Gedanken zum Sprechen von Texten
Liebe S.,
es gibt dieses Video von einem Wutanfall von Klaus Kinski, wo er einen frommen Christen auf die Bühne holt, der gegen Kinskis ich-bin-Jesus-Programm protestieren möchte. Dieser beginnt seine ziemlich überzeugende Ansprache mit den Worten „ich bin kein großer Redner…"
Das selbe gilt auch für mich. Ich bin auch kein großer Sprecher, aber da ich nun mal das Mikrofon in der Hand habe, möchte ich gerne ein paar Gedanken loswerden, die das Sprechen von Texten zum Gegenstand haben.
Unser Dozent, der Herr Müller-Schöll hat öfters gesagt, man solle sich anhören, wie Heiner Müller seine eigenen Texte spricht, das sei lehrreich. Ich weiß nicht mehr genau, was er dazu ausgeführt hat, aber ich habe auch mal reingehört und war erstaunt. Der Mensch, der diese Gedanken geboren hat, schafft es beim Lesen eine so große Distanz zu dem Gesagten aufzubauen. So, dass die Worte für sich stehen, dass keine Deutung vorweggenommen wird. Crazy.
Früher, als ich im Theaterjugendclub gespielt habe, habe ich mich mit meinem Kumpel Gregor immer lustig gemacht, über die Schauspieler in den Kammerspielen, die allesamt ihren phonetischen und stilistischen Schuh durchziehen, anstatt sich an die Regeln des Sprechens zu halten, die wir uns gerade im Gärtnerplatztheater mühsam antrainiert hatten. Wir fanden das unbescheiden und irgendwie abgehoben.
Heute denke ich da ein bisschen anders. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Schauspielende auf der Schauspielschule nicht nur viel dazu lernen über atmen und Stimme, sondern dass ihnen auch etwas genommen wird. So etwas wie ein natürlicher Zugriff auf ihre Stimme. Mit dem es gelingt, Gedanken, klarer hervorzubefördern, weil nicht vorne herum mit dem eigenen Sprechinstrument herumgeposed wird. Manchmal wirkt es so, als ob Schauspiel-Leute ihre Stimme wie ein eingebildeter Pfau vor sich her tragen. Sorry, Schauspieler-bashing, Alter Topos, lassen wir es sein.
Ich schätze es deshalb einfach sehr, wenn es Sprecher:innen gelingt, den Text auf eine Weise zu erkunden. Mit ihm ein bisschen herum zu jonglieren, vielleicht mal ein bisschen Ironie rein zu nehmen, oder wenn es nicht anders geht, ihn einfach vor sich her zu schieben.
Ich kann es dir auch nicht genau sagen, tut mir leid. Vielleicht auch, weil ich ein gewisses Misstrauen habe, immer alles in eine Technik zu überführen, die dann gepredigt wird und alles abseits davon wird nominiert und ausgegrenzt.
Ich glaube, ich würde mir einfach wünschen, dass du so wenig wie möglich dich verbiegen musst, während du mit dem Text zu tun hast. Wo du das nicht möchtest, sollst du dich nicht mit dem Gedanken gemein machen müssen. Dann soll es genug sein, dass du sie einfach nur vorträgst.
Und wenn wir über einzelne Passagen sprechen sollen, dann ruf mich sehr gerne an. Das ist nur fair, denn dann muss ich vertreten, was ich da gedacht und gesagt habe. Womöglich komme ich ins stammeln (so wie in der Datei anbei). Meine Nummer ist 015735433945
Schönen Tag und liebe Grüße
J
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