Ein juristisches Essay zur Verjährung

Richard Hofreiter
Rechtsphilosophie-Dozent an der
Bucerius Law School

Absolvent der Leipziger Literaturakademie

„Hey Leute, supercooler Blog hier. Schöne Bilder. Schriftarten noch ein wenig chaotisch. Ich wollte jetzt auch mal was über #metoo sagen dürfen. Da dachte ich, schreibe ich doch mal ein kleines Plädoyerchen für diese schnuggeligen schutzbedürftigen Wesen. Viel Fetz Euch beim Lesen! Bussi Euer Richie :) “   


Das Problem an der #metoo-Debatte aus der Sicht des Verfassers ist sogenannte Streisand-Effekt. Dieser Bezeichnet ein Phänomen, wonach der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken oder entfernen zu lassen, öffentliche Aufmerksamkeit nach sich zieht und dadurch das Gegenteil erreicht wird, dass nämlich der jeweilige Sachverhalt einem noch größeren Personenkreis bekannt wird.


       Nur so ist es, so könnte man meinen, zu erklären, dass sich in der #metoo-Debatte eine große Zahl von Opfern sexueller Gewalt an eine weltweite Öffentlichkeit wendet, anstatt eine Anzeige zu erstatten. Sie erhoffen sich offensichtlich eine Art Rehabilitation auf dem Wege der öffentlichen Diskreditierung ihres Peinigers. Dieses Verfahren ist von ebenso großer Problematik, wie es aus Opferperspektive verständlich ist. Denn der Täter nimmt dem Opfer mit einem Übergriff seine Würde, seine sexuelle Selbstbestimmung und sein Vertrauen in gerecht denkende Autoritäten (denn die Gelegenheit zu übergriffem Verhalten entspringt nur zu oft den feudalen Machtgefällen aus den Institutionen Theater, Film, Kirche). 
       Jedoch sollte eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft von den Gesetzen ihre Einschränkungen her erfahren und nicht aus den Trompeten der Fama.1 Der Problematik der außergerichtlichen Gerichtsbarkeit sollte vom Gesetzgeber proaktiv entgegengewirkt werden. So zum Beispiel durch eine Verjährungsfrist, die orientiert ist an den karriere-induzierten Zwangslagen, in denen sich Frauen in ihren 20ern und 30ern im showbusines sehr oft wiederfinden.
                  Das Rechtsinstitut der Verjährung dient der h.L zufolge vor allem der Rechtssicherheit des Delinquenten. Er muss sich darauf verlassen können, dass seine (einmalige) Verfehlung ungesühnt bleibt, wenn er in der nachfolgezeitlichen Entwicklung den Weg des Gesetzes nicht mehr verlassen hat und möglicherweise in einer quasi Raskolnikowschen2 Wendung an seinem schlechten Gewissen3 selbst am effektivsten gestraft war. Ein anderes Argument ist die Verschlechterung der Beweislage mit dem zunehmenden Ablauf der Zeit. Ihm ist mit der Begründung, dass sich bei Zweifelhafter Beweislage im Hinblick auf den Grundsatz in dubio pro reo eine tatsächliche Verschlechterung für den Delinquenten ergibt, keine Bedeutung zuzumessen. Dem hiervon abgewandelten Argument, dass die Behörden durch die eminent verstreichende Frist zur Effizienz angehalten werden, ist entgegenzuhalten, dass doch schon das Augenmerk auf den gewinnbringenden Einsatz von Steuergeldern und den Schutz potentieller weiterer Opfer und dem Rechtsfrieden sie bereits hinlänglich motivieren sollte, sich aber mit kurzen Verjährungsfristen Strafbarkeitslücken ergeben, durch die ihre Verfahrensfehler teuer erkauft erscheinen. 
           Jedoch andererseits einer 16-Jährigen eine erwachsenengleiche sexuelle Selbstbestimmung zuzuschreiben (denn das ist es, was Gesetze tun, sie schreiben Interaktionen vor und ihnen unbekannten Bevölkerungsgruppen Eigenschaften zu), die sich zu ungunsten ihrer Schutzbedürftigkeit auswirkt, erscheint dem Verfasser realitätsfern und zynisch. Dies zumal die Gesetze meistens von Männern gemacht werden, die sich die psychischen Auswirkungen auf die sexuelle Selbstbestimmung aus Mangel an eigener Anschauung ungleich schwerer vorstellen können. Es ist in Drucksituationen schon für ausgewachsene Frauen bisweilen schwer, sich gegen Avancen ihrer Vorgesetzten zur Wehr zu setzen.

In den prominent gewordenen Fällen des Harvey Weinstein und Konsorten wäre eine strafrechtliche Verfolgung möglich gewesen und aus Sicht des Verfassers vor dem Fama-Verfahren vorzugswürdig bzw. subsidiär. Diese scheiterte jedoch an der Verjährung der Taten. Die Frist für diese Beträgt für Straftaten mit einer angedrohten Höchststrafe von bis zu fünf Jahren, fünf Jahre.4
       Als Masterstudent der Dramaturgie und gleichenfalls auf dem Weg in den hart umkämpften Theaterbetrieb hat der Verfasser einen Einblick in die z.T. entwürdigenden Notwendigkeiten, die sich aus einem Anfängerstatus in einem Bereich mit hochgradig variablen Leistungskriterien ergeben. Diese ähneln durchaus den „altersbedingten“ und „familiären Abhängigkeiten“,5 welche die Basis für den Aufschub des Verjährungsfristbeginns gem. § 78b Abs. 1 Nr. 1 bildet. 
         Hierfür spricht einerseits, dass viele Schauspieler über sich selbst sagen, sie dürften im Theater in gewisser Hinsicht „auf immer ein spielendes Kind bleiben“ und andererseits, dass viele Theatermacher das Theater (wohl nicht zuletzt aufgrund der Überbetonung der Notwendigkeit der Verhandlung höchstpersönlicher Gefühlslagen und der vielen im sog. „Haus“ verbrachten Zeit) als „Familie“ oder „Familienersatz“ bezeichnen.6

Insofern sind die Arbeitsbedingngen junger SchauspielerInnen, zum Zwecke des Opferschutzes, i. S. e. Rechtsrealismus als Einschränkung oder Hemmung der Entschlussfähigkeit entspr. § 78b Abs. 1 Nr. 1 aufzufassen, entsprechende Straftaten zur Anzeige zu bringen. Dies gilt freilich nicht nur für SchauspielerInnen und dürfte sich auf andere Berufsgruppen ausweiten, innerhalb deren Arbeitsprozess der eigene Körper gleichzeitig Produzent und Produkt ist, und dem bewertenden Blick eines männlich dominierten sozialen Feldes7 standzuhalten genötigt ist. Ein aktuelles Beispiel aus dem Tanz ist die Kampagne whistle while you work, die junge Tänzerinnen motivieren möchte im Falle von Übergriffen als whistleblowerinnen zu fungieren und übergriffige Regisseure zu enttarnen.

Bon courage, les filles! Bleibt zu Hoffen, dass sich meine Zunft auch baldigst zur Aktion aufschwingt. 
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1Die Fama (bei Vergil und Ovid dargestellt als Werkzeug der Bestrafung der lemnischen Frauen durch Aphrodite: Das Gerücht, ihre Männer wollten sie verlassen, stachelt die Frauen dazu an, sie zu ermorden. Obwohl sie als dämonisches Wesen wirkt, wird Fama hier durchaus ambivalent beschrieben: Sie gehöre weder zum Himmel noch zur Hölle, so heißt es, sondern schwebe dazwischen. Wer sie höre, lache zuerst über sie, werde sie aber so lange nicht wieder los, bis Städte unter dem Schlag geschwätziger Zungen erzitterten)
2Vgl. hierzu: F. M. Dostojewsky: Преступление и наказание 
3 Von Juristen auch "natürliche Schuld" genannt
4Nach Nr. 4 nF macht sich strafbar, wer die Furcht des Opfers vor einem empfindlichen Übel ausnutzt. Auch wenn der Täter nach dem Gesetzeswortlaut dieses Übel nicht ausdrücklich androhen muss, handelt es sich sachlich um den Fall einer Nötigung (→ Rn. 50), nur eben durch konkludentes Verhalten. Denn die Verwirklichung des empfindlichen Übels muss aus der Sicht des Opfers auch vom Täter abhängen (→ Rn. 89), so dass sich die Nötigung aus dem situativen Kontext ergibt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte Nr. 4 nF die Konstellationen des sog. „Klimas der Gewalt“ erfassen, für die indes Abs. 5 Nr. 2 oder 3 nF einschlägig ist.
(MüKoStGB/Renzikowski StGB § 177 Rn. 87-91, beck-online)
5Fischer § 78b Rn 3.
6 s.a. Klaus Mann: Mephisto als literarischen Beweis dieser These.
7 Luhmann lesen, Freunde! Das bringt Euch weiter als Rancière.   

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