100 Leser*innen ?! -- Relektüre eines fatalen Artikels



Es passiert auf diesem Blog ja relativ selten, dass etwas tatsächlich geklickt wird. Dieser konservativ-bigotte Sprachstil (ganz klassisch ohne unbestimmte gefühlige Begriffslawinen, in Argumente gegliedert mit einem Anfang und einem Ende) hat vielleicht einfach nicht das Potential viral zu gehen. Ist ja dieser Tage auch eh nicht mehr so en vogue, nicht nur wegen Sars Cov 2 sondern weil man ja ganz langsam begreift, dass dieses Meinungs-gehate tatsächlich etwas epidemisches und den Diskurskörper zersetzendes hat. Deshalb Masken an, girls and boyys and *s und nochmal mit dem Rotstift an einen meistgelesenen Artikel vom vorletzten Monat -- natürlich mal wieder zum Thema Nächstenliebe in der Kammer des Schreckens (Dramaturgie M.A. an der Goethe-Universität in Frankfurt). Ich habs mir nicht ausgesucht. Ihr klickt. Ich liefere nur. Hab da nicht mehr Ethos als meine Kollegen* bei Breitbart News. Also. In medias res, worum gings?


Also ein privat organisiertes Theaterfestival (online) mit mir unbekannten Geldgebern* und per se offenem Zugang (nach Anmeldung). Mit dem Hinweis auf einen Verhaltenskodex (ich glaube 12 Seiten DIN A4), der der Veranstaltung zugrunde liegt. Soweit alles easy. Im Schwimmbad gibt es ja auch Baderegeln. Was soll also der Geiz... Dann der Ausschluss per Mail, die Nachfrage nach den Gründen (wiederholt). Eisernes Schweigen. Die Bitte um ein privates Gespräch, Kränkung, Herzschmerz, trallala...  


Was mag die elf Geschworen damals bewogen haben? Eine Begründung gibt es ja nicht. Wohl meine Aussage, dass man mit bestimmten Begriffen nicht verschwenderisch umgehen könne, ohne sie zu entwerten. Ich fand damals (und finde noch heute) nicht jede persönliche Niederlage auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt kann ohne eingehende Prüfung mit der Ungerechtigkeit der Welt entschuldigt werden. (hierzu, bzgl. der Rechtslage auch Leipold Allgemeiner Teil, S. 47 m.w.N die sich krit. zur Unterwanderung der Privatautonomie äußern) 

Dazu die SZ heute:


Ich finde es keineswegs ein konservatives Ressentiment, was der Autor dort vertritt.  Mir scheint tatsächlich eine um sich greifende Betroffenheitsrhetorik zunehmend die mühsame Suche nach Argumenten zu ersetzen. Eine Abkürzung in die Kränkung, die weder Sprecher* noch Adressat*in wirklich weiterbringen ist zum neuen Modus Operandi des gesellschaftlichen Meinungsaustauschs geworden. Zuerst ohne dass ich es so richtig gemerkt habe. Irgendwann dann ganz deutlich und aggressiv beinahe. 

So wird der mitleidigste Mensch (im Sinne Schillers) der beste und der leidenste Mensch der mächtigste. Was macht das auf Dauer mit der Empathiefähigkeit und der Leistungsbereitschaft einer Gesellschaft? 

Anstatt sich über Argumentation und Interessenausgleich einem Projekt einer GEMEINSAMEN Ratio zu verschreiben. Wo jeder* IMMER VORKOMMT in all seiner* Komplexität und nicht in der rhetorisch notwendigen Reduktion auf seine* ihre* Narben. 

Es wäre so schön einmal wieder ohne blaue Flecken aus fruchtvollen temperamentsgeschwängerten aber zugleich anerkennenden Diskussionen herauszugehen. Ich frage mich ernsthaft -- und bitte lasst es mich wissen, falls Euch etwas einfällt -- welchen Beitrag ich dazu leisten kann...


Einstweilen wiederhole ich gegenüber Unbekannt meine aufrichtige Entschuldigung für den Fall, dass meine Kritik an der Empörungskultur für jemanden* nach persönlicher Geringschätzung geklungen hat.


Und verbleibe 


Herzlich


Die Chefredaktion ohne Chef ohne Redaktion










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