Krise? Welche Krise? (oder: Tanzen ist kein Vergehen)

Erik Petersen glasiert im Düsseldorfer Schauspielhaus Footloose mit einer linksautonomen Patina und entfaltet dennoch ihren ganzen (schützenswerten) heteronormativen Gehalt 


§ 1 [Die Welt vergessen oder: Gesetzesänderung JETZT] 

Es spannt in uns. Die Affekte stauen sich, sowohl die Begierde als auch der Bewegungstrieb. All das lässt sich nicht mehr sublimieren in einer emphatischen Lektüre der Geschichten des Ritters Camelot. Und ich liege hier im Bett und kann nicht anders, als mich zu fragen, wie viel mehr auf meinem Gehaltszettel steht, wenn der Soli erst abgeschafft ist. Ich habe mich an Orten beworben, deren Name mein Vater nicht einmal kennt, der holt gerade Brötchen und vergisst über Walt Whittmans Heimattümelei den Menschenhandel in Libyen. Der sollte eigentlich in seiner Predigt angesprochen werden, der inspirierende Mann Gottes sollte offen sein, für die Visionen eines Macron, für die Pläne Chinas zur Neuen Seidenstraße, sollte das Gras der Welt wachsen hören, anstatt den Erzeugnissen der ortsansässigen Bäckersleut zu huldigen. Die gibt es bald ohnehin nicht mehr, sie werden durch Roboter ersetzt und so sparen wir Lohnnebenkosten und auch Lohnkosten und auch die nervige Scheiße mit dem Betriebsrat und mit den Gewerkschaften. Aber noch gibt es sie. Noch beiße ich in diese Weizenerzeugnisse, in denen die Tradition von Generationen schwäbischer Gastwirte steckt. Noch hat der Sog der Sankt Petersburger Edel-Gastronomie eine Niederlage erlitten gegen die Pflichtschuldigkeit der Familie und dem Heimatort gegenüber. Das Wir gewinnt. Und das Wir lässt sich einfach nicht outsourcen in verschiedene Du-ich-Konstellationen, die die Privatautonomie des BGB mir so kompliziert zu sichern sucht. Das gibt es nur unter Leuten. Unterleuten, das ist dort, wo man sich mit den Autos die Klärgruben verstellt um Rasenmäherexzesse des Nachbarn zu unterbinden. Der A könnte den B im Sinne des § 240 durch die Drohung mit einem empfindlichen fäkalen Übel zu einer Handlung oder Unterlassung gedrängt haben, indem er das klein-klein um einzelne Interessen einfach mal beiseite gelassen und mit seinem Ford Fiesta blanke Tatsachen geschaffen hat. Das geht ja so scheiße einfach heutzutage. Wenn ich mit Sprache handeln könnte, dann könnte ich mir ja wirklich dieses ganze klein-klein schenken und über Twitter kurz vor dem Brötchenholen mal eben den Menschenhandel in Libyen beseitigen.

(Danke an Jagoda Marinic, deren SZ-Kulumne vom 2./3. Dezember den Stein des Anstoßes geliefert hat)

§ 2 [Träger von Ideen]

Wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Ich trage meines und Du Deines und jeder das seine. Und wenn ich eben eine pfundige Sympathieträgerin bin, dann trage ich besonders schwer. Ich werde nicht auf dem Tisch des Dinnerrestaurants liegen können, ohne dass die Leute raunen und angestoßen, enthemmt aus ihrer Mitte gebracht, diesen symbolischen Akt (jemanden mit meinem Körperumfang in die gebahnte Normalität der Nebenrollen-Narration zu integrieren) torpedieren, mit ihrem spontanen Gefallen am Missfallen. Die aus der Bahn Geworfenen lachen sich frei und norden mich, die hier gerade auf dem Tisch im Diner begattet wird, wieder ein. Korrigieren meinen Markt- und Verkehrswert, auf dass ich nächstes Mal für einen angemessenen Preis über den Tresen gehe. Wie leicht hatte es da diese willensstarke Ariel. Sie, die getragen wird. Leicht wie eine Feder schwingt sie dieser Chuck über seine Schulter und rennt mit ihr zur Bühnenkante. Dort wird ihr Hintern dem Publikum zu gewandt sein (und nur dieser und ihre Waden und Oberschenkel), denn den Rest trägt man wie einen Sack über der Schulter, wenn man ein renommierter Schulschwänzer (Westentaschenanarcho, den Institutionenmarschierer wird sie sich im letzten Akt verdient haben) ist, und man kann ihr vor den Augen Aller einen herzhaften Klaps auf ihre Backen verpassen. Später, beim Applaus, werden alle aufstehen und im Gleichtakt klatschen. Sich einschwören auf die selbe Werteordnung, in der das Tanzen die unerträgliche Enge im Denken sublimiert. In der die kontrollierte Anarchie den Haussegen sichert. Ob die Gesetzesänderung auf lange Sicht folgt, ob die alten Kräfteordnungen fallen, oder die Macht plötzlich milde wird, das müssen wir noch abwarten. Aber heute ist erstmal Party.

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