Versuch einer Theaterkritik
Hier passiert Politik (auf unterhaltsame Weise)
Marco Dott lässt am Salzburger Landestheater Europa an der Brüsseler Bürokratie und dem Brexit scheitern.
Hotels als Parabeln auf eine mehr oder weniger funktionierende Gesellschaft sind ein beliebtes literarisches Mittel. Man denke zum Beispiel an Joseph Roths Hotel Savoy (warum kenne ich eigentlich keinen Text, der das Theater zu einem solches Gleichnis heranzieht? Auch hier gäbe es Wäschereien, Finanzierungsengpässe und fest zugewiesene sozio-kulturelle Rollenschemata in Etagen eingeteilt!)
In dem Landestheater Salzburg, das an diesem 2. Advent so stolz neben dem aristokratischen Hotel Bristol aufragt, ist das Prinzip Parabel jedoch bis zur fastfoodhaften Konsumierbarkeit heruntergebrochen.
Da ist zum einen das Zimmermädchen / die Putzfrau (einzige PoC im Ensemble), das engelsstimmig von ihrer Suche nach ""einem kleinen bisschen Glück" trällert, welche, dramaturgisch gar nicht subtil mit der Bereicherungshochzeit aus ABBAs Money Money Money verknüpft ist. (wir erinnern uns: in my dreams, I have a plan, if I got me a wealthy man...). Zwischen den Zeilen wird lesbar: Die Debatte um die Wirtschaftsflüchtlinge soll aus den heiligen Hallen des Theaters neuen Treibstoff erhalten.
Dementsprechend ist der einzig ambitionierte Arbeiter in dieser Vielvölker-Bruchbude auch der Portier (grandios-quirlig: G. Schleuning), der sich aus dem krisengebeutelten aber kulinarisch ausufernden Italien über die Alpen gerettet hat. Bei dieser Verdichtung nationaler Urlauberklischees in kurzweiligem Slapstick-Humor bleibt wirklich kein Monokel-Auge trocken.
Seinen Höhepunkt erlebt die Propaganda schließlich, als ein Gast aus Konstantinopel auftritt. Der Opernsänger Gürkan Gider, gesanglich von allen Beteiligten der sattelfesteste, wird mit dem Verweis auf das ohnehin schon überbordende Chaos (soeben hatte der, vom Akzent her zu urteilen, osteuropäische Handwerker die ganze Elektronik lahmgelegt) schließlich unter Anwendung physischer Gewalt des Hauses verwiesen (Flug 8 lässt grüßen, Anm.). Unwillkürlich fällt einem die Bezugnahme Elfriede Jelineks auf die Blitz-Einbürgerung der Opernsängerin Netrebka ein, die sie in ihrem diskurskritischen Text Die Schutzbefohlenen mit kahlauernder Präzision in seine leistungsgesellschaftliche Perversität (oder Plausibilität?) zerlegt. Dann tut der Abend Dotts kurz weh, weil man merkt, wie rücksichtslos er auf die Pointe zielt und uns humoristisch Schillersche oder wenn man will Gaulandsche Reinigungsphantasien schmackhaft macht, anstatt das Theater zu einer moralischen Anstalt erblühen zu lassen.
Wende zum Guten
Folgerichtig beginnt die zweite Hälfte der Inszenierung auch mit einer von durchgreifender Misanthropie berichtenden Verballhornungen der Ode an die Freude und der behördlich indizierten Ausweisung der illegal beschäftigten Glücksritterin/Putzfrau mit einem im Stücktext nicht näher bestimmten Migrationshintergrund.
Doch dann bricht, im übertragenen Sinne, der Karneval ins Geschehen: Die Gewährsfrau für Ordnung vergisst ihre Amtspflicht für die Lockung des griechischen Weins (das gleichnamige Schlagerlied wird übrigens als Reprise später noch mit einem vom ganzen Raum beklatschten Sirtaki untermauert) wir erinnern uns:
Doch dann bricht, im übertragenen Sinne, der Karneval ins Geschehen: Die Gewährsfrau für Ordnung vergisst ihre Amtspflicht für die Lockung des griechischen Weins (das gleichnamige Schlagerlied wird übrigens als Reprise später noch mit einem vom ganzen Raum beklatschten Sirtaki untermauert) wir erinnern uns:
Und dann erzählten sie mir von grünen Hügeln, Meer und Wind
Von alten Häusern und jungen Frauen, die alleine sind
Und von dem Kind das seinen Vater noch nie sah
Wie es hier war
Alle Beteiligten geben sich dem Chaos hin und für einen Moment scheint der Kummer über die anstehende Abschiebung in den dyonisischen Freuden zu verblassen.
Schließlich ist es der Portier, der mit einem gefälschten Feueralarm dem dekadenten Hotel/Kontinent listig beispringt: Ein humorvoller Zeitlupen-Blick eröffnet eine Kette von Löscheimern, das Gemeinschaftsgefühl durch den unbekannten Brandstifter im Dachboden geweckt. Als der Schwindel schließlich auffliegt, bleibt jedoch das gemeinschaftliche Moment des inzwischen mit Feuer zusammengeschweißten Vielvölkerbundes.
Schließlich ist es der Portier, der mit einem gefälschten Feueralarm dem dekadenten Hotel/Kontinent listig beispringt: Ein humorvoller Zeitlupen-Blick eröffnet eine Kette von Löscheimern, das Gemeinschaftsgefühl durch den unbekannten Brandstifter im Dachboden geweckt. Als der Schwindel schließlich auffliegt, bleibt jedoch das gemeinschaftliche Moment des inzwischen mit Feuer zusammengeschweißten Vielvölkerbundes.
Es wird dann noch viel getanzt ("We are family" und eine nicht-karrikierende Version von der Ode an die Freude) um das frisch geschmiedete Bündnis zu besiegeln. So scheint der Wiederaufbau der maroden Idee/Gaststätte ein Kinderspiel zu sein und schließlich geht Salzburg beschwingt in die dritte Advent-Woche.
Hoffen wir nur, dass der Abschiebe-Titel über das ganze Feiern in Vergessenheit geraten ist. Gehen wir davon aus, denn nachdem er der Arie im zweiten Akt die emotionale Glaubwürdigkeit gesichert und ihre unbedingte Dringlichkeit gewährleistet hat, war von ihm nicht mehr die Rede.
Warum machen Spanier Siesta und können Engländer wirklich nicht kochen? Und finden Österreicher und Deutsche doch eine gemeinsame Sprache? Diese und viele weitere Fragen stellt dieser Abend auf unterhaltsame Weise.
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