Personen
(In der Ankündigung zu dem Kongress THEATER ALS KRITIK spricht Prof. Nikolaus Müller-Schöll von einem Preaching to the converted, also einem Predigen
zu bereits konvertierten, eine Formulierung, die mir stark im Gedächtnis geblieben ist). Kurzum: in der letzten Zeit habe ich mir oft die Frage gestellt,
ob ich als berufliche Perspektive eine relevantere, konkretere Aufgabe suche.
Inzwischen bin ich mir dessen gewiss. Bei einer studentischen Initiative, dem Lesekarussel in Freiburg (Lesen mit Geflüchteten) ist mir klargeworden,
wie wichtig es ist, in Kontakt zu treten mit den Menschen, über die man sich Urteile erlaubt. Das Theater wird diesem Anspruch nur partiell gerecht.
Hingegen bei mehreren Praktika, die ich im juristischen Bereich bei meinem Großvater gemacht habe (ehem. Verwaltungsrichter), konnte ich beobachten,
dass es hier stehts erforderlich (unerlässlich) ist die spezifische Situation des Gegenübers (Klienten) und die Norm, mit der dieser konfligiert (Gesetze) gleichzeitig
in den Blick zu nehmen. Diese Art zu arbeiten hat mich sehr überzeugt, sie wagt den Ausgang aus einem prädikativen Über-Jemanden-Sprechen der Kunst.
Wenn ich Zeitung lese, sind für mich häufig die juristischen Themen die interessantesten. Ich kann mir vorstellen, dass es ein großes Privileg ist, sich,
sobald man dafür den nötigen Kentnisstand besitzt, mit tiefergehenden Rechtsfragen im Kontext der Forschung zu befassen. Ob diese meine berufliche
Perspektive wäre oder ein Wirken in der richterlichen oder anwaltlichen Praxis, kann ich zum jetzigem Zeitpunkt aber nur schwer einschätzen.
In meiner Familie hat stets eine offene Gesprächskultur geherrscht. Mitglieder aus allen Generationen wurden mit ihren Anliegen gehört und ernst genommen.
Ich sehe dieses Vorgehen auch in der Neutralität des Gerichts, das sich einer unvoreingenommenen Perspektive verpflichtet und unabhängig von Gender, Race,
Sexualität, Alter, etc. seine Entscheidungen trifft. Diese Haltung, das ist meine Überzeugung, ist das wichtigste Gegengewicht gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit.
Ich wäre dankbar mich in dieses System eingliedern zu dürfen. Als Stipendiat des Deutschlandstipendiums habe ich außerdem verstärkt den Gedanken gelernt, dass man
Geschenke einerseits annehmen, sich aber andererseits immer die Frage stellen sollte, wie und wo man an anderer Stelle zurückschenken könnte. In der Übertragung sehe
ich meinen bislang ungestillten Wissensdurst als ein Geschenk, das ich gerne in Form von akademischer Disziplin und (später) juristischer Gewissenhaftigkeit zurückzahlen möchte.
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