Seiden /../ Sprünge

 1. Bild [Nummerierung zeigt Chronologie an, ist ansonsten aber unbeachtlich]


Titus (der Publizist): sitzend in einem Café der öffentlichen Bibliothek in Visby, Schweden. Neben ihm seine Lebensabschnittsgefährtin. Das Enjambement nur zT achtend:


Welche Gemeinschaften sind möglich und welche Netzwerke lassen sich  

künstlerisch entwerfen – trotz oder gerade angesichts prekärer  

Lebensverhältnisse, Unsicherheit und Zukunftsängsten? Wie kann man  

sich in diesen distanzierten Zeiten gegenseitig Halt geben? Wer fällt  

durch die Sorgenetze durch? Bei wem kehren sie sich in ihr Gegenteil,  

in Wut oder sogar Hass um? Wer macht die unbezahlte Care-Arbeit und  

wer hat überhaupt die Ressourcen, Sorgenetze... 


Daphne (seine Frau) ihn unterbrechend

Was meinst du mit Sorgenetze


Titus (der Publizist): irritiert

Würdest Du mich erst mal aussprechen lassen, bitte? Du weißt ich bin etwas aufgeregt…


Daphne (seine Frau)

Gut. Klar.


Titus (der Publizist): 

Wer macht die unbezahlte Care-Arbeit und  

wer hat überhaupt die Ressourcen, Sorgenetze

zu flechten? Was bedeutet  

und was kostet es, (sich) eine lebbare Welt zu bauen? 


Pause


Daphne (seine Frau) das Ende des Redeturns wähnend

Darf ich?


Titus (der Publizist): 

Vielleicht wäre care networks besser. 


Daphne (seine Frau)

Hm.


Titus (der Publizist): 

Aber ich weiß, dass mein Kumpel Heiner, der bei Piper arbeitet, ihr habt euch letztes Silvester bei der Netzwerkparty kennengelernt… 


Daphne (seine Frau) fast gleichzeitig

Schatz das tut nichts zur Sache. Komm zum Punkt


Titus (der Publizist): 

also dass dieser Heiner meint der Anglizismus ist das Fremdwort des kleinen Mannes, also dass es eine bescheuerte Hyperkorrektur sei, sozusagen, sich in einem urdeutschen von Dramaturgengefasel bis in die letzte Faser durchseuchten…


Daphne (seine Frau)

Wenn Du Erektionen produzieren könntest wie Wortkaskaden, mein Schatz, müsste ich dich nicht nach Mitternacht immer trösten, nachdem Du dich vor Mitternacht mit Wein und meiner Aufmerksamkeit verschwenderisch zu dem Punkt befördert hättest…


Titus (der Publizist): 

Ich möchte zu ende reden dürfen. Ich denke ich darf das. Wir haben eine Verabredung.


Pause. Reset.


Und schließlich: Wie könnte Fürsorge in einer Welt aussehen, die  

mehr-als-menschlich ist, mit Körpern, Pflanzen, Tieren, Dingen?

Wir sollten Verletzlichkeit und Abhängigkeit (von Infrastruktur, von  

Familie und Freunde, von Umwelt und von Maschinen) nicht mehr als  

Schwäche von Einzelnen verstehen, sondern als etwas wie diesen  

Planeten: Etwas, das uns alle als sterbliche Wesen und zugleich als  

Teil eines größeren sterblichen Organismus ausmacht.


Und? Was meinst Du?


Pause. Es dauert, ehrliche Worte zu finden


Daphne (seine Frau)

Pathos. Soweit das Auge blickt. Niemand mit Verstand möchte sich darauf einlassen.


Titus (der Publizist): 

Schatz. Ich bitte Dich zu bedenken: Wir stehen an einem Scheideweg. Entweder alles brennt morgen, oder …


Daphne (seine Frau)

Oder?


Pause


Titus (der Publizist): weder ironisch noch pathetisch. Eher wie eine Einkaufsliste

Nektar und Ambrosia


Daphne (seine Frau)

Und das Preisgeld? Mein Preisgeld.


Titus (der Publizist): 

Siebentausend


Daphne (seine Frau)

nickt


Pause

alles brennt morgen?


Titus (der Publizist) vom Band, während beide abgehen oder nur stumm und entleert dasitzen egal wie, nur bitte kein Repräsentationstheater

Linke Parteien sind heute vor allem in der urbanen akademischen Mittelschicht verankert, da kommen viele ihrer Mitglieder und Funktionsträger her. Vor allem letztere sind oft unter privilegierten Bedingungen aufgewachsen und haben kaum einen Zugang zum Leben normaler Menschen. 


Daphne (seine Frau)

normale Menschen?



Titus (der Publizist) sie überhörend

Deshalb werden Debatten geführt, die an den Problemen vorbeigehen, die etwa eine Rentnerin hat, die von 900 Euro im Monat leben muss. Oder jemand, der jeden Tag Postpakete die Treppen hochschleppt. Oder als Schichtarbeiter in einem Industriebetrieb arbeitet. Diese Menschen können nichts anfangen mit der Debatte über Sabbaticals oder die Abschaffung des Autos. Sie reagieren allergisch, wenn der Klimawandel wieder nur das Alibi dafür ist, dass ihr Heizöl, ihr Strom und ihr Sprit noch teurer werden. Und sie hassen Theater. Alle.


Daphne (seine Frau)

Und diese normalen Menschen möchtest Du erreichen? Reformieren? Oder retten? 



2. Bild


Titus (der Publizist): im Twittergewitter. Unterm Lorberbaum an einem iMac-Computer. Das Video im Hintergrund zeigt die Bildschirmansicht des Titus entsprechend seines Nutzerverhaltens. Bitte die drei Einheiten achten: Zeit-Ort-Handlung


Wessen Straßen? Unsere Straßen! … Das hätte auch bescheuert geklungen. scroll. Wie eklig. Sie dreschen einfach auf den ein. scroll. Ein Gesetz im generischen Femininum. Pf. Diese Grünen sind um keine Peinlichkeit verlegen. scroll. Passmann. Die kenn ich doch. Meine süße Kneipenbekanntschaft. Was gibst Du denn so zum besten? Lustige Modeposts. Post-Sprechtakte, wie kokett. Süßes Ding. Noch immer.


Führt die rechte Hand in den Schritt. Die linke zum Scrollen.


Du süße kleine holde Fee? Ganz allein unterwegs? Oh heute so seriös. Welcher Preis wird dir denn da verliehen? Der big boobs Award? 


Google Bildersuche.


Weißt du, wer der Kurator von diesem bescheidenen Event ist? Das wäre ich. Darf ich mich vorstellen, Sie haben sicher schon viel von mir gelesen. Jetzt trete ich aus dem Schatten des Kritikerdaseins heraus und schau, was ich für einen riesen Ständer für dich dabeihabe… Kritik und Wahrheit. Alles aus Muskelkraft gemacht. Klar, darfst du den mal anfassen. Die Neugierde ist nachvollziehbar, hast ja selber kein so ein Teil… Und ich bin in einer offenen Beziehung, mach dir also keine Sorgen, insofern du mal kosten möchtest, gäbe es keinerlei Mauerschau im digitalen Zeitalter What? Alter. Du meinst mich oder was? Auf twitter taucht ein Post von S.P auf: “Gut gemeinter Rat @titus.reinhuber2 @literaturhausfreiburg: wenn ihr Sorgennetze verstehen wollt #feminism kommt mal aus eurem phallozentristischen weiß-heterosexuellen Arsch. LG” Alter, Fotze. 40 Retweets in 10 Sekunden. Kurz innehaltend, dann panisch Was, was was was! Was labert ihr? Freunde hab ich geschrieben. Statt Freund*innen. Ok. Passiert, oder? Neue Tweets tauchen auf. Übergriffiges Angebot?! Ich? was? Schnitt, falls wir sowas haben. Telefoniert weinend mit Daphne. 

Ich hab… Daphne ich weiß nicht wie ich Sachen richtig machen kann. Ich sehe es einfach nicht mehr. Ich habe es nie gesehen, aber ich war in so einer behavoiristischen Schleife, dass es zumindest so gewirkt hat… Diese Fotzen schluchtz. Noch vor drei Jahren hätten die sich gebückt für eine Erwähnung auf meinem Blogg, ich mein, sie haben sich gebückt, und seit dieser Scheiße mit… Daphne erwiedert etwas am Phone Ja, mein Herz. Ich gehe spazieren. Du hast recht. Ja. Eine Sahne? Ja, bring ich mit. Danke. Du bist mein Fels, Mausi. Danke.


Pause


Titus wischt sich die letzten Tränen ab. Er will noch “zuende machen”


Wollen wir doch mal sehen, ob wir diesen kleinen Lümmel nicht doch noch für was gebrauchen können… Gelt, mein kleiner Krieger. Wir zeigen es der Passmann mal so richtig. Die wird betteln. Die will bestimmt an den Haaren gezogen werden, gewürgt. Ich zersäge dich, Sophie. Siehst du das? 


Das Licht- ich hoffe wir haben welches- geht aus. Wir ersparen ihm und uns die Schmach des Kommens. So viel Anstandsgefühl haben wir dann doch noch.


3 Bild


Titus (der Publizist): sitzend in einem Café vor der öffentlichen Bibliothek in Visby, Schweden. Hinter ihm Bilder von einem sonnengetränkten Park mit sprühender Fontäne, Kinder spielen (Zeitlupe). Sie sitzen unter einem völlig deplazierten Lorbeerbaum. An diesem viel zu rosane Kirschblüten.


Also der Plot steht: Es geht um eine junge Japanerin, die sich in New York in einen Bänker verliebt. Was der nicht weiß: Sie war als Jugendliche in der femPorn-Bewegung aktiv und sogar eine gefeierte Gallionsfigur. Er kommt extrem ins Straucheln mit seiner Männlichkeit, bis sie folgenden Deal vereinbaren: In dem Ferienhaus der Eltern des Protagonisten soll eine riesige dreitägige Orgie veranstaltet werden, im Laufe derer er alle seine Phantasien ausleben dürfen soll, die er jemals gehegt hat. Sie hoffen, dass er danach seinen Frieden wird machen können. Ein Kind ist auch schon im Anmarsch. Was unsere Protagonistin nicht weiß: Ihr Freund ist ein gesuchter Sexualstraftäter und Frauenmörder. Die Orgie wird zu einem Vexierspiel zwischen Wahn und Lust, Inszenierung und Wirklichkeit, Bedrohlichkeit


Daphne (seine Frau)

Was meinst du mit Vexierspiel


Titus (der Publizist)

Schatz, gute Frage. Ich denke dass meine Figuren bisher immer die Tendenz hatten als Protagonisten in einem klassischen Sinne...


Daphne (seine Frau) ihn unterbrechend

Moment mal eben… Ich werde hier nur als deine Frau geführt. Was bin ich denn nun eigentlich? Deine Muse? Diejenige deiner Freund*innen, die am besten blasen kann? Deine schärfste Kritikerin? Meine Version ändert sich je nach Interviewpartner. Und deine habe ich das Gefühl je nach Stimmungslage.


Titus (der Publizist)

Schatz, das ist doch scheißegal. Und das weißt du auch.


Daphne (seine Frau)

Ich weiß schon. Du hast recht.


Titus (der Publizist)

Ja, ich weiß


Daphne (seine Frau)

Was? Was weißt du? Dass ich das schon weiß? Oder dass du recht hast?


Titus (der Publizist)

Ja genau.


Daphne (seine Frau)

Was genau? Was von beidem?


Titus (der Publizist)

Das Erstere. Also ich weiß, dass du eigentlich selbst weißt, dass es gleichgültig ist, wie Du oder wie ich uns, also Dich in Abhängigkeit zu mir bezeichnen. Weil das was zwischen uns gehört nur uns und...


Daphne (seine Frau) ihn unterbrechend

Das ist jetzt wieder nur eitles Gelaber, mein Schatz. Was meinst du mit Vexierspiel? Das hatte ich gefragt. Mir scheint das so ein Antragssprech zu sein, den du hier mir gegenüber anschlägst. Dabei bin ich doch deine Hebamme, meintest du einmal. Deine süße Simone, meintest du. Nun werde ich hier apostrophiert wie eine Geldgeberin. Du scheinst zu vergessen, dass ich deinen Schwanz lutsche. Du schuldest mir ein Minimum an Respekt. Nicht zuletzt in deiner Sprache, junger Herr!


Titus (der Publizist)

Es tut mir leid, Daphne. Ich habe Dich nicht für das gesehen, was Du bist


Daphne (seine Frau)

Ich weiß.


Titus (der Publizist)

Was?


Daphne (seine Frau)

Ich weiß, dass Du mich nicht siehst, für was ich bin


Titus (der Publizist)

Habe ich das so gesagt?


Daphne (seine Frau)

Bin ich an Deine Vorbringungen gebunden?


Schnitt


Titus (der Publizist)

an einer Champagnerflasche herumnästelnd. Daphne mein Schatz, ich wollte, also ich dachte wir könnten, also es würde mir zumindest einstweilen nichts ausmachen, wenn, und das nur insofern du damit einverstanden wärst…


Daphne (seine Frau)

Titus, was ist los?


Titus (der Publizist)

Was? Nichts. Vielleicht bin ich etwas aufgeregt aufgrund meiner Vorbringung. Das wäre möglich


Daphne (seine Frau)

Ja, das ist völlig in Ordnung


Titus (der Publizist)

Ja, danke.


Daphne (seine Frau)

Lass es einfach zu


Titus (der Publizist)

Ja, ok. Danke


Daphne (seine Frau)

Ich habe einen Milcheinschuss


Titus (der Publizist)

völlig aus dem Konzept Was?


Daphne (seine Frau)

Nichts. Das war nur ein Witz


Titus (der Publizist)

Achso.


Pause


Daphne (seine Frau)

Also ich glaube, du hast darauf abgezielt, mir anzubieten, dass wir unser Wohnmodell aufgeben, zumindest vorläufig und…


Titus (der Publizist) sie überhörend

Ach genau, jetzt weiß ich es wieder. Ich wollte Dich fragen, ob wir diese Scheiße mit den Hotellzimmern aufhören. Zumindest vorerst. Kommt mir irgendwie outdated vor, dieses Konzept. Also keine Ahnung. Irgendwie nicht wie mein Leben… Umständliche Geste des Sich-die-flache-Hand-an-die-Brust-Führens


Daphne (seine Frau)

Ja, ist ja auch von Sartre


Titus (der Publizist) sie überhörend 

Weißt Du? So als würde ich jemand anderem seine Vorstellungen erfüllen.


Daphne (seine Frau)

nickt verständnisvoll


Titus (der Publizist)

Also. Was sagst du?


Daphne (seine Frau)

Ja, keine Ahnung. Können wir machen. Mein Zimmer ist jederzeit und fristlos kündbar


Titus (der Publizist)

Ja, das wäre schön. In ein kleines Häuschen am Rande der Stadt. Nur du und ich. Und Magnus.



4. Bild


Daphnes Freundin

Wie soll er denn heißen? 


Stille. Verzweiflung. Schock. Ist wer gestorben? Oder noch viel schlimmer: Kommt wer Neues dazu? 


Sein wunderbarer FemPorn Gedichtband?


Daphne:

Seiden /../ Sprünge. Also als zwei Substantive. Also mit zwei so Querbalken dazwischen. Weißt schon. Wie bei http, Doppelpunkt und dann. Malt in die Luft. Und zwischen diesen Balken zwei Punkte


Pause

Er meint, näher sei er dem weiblichen Prinzip noch nie gekommen. Also beim Schreiben


Freundin 

Und übersteht er den Bechtel-Test? Dein Möchtegern-Kleist?


Daphne 

Ich kanns dir nicht sagen. Ich habe keinen Durchblick. Er gibt mir ja immernoch alles zum Lesen. Aber ich glaube nur, weil er mal in einem Interview gelesen hat, dass Sartre und Simone das so gemacht haben. Ich sag dann immer, was mir als erstes einfällt und er ist dann verzückt und lobt meinen scharfen Verstand. Aber ich glaube, es geht nur ums Vorzeigen als solches. Um mich in so eine quasi-mütterliche Rolle zu drängen. Die loben ja auch jedes Bild, dass ihnen gezeigt wird und sei es auch noch so beschissen. 


Freundin

Du solltest sagen "Sartre und de Beauvoir"


Daphne

Ja. Ich habe immer Angst vor diesen französischen Phonemen


Freundin

Das ist die Angst des Patriarchats


Pause


Freundin

Kommst du morgen früh zum Brunch? Simone Dede Ayivi ist zu Besuch. Ich hab Dir von ihr erzählt. Ihr könntet Euch kennenlernen. 


Daphne

Schwierig. Ich muss Magnus zur Vorschule fahren. Er hat Berufsakademie.


Freundin

Danach?


Daphne

Mal schauen. Um elf hab ich Verhandlung. Das wird unentspannt


Freundin

Ich muss jetzt mal sagen: Ich wäre dir gerne eine Antagonistin. Jetzt und allgemein. Nicht zuletzt zum Behufe der internen Dramaturgie unseres Gespräches. Ich könnte die Gegenstimme sein. Das weibliche Prinzip, das du in den Bereich des Abjekten verwiesen hast, weil dein bis zum Eisprung feminisierter Lebensabschnittsgefährte wenngleich er immer von Auflösung der Binarismen fabuliert, dir nichtsdestoweniger die Rolle…

 

Daphne sie unterbrechend

Ich bin müde


Pause


Freundin 

Ich weiß, ich sehe das. Überlegt. Es genügt nicht, dass du Parität forderst. Es genügt nicht einmal, dass du Parität lebst, weil dann verschimmeln die Berge an Wäsche…


Daphne

Nein. Du missverstehst mich. Ich bin müde, weil ich gestern mit Titus bis 3 Uhr Netflix geschaut hab.


Freundin 

Achso. Ja. 


Pause


Ich wollte dich noch was fragen. Und zwar hat meine Jüngste einen neuen Freund. Ein guter Junge, hab den schon kennengelernt. Außerdem solider Twitterauftritt für einen 14jährigen. Engagiert bei BLM und schlagmichtot.  Anyways. Er hat neulich von einem Bullen eins auf die Fresse bekommen. Es gibt auch ein Video. Und wir denken über eine Amtshaftung nach. Also er hat nichts gemacht, das sieht man. Ist nicht mal einen Schritt auf den zugegangen…


Daphne

Ich glaubs Dir, musst nicht gleich ausfallend werden


Freundin 

Sorry


Daphne

Ja, also. Schwierig.


Freundin 

Ja, dachte ich mir. Wollte nur mal fragen. Nach der Aussicht auf Erfolg.


Daphne

Ja, fragen kostet nichts

 

Freundin 

Ja, außer man fragt einen Anwalt. Dann kostet es 100 die Stunde


Daphne

Ja, das steht so im RVG


Freundin 

Ja. Klar


Daphne

Du, ich muss auch los. Magnus muss noch Vorbereitungsaufgaben machen. Für das Assessment-Center im Rahmen der…


Freundin 

Ja, ja. Kein Problem


Pause


Daphne

Du. Warum eigentlich Möchtegern-Kleist?


Freundin 

Was? Achso. Keine Ahnung. Der Titel von Titus Vorhaben hat mich an die Marquise von O… erinnert. Die Parenthese in dem Text, als die Vergewaltigung passiert, also das Zeichen malt in die Luft wurde vereinzelt als ein Schwanz gedeuet. Also als wäre die Parenthese, diese Auslassung… Sie verliert den Faden. Also dieses Ding, das Ding, dass in die bewusstlose Möse der Marquise eindringt. Überlegt. Und da den Kind als Schaden verursacht. Als unerhörtes Ereignis gleichermaßen. Sie verliert wieder den Faden. Es ist ein Kampf wie bei einer anfänglich dementen Person. Und bei deinem Titus, die zwei Querbalken mit den zwei wichtigen Punkten dazwischen klingt schon sehr nach einem spezifisch männlichen Blick auf das, was sie immer Vagina nennen was aber eigentlich Vulva...


Daphne sie unterbrechend

Ja, was du sagst ist durchaus interessant. Reich an Assoziationen. Gewagt. Ein bisschen wie QAnon. Dennoch….


Schnitt


Freundin 

Wer?


Daphne

Eilert


Freundin 

Sagt mir nichts


Daphne

Ist ewig her, dass ich dir von ihm erzählt hab


Freundin 

Ja. Wien sagst du?


Daphne

Ja, er hat so einen Vortrag gehalten bei so einem Symposium. Elfriede Jelinek und die europäischen Kulturen oder irgendsowas. Ist auch bums. Wir haben uns jedenfalls neulich Abend getroffen, weil er in der Stadt war für eine…


Freundin 

Scheißegal


Daphne

Ja. Scheißegal. Also jedenfalls waren wir bei dem Thai am Bahnhof und haben furchtbar schlechtes Chicken gegessen und und in einem fort über alles Mögliche und Unmögliche unterhalten. Er promoviert gerade zu der Frage des…


Freundin 

Scheißegal


Daphne

Ja. Scheißegal. Also jedenfalls sind wir dann noch weiter in die Terminusklause


Freundin 

Terminusklause?


Daphne

Ja


Freundin 

Die gibt es doch gar nicht mehr


Daphne

Achso. Dann war das in einem Buch


Freundin

Scheißegal


Daphne

Ja. Scheißegal. Also jedenfalls waren wir da und haben Biere getrunken und er meinte sein Hotelzimmer ist in der Nähe, er könne mir noch die Sportstück-Aufnahme von Schleef zeigen, die nur ihm überlassen wurde, was mich tatsächlich krass interessiert, weil…


Freundin

Scheißegal


Daphne

Ja. Scheißegal. Also jedenfalls waren wir da. Also wir waren dann da und er hat immer das Video angehalten an nach seinem Erachten wichtigen Stellen, was interessant war, weil ich…


Freundin

Und? Habt ihr?


Daphne

Jein. Also wir haben...


Freundin

Scheißegal. Beide sind total fertig. leergeredet.


Daphne

Ja. Stimmt. Aber das krasse ist jedenfalls...


Freundin

Ja voll krass, ich muss jedenfalls weg. Leyla, 13, adoptiert, braucht Hilfe bei ihren Englisch Hausaufgaben. Wenn sie nächstes Jahr in die Berufsakademie wechselt, möchte ich gewährleisten, dass sie...


Daphne

Auf jeden Fall. Diesen Punkt kann ich unverbrüchlich nachvollziehen, denn es ist nicht zuletzt das gesellschaftlich omnipräsente Dispositiv, das den einzelnen...


Freundin

Es ist immer so schön mit Dir zu reden, meine Liebe...


Daphne völlig übergangslos in den alten Gesprächsgegenstand einsteigend: Gegen Möchtegern-Kleist würde zumindest sprechen, dass er gerade mit einem geleasten Citroen Xsara durch die Gegend fährt, weil ab einer Fortnutzung von 6 Monaten nach Schadensfall der Geschädigte fiktive Reparaturkosten geltend machen kann und Titus, chronisch pleite und an meiner Zitze quengelnd hängend...


Freundin sie unterbrechend

Entschuldige. Ich denke, das alles so vor Augen geführt zu bekommen, macht mich eher traurig. Also insoweit es Dir kein innerliches Bedürfnis ist davon zu erzählen, wäre es mir glaube ich lieber…


Daphne

Aber klar, natürlich. Ich bitte vielmals um Entschuldigung


Freundin 

Nein, nein. Kein Problem. Ich bitte dich.


Daphne

Doch, nein, ich bin untröstlich


Freundin 

Ach was, nein… und so fort


vom Band, während beide abgehen oder nur stumm und entleert dasitzen, s.o.:

Der Brunch morgen ist mir wichtig. Das hat sie nicht verstanden. Oder verstehen wollen. Es geht um Networking. Um Solidarität. Die Sorgennetze werden immer löchriger, wenn jeder und jede nur noch ihren eigenen Arsch rettet. 


aparte Haben Sie schon mal überlegt, ob Sie als Polizist einem 14-Jährigen auf die Fresse hauen würden. Also nicht, ob Sie konkret als hier sitzender, sich sicher super links und progressiv wähnender Theaterzuschauer, das meine ich nicht. Ich meine Sie-als-Polizist. Macht eine Geste als würde sie zwei Sandburgen ineinander schütten. Überlegen Sie doch mal. Nur so als ob. Würde mich interessieren. Aber Sie sagen mal wieder alle nichts. Weil sich das hier nicht gehört. Ja. Machen Sie nur genau so weiter. Ist mir schnurz. 


Pause


Aber sagt nachher nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt.


Werbepause 1


In voller Länge: Syxtn - Er will Sex


Währenddessen bearbeitet Daphne am Schreibtisch aus Bild 2 im Bildschirmmodus ein Revisionsurteil aus dem Fall Görgülü. Umbau, Türen auf, Saallicht an, Langnese-Eis wird verkauft. Eine horde Teenies aus dem Publikum wirft mit Popcorn. Das Übliche.


Eine E Mail ploppt auf. Eilertloveborg1992@hotmail.com. Sehr geehrte Damen und Herren der “Hohen Akademie” Wie bereits angekündigt, hier meine Einreichung für den Zukunftspreis2025. Mit herzlichem Dank im Voraus und mit freundlichen Grüßen Eilert Loveberg. Von meinem Iphone gesendet



5. Bild


Daphne (seine Frau)

Schatz, du hast ein Problem


Titus (der Publizist)

Ja, ich weiß, welches meinst du?


Daphne (seine Frau)

Dein Problem ist Dein Umgang mit Twitter, mit Whatsapp, mit Uber, mit Youtube mit Tinder, mit Snapchat, mit Instagram, insbesondere sehe ich ein Problem in deinem Umgang mit Facebook…


Titus (der Publizist)

Schatz, ich bin Publizist


Daphne (seine Frau)

ich weiß mein Schatz. Das sagst Du immer wieder. Allen. Und insbesondere deinem Vater. lange Pause. beide holen Luft. Sie werden sie brauchen Ja, war der stolz, als Du ihm damals in den 90ern die ersten Entwürfe deines Blogs auf Deinem ATARI-Rechner gezeigt hast. weiter fürsorglich Ich weiß noch. Ihr hattet beide ein Glas Whiskey in der Hand und seine Manschettenknöpfe haben auf der gläsernen Tischplatte nervöse Hüpfer gemacht, als er mit der Maus über Deine Benutzeroberfläche gefahren ist. Ich glaube mit demselben Begehren hat er zuletzt in den frühen Siebzigerjahren einen Körper abgetastet. So zumindest suggerieren seine immer leicht klebrigen Erzählungen es. Hiermit, hast du in staatsmännischer Manier gesagt, mit einem verträumten Blick auf den Röhrenbildschirm, der eines Walther von der Vogelweide würdig gewesen wäre, hiermit, meintest du, werde ich von der ganzen Welt gehört werden.


Titus (der Publizist)

Schatz, ich weiß noch, dass mir damals die Formulierung “werde...werden” irgendwie dumm vorkam. Vielleicht wegen der passivischen Konstruktion. Ich denke das suggeriert ein wenig, dass ich auf die Gunst der Leute angewiesen wäre. Als ob das Hören, das passive Empfangen, als ob das ein Geschenk wäre. Als ob diese Prägung des reinen Mangels in irgendeiner Form der Mitwirkung, des Lubrikats der... 


Daphne (seine Frau) ihn unterbrechend

Das ist jetzt wieder nur eitles Gelaber. Das können wir gerne gleich wieder machen. Ich wollte kurz einen Punkt machen.


Titus (der Publizist)

Achso Schatz, na klar. Gerne


Daphne (seine Frau) fürsorglich

Wie sage ich das jetzt ohne dass Du wieder an einer ganz sensiblen Stelle getroffen wirst, was ich wirklich nicht möchte, weil ich Dich natürlich ungeheuer gern hab, mein kleiner Vogel. Sie lächelt verzückt. Naja, seit diesem oben bezeichneten ich nenne es jetzt mal Vorhaben hast du ganz wunderbare Sachen gemacht. Also die Kolumne über fragile Maskulinität hat dich ja wirklich viele graue Haare gekostet, aber dich in meinen Augen nur noch viel mehr zum Sean Connery der Bloggerszene ge…



Titus (der Publizist)

Schatz, ich hab tausendmal gesagt, dass ich dieses Scheißwort


Daphne (seine Frau) fürsorglich

Oh mein Gott, entschuldige. Ich bin so ungeschickt. Das weiß ich ja. Du ich habe echt Kopfweh grade und meine Periode ist auch nicht mehr weit. Das muss Dir bewusst sein. Ich meine das aber gar nicht diskreditierend. Ich meine das wertschätzend. Ich war nie Teil einer Szene. Wurde zitiert, auf Feste eingeladen, verlinkt, ich beneide das sehr. Diese Konnektivität, das war schon immer Deine Stärke. Weißt Du, Richterin sein, das meint man nicht, ist seinem Wesen nach eine zutiefst monologische Tätigkeit. Und Du hast dich immer dahingehend in die Gesellschaft eingebracht, dass Du den Austausch gesucht hast. Den Dialog gepusht, wo es nur geht. Mich hat das oft in den Wahnsinn getrieben, diese ellenlangen Diskussionen an Premierenfeiern. Zunehmend paralysiert von Gin Tonics. Ich wollte immer lieber ficken nach solchen Kulturveranstaltungen. Aber ich hab dich ganz tief bewundert für dieses Tiger-Mama-Verhalten. Du hast in diesen Diskussionen gleichermaßen ultra männlich gewirkt als auch sehr fürsorglich. Und zwar  der gesamten Gesellschaft gegenüber…


Titus (der Publizist)

Ich weiß, das war immer so süß von Dir, wie du am Ende des Abends völlig entnervt im Uber an meiner Hose rumgefummelt hast und meintest…


Daphne (seine Frau) fürsorglich

Lass mich bitte noch kurz den Punkt machen, bitte, was ich nur meine: Das ist deine Stärke. Und die ist so so groß und stark. Und ja, wie soll ich sagen. Ich glaube mit den Sachen, die Du gerade so machst, die ja alle toll sind kann man viel bewirken. Und ich glaube gleichzeitig dass man mit gewissen Medien diesem Anspruch nach, wie soll ich es nennen… ja Konnektivität schwerer gerecht wird, als mit anderen. Genau. Das ist mein einziger Punkt. Und du wirst ja noch nichtmal bezahlt für die ganzen Worte, die du da verlierst gegenüber deinen engsten Peers. Oder? Zahlen die für Werbung, oder wie läuft das?


Titus (der Publizist) bricht zusammen. Er schluchzt nur in seine Handflächen, der eigentliche Text kommt vom Band oder der Souffleuse: 


Ich kann nicht mehr schreiben, Daphne. Ich bin leer. Ich habe seit zwei Wochen nur so getan, als ob ich schreiben würde. Ich habe nichts produziert. Ich habe nichts recherchiert. Ich habe nichtmal etwas gedacht, was mir valide erscheint. Ich bin müde, ich bin nervös. Ich weiß nicht was ich will. Mein ganzes Wirken schien bislang nur daran ausgerichtet zu sein, irgendjemandem zu gefallen. Wem wusste ich nicht. Zwischendurch dachte ich einmal kurz, das wärst du. Aber jetzt. Also jüngst. Ich meine in letzter Zeit, sagen wir seit geraumer Zeit namentlich in maßgeblicher Weise seit dem Zeitpunkt, wo mich diese 200 Flittchen von der Filmhochschule Offenburg kollektiv beleidigt haben, fühlt sich dieses meine Vorhaben von der Welt geliebt zu werden wie ein schales Bier an. Ich habe gerade kein besseres Bild. Ich habe ohnehin keine Bilder mehr. Die Greta Thunbergs dieser Welt und ihre impotenten Abgesandt*innen haben mir jegliche Phantasie vergewaltigt mit ihrem erbärmlichen Konkretismus. Mit ihrer Säkularreligion. Ich kann nicht mehr, Daphne. Ich brauche Urlaub. Und das so bald wie möglich. Auch Selbstfürsorge ist politische Kriegsführung


Schnitt

 

Titus (der Publizist)

aparte Ich habe das gelesen von diesem Loveberg. Und ich muss gestehen, ich zittere immernoch. Meine Stirn ist wie massiert, wundersam durchblutet von so viel wonniger Wahrheit wie nach einem guten Orgasmus. Heißer Scheiß, ich muss schon sagen. Großes Kindertennis. Zu Daphne. Ganz oke


Daphne (seine Frau)

nickt


Titus (der Publizist)

Wie findest du es denn?


Daphne (seine Frau)

-


Titus (der Publizist) ihre Antwort nicht abwartend: Also. Wirft die Stirn in Falten, als ob er saure Milch tränke: Ich kanns dir nicht sagen. Irgendwie mag ich diesen Dude nicht. Ich habe den Verdacht, er hat ein problematisches Konzept von Kultur. Ich kenn den irgendwo her. Von früher. Womöglich hat der sich auch in diesen Yung Hurn-Kreisen getummelt, ich weiß es aber grade beim besten Willen nicht mehr. Aber ich möchte das gerne ohne Kommentar an die Jury weiterleiten, und schauen, was die meinen. 


Daphne (seine Frau)

Ja. Ein problematisches Konzept. Kannst du das darlegen? Ich finde das spannend


Titus (der Publizist)

Ja, also er schreibt über  


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6. Bild 


Titus (der Publizist)

Junger Freund. Komm mal bitte her. Auftritt Magnus. Hier. Sitz! Platz! Leckerli

Mir ist zu Ohren gekommen, dass Du gestern nicht in der Berufsakademie erschienen bist. Gestern war der Eignungstestvorbereitungskurs Modul II („römisch zweitens“) zum Thema Schlüsselkompetenzen in der Privat- und Kreativwirtschaft. Das hast du jetzt verpasst. Das finden wir beide, deine Ziehmutter und ich, nicht zustimmungswürdig. Hast du etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen? Ein Quaken vom Band wie bei den Peanuts. Junger Mann. Das ist jetzt mal ganz diplomatisch gesagt, ein Scheißargument, dass du bei den fridays for future warst. Außer du kannst darlegen, dass mit Deiner Anwesenheit dort, die Weltpolitik sich veranlasst sieht, ihre Quaken vom Band. Ich lasse mich nicht unterbrechen, Herr Neunmalklug. Weltpolitik sich veranlasst sieht, ihre komplizierten Interessensabwägungen zum unbestreitbar alternativlosen Sicherungszweck eternal growth, also als eine Art atomic kittensches Eternal Flame nur ohne Energieerhaltung, zum Behufe dieses Sicherungszweckes also, faktisch zu ändern. Ausatmen.


Ich meine, ansonsten habe ich keine Argument gehört, außer dass du dich in eine vierzehnjährige Autistin verliebt hast. Ich gehe ja auch nicht her und poste auf Facebook, dass ich jetzt Merkel wähle schreit WEIL ICH DIE HALTUNG VON ANGELA MERKEL ZUR FLÜCHTLINGSFRAGE BEWUNDERE. 

Auf dein Zimmer, Junge! Quaken vom Band  Keine Wiederrede! Magnus trollt sich. Der Verleger Assessor Brack tritt auf.

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6. Bild


Titus (der Publizist): sinnierend

Ich habe dir das nie erzählt. Aber ich bin sehr verletzlich. Ich denke ich gehöre zu einer vulnerablen Gruppe Männer, deren Bedürfnisse heutzutage gar nicht, oder noch nicht gesehen werden. Ich erinnere mich an die Zeit als ich als wissenschaftliche Hilfskraft an der Tokyo University beschäftigt war. Der Tag bestand aus dem Geräusch des Kopierers im Institut, dem Umblättern der Seiten. Kaffe. Raucherpause am Fuße des Gebäudes, dessen Fenster nach oben kleiner werden um die Demütigung in Architektur zu gießen. Wieder kopieren und Literaturverzeichnisse korrigieren. So viel, dass meine eigene Kunst und Lektüre darunter litt. Dies alles in der totalen Vereinsamung. Ein physischer Krampf in meiner Brust. So wenig Leben. Und dann: Dieses Gebäude! Der schlimmste Brutalismus. Untechnisch gesprochen jetzt. Die Gänge gebogen, auf dass man ihr Ende nicht sieht. Alle Menschen, die sich dort bewegen, wirken wie tot. Sind es mitunter. Man stürzte sich aus den Fenstern. Einmal trank ich Kaffee und ein Körper flog an der Fassade herunter. Landete auf dem Paravent. Es blieb mir nichts. Ich stand auf und kopierte weiter.


Daphne (seine Frau)

Ich mag es nicht, wie Du Dein Präteritum inszenierst. Und was heißt das: “meine Kunst darunter litt”? Bist du ein verhinderter Werther oder was? Das alles müsstest Du präzisieren, wenn Du von mir ernstgenommen werden willst. Falls es Dir darum überhaupt geht. Aber wo ich Dir entschieden widersprechen muss, ist der Punkt mit der vulnerablen Gruppe, ich finde es schlicht eine Unpräzision, wenn Du als...


Titus (der Publizist) sie unterbrechend:

Um was sollte es mir denn sonst gehen? 


Daphne (seine Frau)

Wie bitte?


Titus (der Publizist) Du meintest eben: das alles müsstest Du präzisieren, wenn Du von mir ernstgenommen werden willst. Falls es Dir darum überhaupt geht. Um was sollte es mir denn sonst gehen?


Das folgende als Diderotsches outré in einer unaufgeregten Big-Brother-Ästhetik. Den Text dazu bitte selbst erfinden, ich kann hier auch nicht alles alleine machen. 


-Liebeserklärung M an D “Ich wollte dir eigentlich nur mit Rechtsbindungswillen sagen, dass ich dich liebe” -- “Ja, danke ist unter Fristwahrung zugegangen, und wird gleich morgen an die Geschäftsstelle weitergeleitet”


-Eingeständnis totaler Schreibblockade “Du ich kann wirklich nicht mehr. Wir sollten wirklich bald in den Urlaub” 


-Die 100ste Einreichung für den Zukunftspreis ist eingetroffen “Titus an einer Champagnerflasche herumnästelnd: Das müssen wir feiern, Schatz. Das ist eine ganz neue Dimension von Utopismus


-Man phantasiert von der Gründung eines Theaterhauses / Gin ist im Spiel “Wie wäre es, wenn wir einfach einen eigenen Container aufmachen? Und da kann jeder reinkommen und spielen und leben der Sympathisch ist. Und jeder der uns mag, kriegt unser Einmaleins gelehrt”


-Am Schluss Sex auf der Designercouch (zensiert)

/ Nachricht von Eilert ploppt auf während D am Klo ist (Bildschirmansicht) Klopstock-Moment 


8. Bild

Mauerschau-Duktus. Talking heads im Galeriemodus von ZOOM auf der Leinwand im Hintergrund. Zeitlupe. Die großen Fragen werden verhandelt. Gesten der Selbstoffenbarung. Vorne die Schauspieler*innen als analoge Körper. Sie kotzen die Sprache einfach nur heraus.


Chor

Wir sind alle in diese Scheiße geraten, ohne wirklich darum gebeten zu haben. Höchstens mittelbar. 


Jetzt sitzen wir hier vor unseren Live-Cams // Haben alles vorgebracht, was wir an Ideen für die Rettung respektive Neugestaltung der Welt auf Lager haben. //Alle Sorgennetze bis zur Teppichhaftigkeit gestrickt


Haben uns ausreden lassen // Korrekt gegendert // Uns in dem Eiter unseres Selbsthasses gesuhlt


Und immer noch alles scheiße // (Alles zum Davonlaufen scheiße) // Wir hoffen, dass es keiner merkt, sodass wir uns zumindest diese Schmach ersparen können.


Es wurde referiert // Diskutiert // Introduziert // Rein verbal wurde auch etwas masturbiert// Ja, tatsächlich nicht zu knapp, to be honest


Auf der Agora haben die Besten des Landes ihre Ideen unterbreitet und das Volk // Ja, das Volk hat wie immer geschwiegen, bereit durch Geraune und empörtes Grummeln seine Stimme zu erheben gegen die Pharisäer und deren undergecutteten Strohmänner zu ihrer Rechten// (Wir verstehen eure Sprache, auch wenn wir sie nicht sprechen können) 


Doch auf einmal kippt die Stimmung // Weil sich die Mädels aus dem Offenburger Studiengang eingeloggt haben und den einen Juroren als Faschisten bezeichnen // Sie haben eine Pappmaschée-Skulptur dabei, die wohl… // Eine Vulva darstellen soll?


Diese ist überlebensgroß // Tatsächlich ist sie so groß wie eine ausgewachsene Person! // Die machen eine Performance!


Man hätte den ZOOM-Link nicht online auf die Seite des Literaturhauses stellen sollen // Ich hätte das wissen müssen // Ja, Schatz, das hättest du


In der Vulva // So etwas hat das Menschengeschlecht noch nie gesehen // Eine Performerin, die Ketchup aus einer Öffnung spritzt, welches eine andere Performerin mit dem Mund demonstrativ auffängt.


Wir staunen // Runzeln die Stirn // und schnauben // (das Bild ist durchaus eingängig)


Untertitelt ist die Nummer// nicht unoriginell // mit den Worten “We cumshoot back -- Kreativpatriarchat kastrieren” // Wie können sie ein Live-Video untertiteln?


Der eine Juror, eben noch gefasst, ich glaube er ist von der BHF-Bank-Stiftung // Drischt mit seiner Maus auf seinen Laptopbildschirm ein // Die schäumende Wut der Jahre verzerrt sein Antlitz zur Unkenntlichkeit


Zwei andere // Eben noch das Wort Solidarität bis zur Überdehnung gespannt // Loggen sich aus der Konferenz aus // Als wären sie nie dagewesen // (Die Badische Zeitung und der Bierbauch von der Sparkasse)


Es ist dies der Moment


Der fallenden Stecknadel


des vulkanischen Hasses


der Medeaschen Bitterkeit


vor dem Staunen. Siehe, der Mensch.


Eilert tritt aus dem Chor heraus

Ich bin jetzt hier der Protagonist. Und ich stehe für die Tat. Und die Liebe ein. Nimmt Daphne mit, ohne sie zu entführen. Komm Schatz, wir gehen. Beide ab.


Die Liebe ist weg. Die Tat hat sie mitgenommen. Was haben wir jetzt noch übrig, wofür es sich zu kämpfen, gar zu sterben, lohnt?


Titus bricht zusammen


Es überschlagen sich die Ereignisse. Mit der Vulva hat alles angefangen. Jetzt sind schon zwei getürmt und einer hat das Leben gelassen


Aus Schock // Oder etwa aus der blanken Angst weiterzuleben ohne die Liebe? // Das war nicht ersichtlich // Und ist auch nicht weiter relevant


Somit sind von den Finalisten-Einreichungen zum Zukunftspreis2025 nur noch // Es stockt der Atem // Tatsächlich nur noch zwei übrig


Wo sind die Versorgungswissenschaftler*innen mit ihrem Essay über Lobbyismus, aus dem eine künstlersich auffrisierte Shaming-App werden sollte?! // Sie sind weg mein Kind. Sie suchen ihr Glück woanders, wo sie als Frauen nicht mehr nur mitgemeint sind


Und wo das feministische Pflegerinnenkollektiv, das Sexarbeit und Carework über Onlyfans verbinden wollte, die ganze Soße per crowdfunding live gestreamt? // Ihre Verbindung ist gekappt, mein Junge. Sie können dort nicht bleiben, wo man sie verbal mit Füßen tritt


Wie haben wir die Mitstreiter*innen verloren, deren Kampfgeist, einst auf das Wohl aller, Mensch wie Tier,  gerichtet, sich in Gram gegen den Feind des Feindes nun heillos zu versticken scheint? // Es ist das Werk deines Vaters, mein Sohn. Des heillosen feuertrunkenen Brückenbauers, der seinen Feind fahrlässig nicht kannte oder schuldhaft hätte kennen müssen.


Der Gewinner // Denn ohne einen solchen können die Spiele wie das Leben nie das Ende finden // Ist somit von den Übrigen derjenige mit den meisten Juror*innenstimmen, wobei die Jury sich, ausgedünnt auf die tapfre Daphne, einstimmig zu diesem verhalten wird.


Daphne tritt der Konferenz bei:

Also ich habe entschieden, dass der Preis an den Eilert gehen soll. Seitenblick. Mit seinem Projekt Gründung eines mediatorischen Theaterstartups, Güteverhandlung per App, Sachverhalt in Lehrstück eingespeist, und so weiter. Das scheint mir irgendwie das realistischere von den beiden Finalisten zu sein. Und letztes Jahr hatten wir eher so was Utopisches, ich denke, dann ist das fair. Also Zuschlag ist erteilt. Die Verhandlung ist somit geschlossen.


Chor gravitätisch ab. Nur die Leiche bleibt und Magnus 



9. Bild


Magnus (bitte findet einen, der* schlecht spielt. Ich kann diese ganzen polierten Stadttheaterfressen mit ihrem phonetisch bereinigten Blockbustersprech wirklich nicht mehr sehen, und mir gebühren schließlich die Urheber- und Nutzungsrechte…) auf einmal in einer Art Faschingskostüm eines Gegenkaisers. Er hat eine Perücke, die irgendeine Mischung aus Elfriede Jelinek und Greta Tunberg darstellen könnte. Aber nicht kann. Davon sind wir weit entfernt, ein Szepter und einen Apfel in der Hand. Überhaupt wirken seine Worte seltsam auswendiggelernt. Wie bei einem Schauspielschulvorsprechen. Der Ausdruck vor dem Erlernen der Technik.


How dare you?


Lange Pause


Mom’s spaghetti 


Pause


Ja Papa! Er betont auf der zweiten Silbe, wie ein Wiener. Es ist an der Zeit, das vor allen hier zu sagen. Ich hab dem Palak seinen Schniedelwurz in den Mund genommen. Und der hat das gemocht. Und ich hab das auch gemocht. Wir behalten uns außerdem vor, das nocheinmal zu machen,und nochmal, so oft, bis wir davon genug haben. Und vielleicht noch öfter. Das kommt dir jetzt sicher etwas überraschend, aber im Sinne eines Schlussmonologs als Ganzes sicher nicht deplaziert. 


Und in meiner Nachtschatulle, das möchte ich jetzt hier vor allen zugeben. In dieser Schatulle, weil sich das sicher viele gefragt haben, ist ein Bildchen. und dieses Bildchen, das wird dir nicht gefallen. Er holt ein zerknittertes Polaroid aus der Gesäßtasche. Gretchen T. Diese Frau liebe ich. Sie ist meine Mutter, nicht Du, Titus. Sie ist die Mutter Erde. Du bist nur ein kastrierter Zeus, Papa! Da ist er wieder, der dumme Wiener. Und ich höre nicht länger auf dein Geschwafel. Er redet zu allen wie ein Guru und steigt über die Leiche seines Vaters, die im Weg liegt. Merk dir das. Ich halt mir die Ohren zu, wenn du etwas tweetest. Ich sag meinen Freundinnen auf dem Pausenhof, dass sie Dich unfollowen sollen. Dass du nur nach ihrer Bewunderung dürstest, die Du als Begehren missdeutest. Die Welt braucht dich nicht mehr, Papa. Da ist er wieder. Die Welt spuckt dich aus. Du bist ihr zu bitter geworden, du verbitterter, kastrierter… Er beruhigt sich. Macht den herabschauenden Hund. Und fährt fort. schuldkomplexzerfressener…Er beruhigt sich. Macht den herabschauenden Hund. Und fährt fort.

Das tut mir weh, diese Beschimpfung zu ende zu machen. Daher lass ich das jetzt auch. Und noch was. Ich werden ein Steuerberater, Papa. Wiener. Das hat der Eignungstest bei der Berufsakademie ergeben. 67 %, also ganze 5% mehr als die Eignung bezüglich der Berufsgruppen Florist, Chiropraktiker, Universitätsprofessor und Autor von Gedichtbänden. Und aus Spaß Papa, aus reinstem Vergnügen, habe ich heute ein Gedicht über die Natur vollendet. Er holt einen Zettel aus der Gesäßtasche Ein affirmatives. Ich weiß, dass du es nicht hören willst, oder in irgendeiner Form damit assoziiert werden möchtest, deshalb trage ich es jetzt und hier vor allen vor. Die Frucht deiner Lenden ist eine unkritische Schwuchtel. Das hast du jetzt von deinem Narzissmus du weinerliche…Seine Stimme bricht ab. Mit letzter Kraft liest vom Blatt:


- Hofmannsthal-Manier(ismus)

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ENDE DER BEARBEITUNG




























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