Friendly fire -- Die brandheiße Gastkolumne

Black Mirror, St. 1., F. 1
Der Wille des Volkes (The National Anthem)
[Der britische PM Michael Callow hat ein Problem. Prinzessin Susannah, Tochter des Königshauses wurde entführt und der Erpresser hat eine ungewöhnliche Bedingung: In einem nationalen Sender muss übertagen werden, wie der Premierminister Sex mit einem Schwein hat. Der Polizei gelingt es nicht, den Entführer zu finden, und aufgrund der sich ändernden öffentlichen Meinung muss der PM einwilligen.]




Die naive pseudopessimistische Medienkritik

Die erste Folge der ersten Staffel bietet uns eine Welt, klar aufgeteilt in zwei entgegengesetzte und miteinander verfeindete Fronten: auf der einen Seite stehen die Medien und das Internet, auf der anderen der Staat, die Staatsmacht. Wer innerhalb dieser Hierarchie höher steht, wird schon in einer der ersten Szenen deutlich, wenn der britische PM von seinen Mitarbeitern verlangt, dass das Video des Entführers und die Bedingungen der Erpressung sein Arbeitszimmer nicht verlassen dürfen. Im Moment dieses Befehls, so informiert ihn sein Pressesprecher, ist das Video schon längst im Netz und von einigen Tausenden Menschen gesehen worden, die amerikanischen Medien werden bald darüber berichten. Der Staat zeigt sich hier als nicht in der Lage, die Informationen, von denen seine Sicherheit und er selbst abhängt, zu bewahren – vor der absoluten Transparenz durch die Medien und das Internet kann der Staat kein Versteckspiel mehr spielen, die Demokratie hat anscheinend gewonnen. Zudem ist der Staat wegen dieses Verlusts der Macht und der Kontrolle äußerst frustriert, was sich zeigt, wenn die Spezialeinheit der Polizei, ausgesandt um den Entführer zu beseitigen, eine Journalistin, die nur mit ihrem iPhone bewaffnet ist, erschießt. Der frustrierte Staat setzt die Medien seiner Gewalt aus und der Grad der Frustration wird noch deutlicher, wenn der Polizist in einem Wutausbruch dann auch auf das iPhone der Journalistin schießt, mit dem sie die misslungene – die Polizei folgt der falschen Spur – Aktion der Polizei gefilmt und gestreamt hat. Ein Schuss auf die Stream-Maschine.
Dem Staat sind also die Medien unerträglich geworden, weil er die schmutzige Wäsche nicht mehr erfolgreich verstecken kann und jetzt, zornig, unbedacht handelt und Leute erschießt. Noch eine Eigenschaft der Medien und des Internets ist es, dass sich niemand ihrer Anziehungs- oder Faszinationskraft entziehen kann. In Erwartung der Übertragung vom „indecent act“ des PM mit einem Schwein sind die Londoner Pubs voll, auch im Krankenhaus sitzen alle vor dem Fernseher. Während die Ärzte die Übertragung schauen, wird auch niemand mehr krank und niemand mag sterben. Die Straßen in London sind vollkommen leer und niemand bemerkt schon seit einer Stunde durch die Stadt laufende Prinzessin, die von ihrem Entführer freigelassen wurde, ohne dass er die Erfüllung seiner Bedingungen abgewartet hätte.
Natürlich ist hier eine ambivalente Darstellung der Medien und des Internets vorhanden. Einerseits sollen uns das Internet und die Medien anscheinend ermöglichen, die demokratische Ordnung zu bewahren: dank dem Internet kann der britische PM nicht verheimlichen, dass ein Menschenleben von seiner Erniedrigung abhängt; dadurch verfügen die Bürger*innen vollkommen über die Informationen und können aufgrund dessen auch durch die Medien ihrer Meinung Ausdruck verleihen, die somit für die britische Regierung verbindlich wird: 86% der Wähler denken, dass der PM die Bedingungen des Erpressers erfüllen soll, woraufhin der PM tatsächlich mit einem Schwein kopuliert. Der negative Aspekt der Medien wird in der Serie dadurch dargestellt, dass die Bürger*innen, konfrontiert mit einer banalen Vulgarität in Verbindung mit dem Höhenfall des PM, eines Etablierten, sich der Gesellschaft und dem Staat entziehen. Dank den Medien wird der Blick der Bürger*innen nicht mehr vom Staat gelenkt, trotz seiner öffentlichen Warnungen und der ausgesandten störenden Tonsignale, gleichzeitig aber schauen sie immer noch eine vulgäre Erniedrigung und nehmen nicht an dem alltäglichen Leben teil, weshalb die auf den Straßen von London seit Stunden taumelnde Prinzessin niemand bemerkt. Hinzuzufügen wäre auch, dass die Medien die Bedingung der Erpressung wiederholen, reproduzieren, und so zu einer öffentlichen Meinung beitragen, die von dem PM das gleiche fordert, wie der Erpresser; es kommt dadurch zu einer Verschiebung bzw. Übertragung der Rolle des Erpressers weg von dem Erpresser selbst auf die Medien („86% der Wähler wollen, dass …“) hin.
Letztendlich, in einer solchen Welt, in der der Staat in dieser Logik einer Pseudodemokratie eine Geisel des Internets geworden ist, in der die Menschen ihren Blick von dem vulgären Bildschirm nicht mehr abwenden können, will der Entführer, der diese Ereignisse in Bewegung gesetzt hat, nicht mehr leben: draußen ist die digitale Welt, der sich der Staat unterwerfen muss, drinnen, in seiner Garage, befindet sich die eigene Werkstatt, seine Hardware-Werkzeuge, sein uralter Fernseher, seine alte Kamera, die Videos in merkwürdiger Qualität produziert. In dieser antidigitalen Werkstatt begeht der Entführer und der Erpresser den Selbstmord, er erhängt sich, denn er hat seine These bewiesen, dass die Welt verrückt geworden ist, dass der Staat seine Bürger*innen, sogar den PM selbst, nicht mehr schützen kann.

Nun, die Frage, die sich notwendigerweise aufdrängt, ist diejenige, ob diese logische Schlussfolgerung – der Selbstmord durch Erhängen – eine logisch richtige ist. Es wird hoffentlich reichen, wenn wir nur zwei Dinge betonen. Erstens ist auf die Person der Prinzessin selbst hinzuweisen. Sie wird mehrmals aus unterschiedlichen Perspektiven als eine Königin der sozialen Medien bezeichnet, sie ist die Adlige, die durch ihre Facebook oder Instagram Accounts die Transparenz und Aufhebung bzw. Demokratisierung der Grenze zwischen den Royals und dem „gemeinen Volk“ verkörpert, sie ist „Nation´s Sweetheart“, weil sie ihr adliges Leben der Öffentlichkeit zur Schau stellt. Die Gleichung auf der symbolischen Ebene sieht dann folgendermaßen aus: die Übermacht und Faszinationskraft der totalen Transparenz der Medien und des Internets, die nicht nur die Forderung des Erpressers ermöglichen, sondern sie sich auch aneignen und reproduzieren und so zum Erpresser selbst werden, sowie die Unfähigkeit des Staates sollen durch eine Erpressung bewiesen werden, wobei dasjenige, was durch diese Erpressung bedroht wird, was sozusagen als die zu verlierende Kaution dient, die symbolische Königin der Medien selbst ist, die Königin der sozialen Netzwerke, die Verkörperung der Transparenz und der Zerstörung des Schleiers zwischen dem englischen Adel, dem Establishment und der Öffentlichkeit. Aus dieser Gleichung wird deutlich, dass wir es hier mit einer kindlichen Erpressung zu tun haben, wobei die Macht des Erpressers nur unter der Bedrohung seiner selbst demonstriert wird. Der Staat versucht durch Selbsterniedrigung denjenigen zu retten, der nur unter Androhung der Selbstverletzung erpressen kann. So kommen wir zum zweiten Punkt. Noch am Anfang der Handlung, als der PM erst erfahren hat, dass die Prinzessin entführt wurde, macht er geschmacklose Witze über die Bedingungen der Erpressung: welcher Terrorist muss denn jetzt schon wieder aus dem Gefängnis frei gelassen werden, was für absurde Bedingungen stellen denn die Erpresser, fragt und scherzt er. Schon hier wird also die Bedingung der Erpressung als ein Witz eingeleitet. Wenn wir von der wirklichen Bedingung erfahren, wirkt es tatsächlich als ein Witz. Wenn man die obige Gleichung einbezieht, bleibt die ganze Erpressung ein Witz, ein weinerlicher Versuch der Erpressung unter Androhung der Selbstverletzung. Damit erweist sich der Selbstmord des Erpressers, dessen Perspektive derjenigen des resignierenden Zuschauers am nächsten ist, nur noch als ein tragischer Fehlschluss.

Kommentare

SlämSchläm hat gesagt…
Danke, Lieber Djordje. K.

Ich will auch bald Deinem Beispiel folgen und eine Serie kommentieren. So Gott will. Gott ist Groß

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