Autorbegriff / Roland Barthes / Herrndorf / Bilder deiner großen Liebe

Wolfgang Herrndorf konnte sein "Isa"-Fragment nicht zu Ende schreiben. Der Krebs kam ihm zuvor. Was also machen mit dem angefangenen Roman?


Ursprünglich wollte er ja alles verbrannt wissen 
(was ist es, das Literaten so obsessive Vernichtungsphantasien gegenüber ihren Texten unterhalten lässt? Oder behaupten die das nur, so wie dein bester Freund der sagt "ich melde mich wirklich nie wieder bei ihr, guck, ich habe die Nummer gelöscht...")

Ist das ein letztes Heischen nach Ruhm? Weil der Autor* hören will:

"NEIN, dir, lieber Autor gehören deine Werke nicht. Nicht mehr. Aber nicht etwa, weil hier der Tod des Autors im Raum steht, und das Publikum diese ehemalige Festung, "das Werk" stürmen darf, das ist schon lange nichts neues mehr. Auch nicht, weil wir die Testierfreiheit, die grundrechtlich verbürgte Rechtsposition, die es erlaubt über Deinen Nachlass zu verfügen, in irgendeiner Weise antasten wollen. Sondern weil dein Zeug einfach ZU GUT ist. Was Du schreibst ist zu wertvoll es der Weltöffentlichkeit (und JA, das schließt die "scheiß Germanisten" (W.H) mit ein) vorzuenthalten. Deine Worte sind ein COMMON geworden, so wie das Grundwasser bevor Nestlé kam "?


Dann jedoch als Kompromiss die Suche nach einem Co-Autoren*. Diese gestaltete sich allerdings schwierig, weil niemand sich da mit fremden Federn schmücken wollte. Herrndorf bleibt Herndorf und das ist auch gut so

fast so, als wäre Co-Autorschaft ein Eintritt in eine Handelsgesellschaft als Kommanditist, als müsste man für den Misserfolg des Gemeinschafttextes nicht mithaften, als wäre so etwas unschicklich, als ginge es überhaupt einen Text zu beschmutzen. Ein Text ist ein Acker, wer ihn pflügt wird automatisch schmutzig, aber er macht nicht den ACKER schmutzig


Also auch hier ein Scheitern. Es sah fast so aus, als müsse der Text (wenn auch unverbrannt) unter Verschluss bleiben. Weil die avisierten Co-Autoren* notabene das so wollten oder billigend in Kauf nahmen. In dem Nachwort klingt jedoch absolut unbemäntelt eine gewisse Verachtung für diejenige Kaste an, die in der Wertschöpfungskette noch unterhalb der Co-Autoren* stehen: Die Germanisten*

Die hier so unverhohlen geschmähten "scheiß Germanisten". Die sind wohl irgendwie schlimmer als der Rest der anderen Leichenfledderer. Sitzen da mit Skalpell, Autobiographie des Autors, mit dem Duden und dem Testament des Erblassers im Nacken, zittrige Finger (trainieren Fußballmannschaften vor 5 Uhr morgens? ist das Dichtung oder kann das weg...?)

Die Jungs und Mädels geben sich die beste Mühe, schnipseln was das Zeug hält, verschwinden komplett in ihrem Erfüllungsgehilfentum und kriegen am Ende des Tages doch nur die ganze Ladung Verachtung in die Fresse. Klar: keiner ist so fresh wie der Autor, das ist ja mal klar. Und selbst wenn ich sogar weiß, was der zum Frühstück hatte, kann ich nicht genug in ihn reinfühlen, um zu prognostizieren, was noch aus seinen Griffeln gekommen wäre. 

Aber muss das wirklich sein? Woher dieser Durst nach Akuratesse? Woher diese Angst vor dem Fragment (ich frage das nicht als Romantiker sondern als jemand, der sich für das literarische Feld interessiert, mitsamt seinen Marketinguntiefen)? Macht doch am Ende eh jeder mit dem Werk, was er oder sie will. Ich zum Beispiel habe es inzwischen als Türstopper...

Also ich muss mal kurz eine Lanze brechen für meine Kolleg*innen Germanisten: 
Eine Bearbeitung, die ihre Intentionen offenlegt, die zu erkennen gibt, woher sie kommt (Barthes: „der Kritiker muss immer eine bestimmte Richtung haben“), die den Text wertschätzt, indem sie ihn (Barthes: verdoppelt) anstatt ihn zu fixieren, zu sezieren und auszuverkaufen (und sei es durch „Interpretation“), eine solche Bearbeitung verdient (ab einer gewissen Gestaltungshöhe) Urheberschutz und nicht den Hohn von Handlangern irgendwelcher piefigen Autor*innenkonzepte.


Das nur meine ganz bescheidene Meinung. Aber wer bin schon ich? Ein ausgeschlossener Dramaturg. Ein gescheiterter Germanist. Ein ausgesprochen unverschämter Anspruchsteller, der sich nur mal aussprechen musste. Ich habe praktisch keine Stimme in diesem Gewirr an Stimmungsmache. Also folgen Sie lieber der herrschenden Meinung, wenn es zum Schwur kommt. Ich bin draußen wie Picknick.


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