Einmal abkotzen bitte (über Falk Richters Heldenplatz-Abend)


Einmal abkotzen bitte (über Falk Richters Heldenplatz-Abend)


Es gab jüngst eine Theaterkontroverse, die sich an einer Münchner Inszenierung entzündete, bei der angeblich auf unsensible Weise besetz worden ist. Nachtkritik hatte einer empörten Zuschauerin, die selbst in der Theaterszene unterwegs ist, einen Leserbrief "aus der Hand gerissen" und veröffentlicht. Seither rumort es an der betreffenden Institution und man unternimmt panisch Feigenblattmoves um ein zweites "Düsseldorf" zu verhindern.

So wichtig diese Form der Debatte, die sich auf einzelne Zeichen oder Komponenten der Inszenierung oder den Probenprozess kapriziert auch sein mag, sollte dabei dennoch nicht die Inszenierung als eine semiotische Kette aus dem Blick geraten. Sprich: ein subventioniertes Kunstprodukt sollte nicht allein daran gemessen werden, wie korrekt es ist, sondern auch und vor allem in seiner Wirkweise beschrieben werden, die sich aus der Aneinanderfügung von Zeichen ergibt. Dessen Wahrnehmung sich nicht primär moralisch, sondern ästhetisch vollzieht.

Dieser Text über Falk Richters HELDENPLATZ an den Münchner Kammerspielen wird also nicht davon handeln, dass auf der Bühne Klischees eines internationalistischen akademischen reichen Jetset-Judentums durchexerziert werden. Dass dabei recht unkritisch mit Thomas Bernhards Text umgegangen wird. In dem ein Goi über das Jüdischsein schreibt. Dass ein wokes Publikum mit diesen Bildern nach Hause geht wie mit einem Werbegeschenk von der Pharmaindustrie. All dies sei dem Theater als Apparat zugegeben, verziehen, womit auch die Frage dahinstehen kann ob der hier schreibende nichtjüdische Autor einen solchen Punkt überhaupt anführen darf.

Reden wir stattdessen über die Inszenierung von Falk Richter. Über die erste Hälfte, die vorwiegend eine Tonalität hat. Unzusammenhängende Gedankenfetzen der Protagonistinnen, die um die Leerstelle des toten Professors kreisen, die auch in der Bühne von XY mit einem stilisierten offenen Grab (nicht aus Erde, sondern aus Granulat, so wie auch der Vorhang der Rundbühne nicht aus Soffitten-Stoff ist, sondern aus Latex, dazu die blank polierten fein aufgereihten Lackschuhe, eine Metapher auf den Kontrollwahn in Zeiten der Barbarei) angelegt sind: Handlung gibt es hier keine. Entwicklung scheinbar ebensowenig. Das ist dramaturgisch interessant (weil es meines Erachtens nach fühlbar macht, wie arretiert die Figuren sind, wie schockstarr angesichts der stumpfen Barbarei der Nationalsozialisten) für den Zuschauer aber eher ermüdend. Wie wohltuend, dass XY dem Text jede Nuance entlockt, ihn mitunter gegen den Strich bürstet, und Humor sucht, der in diesem ersten Teil des Abends durchaus vorhanden ist.

Die Videoprojektionen, die den Spielfluss ebenso unangenehm unterbrechen, wie ein YouTube-Video eine Armstrong-Playlist beim Candlelight-Dinner weisen plakativst in die Richtung der Konzeption des Abends: Das einstige Skandalstück Bernhards, TNT in einem braun durchseuchten Nachkriegsösterreich soll in eine Jetzt-Zeit ("NSU"; "NSU 2.0"; Lübcke, Maaßen, Hanau, Halle, Söder (?!) Franz-Joseph-Strauß (?!) gesetzt und hierbei Entwicklungslinien und Kontinuitäten aufgezeigt werden. So weit so Schultheater. Aber Falk Richter geht noch einen Schritt weiter.


Die PerformerInnen haben nichts zum Spielen -- Das Publikum hat nichts zu lachen


Nach der Pause sprengt eine recht interessante weil formal weniger lineare Videoprojektion in den Theaterraum, dessen Parkett mit Gipsfiguren weißer Wutbürger (vom Phänotyp alles Männer) ausgestattet ist, sodass die Sicht auf die Bühne für manche Plätze stark eingeschränkt wird. Frei nach dem Motto: Die Hölle sind immer die Anderen und der Andere ist immer ein weißer Mann. Und er sitzt genau unter uns. Er könnte dein Nachbar sein (als ob es eine ernsthaft konservative Person aushalten würde, diesen Abend bis zum Ende zu verfolgen, an dem Söder mit Beate Zschäpe eine Schublade teil), oder wie es später heißt "wir sind alle potentielle Massenmörder". Die Theatermittel, die sonst eher dem Text unterworfen sind, werden an eine längere Leine gelassen.

Hierzu passt, dass die Bühne jetzt von drei Schauspielern (interessanterweise uA Regieassistent*innen am Haus) besetzt werden, die im Gestus eines eloquenten Aktivisten vortragen, wie sehr im Arsch alles ist. Ohne eine spezifische Figuren- oder Performer*innen-Haltung geht die Tirade (teils chorisch gesprochen) los. Der Humor hat ab hier Feierabend. Tenor des sehr redundanten Vortrags: Medien, Polizei, Behörden sind von Neonazis durchsetzt, der Antisemitismus und Rassismus ist omnipräsent und wird immer schamloser. Soweit lässt sich das hören. Wurde auch schon von anderen (ggf. hinlänglich) dargelegt. Interessanter ist dabei die Art der Rede: Unerträglich oberflächlich und floskelhaft wirkt diese En-Marche-Prosa, mit der Falk Richter Bernhards Stück überschreibt. Sahra Wagenknecht wird, wenn ich recht erinnere, als Neofaschistin bezeichnet, das Ganze geht so weit, ZEITUNGEN. Zu beginn fragt man sich, ob hier eine Parodie am Werk ist. Ob Richter den Gestus der Empörung mit einem Augenzwinkern vorführen möchte. Aber bald wird klar: Die meinen das bierernst. Diese Akteure (wir schweigen drüber, wie divers sie sind) fühlen sich befähigt ("entitled") dem Publikum ("Menschen als Hauptstadt der Bewegung") Lektionen zu erteilen. Es beschleicht einen das Gefühl hier wird klar getrennt: Wir, die empathischen Menschen aus Fleisch und Blut (zu sensibel für die Zeitungslektüre) und ihr, die Gipsfiguren mit mörderischer Gesinnung, Ratten, die nur darauf warten, "aus ihren Löchern gekrochen zu kommen". If you're not with us you're against us.

Die Inszenierung schöpft ab hier im Endeffekt aus dem Ressentiment und macht sich somit mit dem Gegenstand gemein, den sie kritisieren möchte. 


Man kennt diese Haltung. Zum Beispiel aus den sozialen Netzwerken. Hier ---

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