"Gefährdungen": Wie Dramaturgen denken
Ich stelle mir eine Juristen vor, der einen auslaufenden Öltanker sieht. Er sorgt sich gegebenenfalls um die Verschmutzung des Erdreichs. Dekliniert Haftungsfragen in seinem Kopf durch. Und ruft die Polizei, oder schimpft auf die Politik, oder eilt zur Hilfe. Er erkennt wahrscheinlich die Gefahr und sieht in dem zum Glück unversehrt am Straßenrand stehenden Fahrzeugführer einen Gefährder oder einen Erfüllungsgehilfen. In jedem Fall wird er erkennen, dass die Lage ernst ist, und dass die Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit, sowie die Umwelt in Gefahr sind.
Anders der Dramaturg. Er sieht in dem umgekippten Laster ein Symbol für den um sich greifenden Neoliberalismus. Er erkennt in dem Öllieferanten einen Feind, einen ontologischen, den man vernichten sollte, oder zumindest für immer ausschließen. Er verspürt spontan Lust, das austretende Öl in Brand zu setzen, und seinen eigenen Ford Fiesta noch dazu zu stellen, um eine Barrikade zu errichten, um sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern, wie er es bei den Berichten über die Proteste zum G-20-Gipfel in Hamburg gesehen hat, mit denen er heimlich sympathisiert. Oder unheimlich, je nach Gesprächskontext. Das schwarz die Natur verklebende Öl ist ein ästhetisches Ereignis, die auflodernden Flammen Boten des lange ersehnten KRIEGS DEN PALÄSTEN.
Denn der Dramaturg liebt die Gefahr
Die Gefahr ist sein Terrain
Als Gefährder ist er bei sich selbst und sich selbst der Nächste
Und der Nächste wird ihm zum lästigen ausschlusswürdigen Parasiten
Dieser Gefahr-Begriff lässt tief Blicken. Es scheint etwas genuin Romantisches zu liegen in der Zerstörung mühsam errichteter Strukturen, wenn man diese Rhetorik konsequent weiterdenkt. Die Gefährdung des Hauses ist heilige Pflicht der an ihm angestellten Erfüllungsgehilfen. Warum, fragt sich Otto Normal, also der durchschnittlich gebildete Steuerzahler, der sich mit seinem Betrieb identifiziert, warum würde man den Ast absägen, auf dem man es sich selbst bequem gemacht hat? Warum den Wirt töten, den man selbst zum Überleben braucht? Nun ja. Die Gefährdung über die der Dramaturg spricht ist eine andere als diejenige die einen nach der FSME-Infektion dahinrafft. Das "Haus" ist nie wirklich in Gefahr. Es wird stets wieder gerettet (hierin gleicht es übrigens den vom Dramaturgen so sehr verhassten Banken, ein Thema übrigens, bei dem selbst der Dramaturg hervorragend aufgeht in der ansonsten ungeliebten Rolle des empörten Steuerzahlers), ist unsterblich wie Achilles. Denn es hängt an dem Tropf des Staates. Der Staat, der nie vergehen wird, so lange wir leben. Der Auftrag ist somit die Gefährdung des Ungefährdeten, die Bedrohung des Unbedrohbaren. Wer das für eine paradoxe Angelegenheit hält, dem rate ich schlicht und ergreifend, diesen Beruf nicht zu ergreifen. Aber was soll eigentlich mein Gerede? Mir hört ja sowieso niemand zu. Vielleicht auch besser so. Könnte sonst ja gegen mich verwendet werden. Wird es sicher auch. Aber ohne Akteneinsicht. Was solls. Ich bin draußen wie Camping
Danke für die Inspiration an:
NMS: Polizeiliche und politische Dramaturgie. In: Theater Heute 1/2018 S. 47-51.
Schmitt, Carl. Der Begriff des politischen. No. 10. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1933.
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