Erlebnisbericht von einer Generalprobe

Interaktive Übungen zu einer Wiedertheatralisierung des Alltags


Flüchtlingsunterbringung in Griechenland als Fluxus-Hörspiel dargestellt
Das war wirklich eine spannende Generalprobe von  Evros Water Walk., am 24. Januar im Frankfurt LABDaniel von Rimini-Protokoll (das ist eine sehr renommierte Gruppe von Leuten, die in Gießen Performance studiert haben und jetzt in verschiedenen Konstellationen politische Kunst machen) hat unseren Uni-Kurs eingeladen, bei dem letzten Testdurchlauf teilzunehmen, und ihn später bei einem Publikumsgespräch noch hautnah zu erleben.


Durchlauf. So kann man das wirklich nennen, denn im LAB ist ein Podium aufgebaut, auf dem sich verschiedenste Gegenstände befinden: Ein Waschtisch mit Bierflaschen darauf, ein Keyboard, ein kleines DJ-Set und ganz prominent in der Mitte: ein Schlauchboot. Ein Aufbau, der an John Cages Klangperformance Water Walk aus den Sechzigern erinnert. Der Experimental-Künstler hatte damals in einer Fehrnsehshow das Zischen eines Dampfkochtopfes, das Plätschern einer Gießkanne und vieles mehr zu einer wilden Kakophonie inszeniert, deren Effekte begeistern, wie der Domino Day. Cash hatte bei seinem Bühnenaufbau eine Badewanne stehen. Dieses Symbol der quietistischen Gemütlichkeit wird bei Rimini invertiert: ein vollgelaufenes Schlauchboot steht für die Lebensgefahr, Transgression, kurz: für den bitteren Ernst, der Jenseits der spaßigen Kunstwelt Alltag ist. Und wir als Zuschauer durchlaufen die verschiedenen Stationen, an denen über Kopfhörer Geschichten um die Artefakte zu hören sind. Und unterlaufen somit zugleich eine althergebrachte Logik vom passiven Zuschauer vor seinem Tableau, das die Guckkastenbühne ist. Ein Landscape Play (Gertrude Stein hatte das mal vom Theater gefordert), deren Spieler die Zuschauer sind, dessen Geschichte in den Instrumenten anklingt,  die das Bühnenbild sind, das eine Landschaft ist. Denn wir sollen Cashs Konzert nachspielen. Als Stellvertreter für die Jungs aus Athen, die "heute leider nicht da sein können" (wir vermuten es: keine Freizügigkeit für Asylsuchende ohne Europäer-Status). Also ein Reenactment eines Reenactments, mit dem Unterschied, dass die exakte Nachbildung des Ursprungsereignisses überlagert wird von den Schicksalen, von denen man nonchalant erzählt bekommt, als säße man mit am Esstisch in Athen.

/Zeitsprung/

Publikumsgespräch. Das war echt spannend, so einen großen Künstler mal aus nächster Nähe zu bestaunen. Er hat auch einige Zweifel geteilt, was die Produktion betrifft, und wollte auch ernsthaft unsere Meinung zum Stück hören. Erst hat ein Kollege von mir gesagt, dass er es so super fand, dass man wirklich das Gefühl bekommen hat, mit den portraitierten Leuten (Geflüchtete Männer und Jungen, die in Athen gleichsam festsitzen und in zweiminütigen Einspielern von Ihrer Flucht, ihren Träumen und ihrem Alltag in der Unterkunft berichten) 1,5 Stunden Lebenszeit verbracht zu haben. Damit meinte er glaube ich, dass die Aufarbeitung dieses medial ja inzwischen erschlossenen Themas, hier auf einer sehr privaten Ebene versucht wurde. Zum Beispiel erzählen die "Jungs", wie sie von der Ansagerin genannt werden, die am Anfang die Spielregeln des Audio Walks erklärt, von den Macken ihrer Zimmernachbarn in der Flüchtlingsunterkunft. Der eine benutzt immer extra viel übelriechenden Haarlack. Ein anderer spielt für sein Leben gerne Gewaltspiele am Computer, was paradox anmutet, weil er ja realiter genau vor dieser geflohen ist. Manche von uns haben fast den Eindruck, dass hier eine Fetischisierung des Alltags ästhetisch vorbereitet wird. Weil die Macher des Theaterstücks nach ihren eigenen Aussagen von den News aus den Medien gelangweilt sind (denn hier zählen nur Zahlen und Fakten, während die menschliche Komponente uneingeholt bleibt und das Dilemma somit verkleinert wird)

/Kritik/

{Hier könnte ein neues Kapitel entstehen, indem, der Narrativierung des eigenen Lebens durch Alltagsexperten Rechnung getragen wird. Oder was passiert, wenn man den Experten unsympathisch findet? Wer haftet für den Vertrauensschaden im Bezug auf diese besonders schutzwürdigen Schauspieler ohne Schutzwesten? Was meinst Du, Boris?}

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