Gast-Essay: Der Mythos vom „Einen“ / Tantraseminare / Replik an Cho

 

Liebe Cho, *

Kennst du das auch? In meinem Freundeskreis sehe ich es ständig: Heiraten, Kinder bekommen, Häuser kaufen – das volle Programm. Aber ganz ehrlich? Mittlerweile bin ich super skeptisch, was das alles angeht.

Lass uns mal Tacheles reden: Für mich ist das nichts weiter als eine Strategie, um sich ein Gefühl von Sicherheit zu verschaffen. Aber in Wirklichkeit führt das am Ende zu einem riesigen Verlust von Freiheit und Unabhängigkeit. Und das Schlimmste? Es geht dabei so viel gegenseitige Wertschätzung flöten.

Deswegen finde ich es richtig stark, dass du dich nicht einfach auf irgendwas einlässt. Bitte, bitte, bleib dabei und lass dich von niemandem in irgendeine Richtung drängen. Lass lieber jetzt ein bisschen mehr Vielfalt in dein Leben. Du wirst dadurch auf jeden Fall mehr über dich selbst herausfinden und neue Seiten an dir entdecken.

Aber weißt du, es tut mir im Herzen weh, wenn ich daran denke, dass du wirklich auf meinen Rat hörst. Trotzdem, ich will ehrlich zu dir sein. Also mal im Ernst: Was steckt eigentlich hinter diesem ganzen Konzept von „den Einen finden“? Wer hat das überhaupt erfunden? Und könnte es nicht mega patriarchal sein? Was genau macht „den Einen“ aus? Hat dir jemals jemand eine wirklich überzeugende Antwort darauf gegeben? Für mich klingt das alles nach einem ziemlich engen Blick auf Beziehungen, wo man alles von einer einzigen Person erwartet. Ist das nicht total unrealistisch?

Und wenn wir schon dabei sind: Es geht doch um Männer, oder? Du stehst nicht auf Frauen, wenn's um Romantik oder Sex geht, richtig? Gut, dann lass uns mal über Männer reden. Die sind schon speziell, oder? Extrem empfindlich und oft narzisstisch. Und ihre Ängste – ich würde es so ausdrücken – führen sie immer wieder zu einem ganz bestimmten Punkt in ihrem System von Überzeugungen: ihrem Penis.

Also, wenn du den „Einen“ finden willst, könnte es einfacher sein, wenn du nach Männern suchst, die einen guten Geschmack haben – sei es bei Restaurants, Klamotten oder Büchern. Lass sie dich einladen; die meisten von ihnen brauchen das. Glaub mir. Und dann mach was völlig Ungewöhnliches: Frag sie, ob du die Nacht bei ihnen verbringen kannst. Sie werden total aus dem Konzept geraten und sind mega verwirrt.

Am Ende des Tages geht es bei Beziehungen genauso sehr um Entdeckung und Wachstum wie um Verbundenheit. Indem du die konventionellen Vorstellungen hinterfragst und deinen eigenen Weg gehst, wirst du nicht nur deine Unabhängigkeit bewahren, sondern auch tiefere, bedeutungsvollere Verbindungen finden, die oft in der Jagd nach gesellschaftlichen Normen verloren gehen.


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* Die Autorin Cho Nam-Joo war neun Jahre lang als Drehbuchautorin fürs Fernsehen tätig. Ihr Roman »Kim Jiyoung, geboren 1982« hat sich weltweit über zwei Millionen Mal verkauft und war auch in Deutschland ein großer Bestseller.




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