Zuwege


Textbegehung 

(Schnelldurchlauf)

(Vorrede) Ich meine, dieses Haus ist ein Text, machen wir uns nichts vor. Schon klar, man kann echt viele Sachen irgendwie als Text beschreiben, das wurde auch schon gemacht. Tanzaufführungen: Text. Filme: Text. Wandteppiche: Text. (Andererseits: Das Meer: Ein Text?? Wohl kaum.) Und natürlich muss man sich dann auch die Frage gefallen lassen, was das überhaupt bringt, Apfel und Birne auf einmal über ein Drittes zu vergleichen. Ich würde sagen, das bringt mit sich, dass man ein sorgsameres Auge wirft auf das Verwoben-Sein von einzelnen Elementen. Die Schnüre im Teppich sind ja auch nicht irgendwie zufällig gefügt und halten mit Glück zusammen. Nein, sie folgen einer Technik, bedeuten Zeit und schreien danach, dass man ihnen einen Sinn zurückgibt. Und so stehe auch ich gerade vor diesem Haus. In Gedanken. Und versuche ihm etwas zurückzugeben. Fäden zu ziehen. Reime sortieren. 

(Gestell) Jetzt kommt es natürlich darauf an, wie man sich dem Text nähert. Ob man das Manga von vorne liest. Oder beginnend in der Mitte, und vor dort seine Kreise zieht. Ob man geführt wird, oder streunert. In meiner Vorstellung hat die Führung noch nicht begonnen und ich streuner ums Haus. Und sehe auf der hellen Seite, dem fiktiven Nachbar-Spion zugewandt, die  F L U G H E R Z E N. Eigentlich Pflugscharen stehen sie hier für fröhliches beackern des Heimgartens. Heißen jedweden Gast willkommen. Spielerischer Sturzflug bodenvergessener Schwalben. Ich sehe ein Hobbygärtnermagazin mit glücklichem Rentnerpäärchen vorm inneren Auge. Rieche Ernte und Dank. // Doch jedes Haus, wenn es zu seinen Bewohnern geworden ist, hat auch dunkle Seiten (ich streunere weiter). Und dunkel heißt hier nicht böse, sondern verschattet. Überwuchert (und das wiederum heißt näher an der Natur, bitteschön!!). Ich rede vom  S E X P O S I T I V E N   W A N D T E P P I C H. So nenne ich ihn. Aufgespannt zwischen zwei phallischen Silotürmen (diese übrigens Fluchtpunkt der Agrarproduktion aus dem  K O R N K A M M E R - C O M I C: sozialistische Plakatkunst, knallig-plakativ, die Ernte bzw. Identität vom großen Bruder Russland erdrückt), zeigt er, was Vereinigung ist. Und aber auch, wie nah sie an der Vereinzelung gebaut ist. An den kühlen Farben und der irgendwie schematischen Darstellung (wer drängt diese lebensfreudige Tätigkeit zurück in die theoretische Gräue des Schul-Lehrbuchs? sicherlich auch ich mit meinem schnöden Vokabular und dem ziehenden Bauchgefühl der Scham bei der Betrachtung in der Gruppe) kaue ich noch heute. Aber ich bin beeindruckt (und bleibe hängen. wo sind die anderen?). Hierzu gesellt sich schlüssigerweise der K Ü H L K Ö R P E R. Ein weiches, fragiles Tierchen. Fast wie dahingewehte Asche. Warum schlüssig? Ich will es gerne erklären: Zum einen bedürfen die Server, deren Befehle uns von einem Date zum nächsten hecheln lassen; überhitzt, emotional unterkühlt die Maschine bedienend -- einer enormen Energie. Eben zur Kühlung. Und dann finde ich es auch einfach so wunderbar subversiv, dass die schneidend klaren Kanten der rational konnotierten Kühlgestelle verplüscht werden zu einladenden komplexen Landschaften -- und zwar von einer Frau mit einer Flex. Während mir im Nacken die B L A U E N  F L E C K E N sitzen. Vielleicht die Umkehrung jenes Bildes? Unumgängliche Blessur. Des latent schwachen Fleisches. Geformt-Werden. Häusliche Gewalt im Schatten? (Schiefes Bild! Verzeihlich aus dem Verlangen heraus, einen Faden zum Wandteppich zu ziehen! Besser: unvermeidbares Einsickern im Rahmen menschlicher Datenverarbeitung. Wo gelebt wird, fallen eben Späne) Von dem Geflecht daneben, das ich dahingehaucht K A R T E  U N D  G E B I E T nenne, und dem M E E E E E E R werde ich losgeeist, weil die Führung beginnt. Mein letzter Gedanke: Ein Haus tut so, als wäre es Container. Aber uns ist doch klar, dass seine Ränder ausfransen. Dass stehende Verbindungen zu anderen Räumen existieren. Dennoch: eintreten werde ich nur, da ich gebeten werde.

(Räume) Rechts reingesogen werde ich in den J A H R M A R K T R A U M. Sekundärer Sektor. Wo die Felle aufgehängt sind, die vielleicht vulvaförmig (oder ist es die kafkaeske Wunde an unserer Seite, an der wir zugrunde gehen?) eine Videoprojektion tragen. Aber ohne Fliegen. Ohne Verwesung. Beängstigend clean. Föten werden dort wie der Lukas mit dem Holzhammer gehauen. Schriftzüge erscheinen. Belohnungsvibes wie beim Flipper. Und ich möchte Advocatus Diaboli spielen und zu bedenken geben, dass es meines Wissens nach noch keine Abtreibungs-Apps gibt. Im Gegenteil sogar ganz lange ein Werbeverbot gab. Aber jemand aus meiner Reisegruppe kommt mir zuvor und kontert mit offenem Unverständnis. Abbrüche sind, wie Kopftücher, ein Thema, das niemandem so richtig gehört. Also doch eine (Diskurs-)Wunde? 

Wir gehen weiter, an einem B A U M  (dynamisch nach oben strebend wie ein kinetisch-konstruktives System und doch kantig wie Moholy-Nagys Komposition A II) vorbei, in einen Raum -- und ich werde hier schon auf das Motto dieses Textes anspielen -- der einen Übergang inszeniert. Stellt Euch vor: eben noch im Euter ausgebrütet macht sie nun schon wieder müde Männer munter, die aufrecht zu Tische sitzen. Was ist dazwischen passiert? Wer trägt die Schuld, falls es eine gibt? Jedenfalls muss man sich den Fluss der Natur irgendwo abwaschen. Es braucht also einen Wasseranschluss, einen Duschkopf und einen Abfluss im Boden. Der Raum ist gekachelt, wie eine Pathologie. Fast versenkt ein Bildschirm. Dieser zeigt einen Bach. In dem schwimmt eine silberne N U L L. Keine schwarze. Sondern so ein Luftballon, wie man ihn zum runden Geburtstag hat. Vielleicht hat ja der Fötus seinen runden... Lassen wir das. Jedenfalls wird hier schon fühlbar, dass etwas faul ist in der Konfrontation zwischen Natur und Kultur. Und die Ratio ihre Grenzen hat. Wir wollen fliehen. Aus der Kälte und der Nüchternheit. Und kommen an den popartigen D A L I -- M A D E S  (die heile Warenwelt ist hier verwundet, hat Falten bekommen und weicht -- erleichternd wie eine Ätherdosis -- einer halluzinierenden Folge brüchiger Bilder. Einlösung der kühnen Metapher?) im Traumtunnel vorbei und...

In die  G U T E  S T U B E. Profane Brezen im Herrgottseck. Reiswaffel aus Gold oder im Bleilook. (Gut passen würde in meine Erzählung eine Weißwurscht. Wohliger Fluchtpunkt des Jungrindes. Ankunft im tertiären Sektor) Stattdessen: Korallenriffe. Das sind meines Erachtens nach Rhizome, die immer weiter wachsen, wenn sie wollen. Die Farbgebung und das wulstige Material (Ton?) stehen für das pralle Leben. Die Verschwendung. Wie im Pfirsichblütengedicht. Man könnte hier ewig verweilen. Ein andermal. Der Tross zieht weiter.

Treppe hoch. Es empfängt uns ein putziges G U M M I B Ä R C H E N - P Ä R C H E N. Und ich spinne schon wieder herum (Fehler in der Produktion. Inzestparagraph. Eine ungewollte Schwangerschaft. Jedenfalls das Lob auf die Devianz), während die anderen der Erklärung lauschen. Angeblich: Gefundenes statt Erfundenes. Bilde ich es mir ein oder durchfährt die Reisegruppe an diesem Punkt einen sanfter Schauder der Enttäuschung? Dass es irgendwie schon vorbei ist mit der Interpretation. Amüsiert stelle ich mir vor, welche hard times Duchamp damals gehabt haben muss, als er seinem Galeristen das Pissbecken als den neusten Scheiß verkaufen wollte und verstehe auf einmal, dass es hierbei -- in actu -- ebenfalls um die Transformation -- Profanierung -- von, wenn man so will, sakralen Räumen geht.   

Wir nähern uns dem C O M P U T E R T O M O G R A P H I S C H E N   H A U S. Hier hängt die Identität am seidenen Faden. Vielleicht ebenso die Erinnerung (die gleichzeitig bleischwer wiegt). Deshalb muss man sich auch damit behelfen, das alles in gleichmäßige Scheiben zu schneiden. Um es ein bisschen von sich zu distanzieren. Es zumindest pseudokühl betrachten zu können. Oder einen dahingehenden Anschein zu erwecken. Jedenfalls der Versuch zählt. Vielleicht. Witzig, denke ich. Auch dies ist ein Haus. Wie das Ausstellungsgefäß selbst, indem wir gerade umherspazieren. Ein Haus im Haus. Eine Fläche im Raum. Gleichzeitig: räumliche Metamorphose.  

Ich komme zur Ruhe hier im Nukleus. Der Gedanke von Ordnung und Repräsentation befriedet mich. Mich persönlich. Aber ein letzter Raum wartet auf uns und unten in J O E ' S  G A R A G E  das (Un-)Geziefer. Stolziert umher ohne systemrelevantes Ziel. Von der herrschenden Ordnung ausgeschlossen. Denn wer setzt das "Un-", welches zur Vernichtung freigibt? In der Regel eine wildgewordene Diskursherde. Meistens aus Angst. An den Leinwänden umwirbeln Kometen dieses Untergangsszenario, in dem die Erde endlich wieder sich selbst gehört, befreit von den Fesseln der Kühlkettenfetischisten.    

In Gedanken unterbreche ich die Führung. Separiere mich von der Gruppe. Denn ich muss noch zurück zum azurblauen, bewegten (sich selbst bewegenden) M E E E E E E R. Inzwischen dämmert es vielleicht schon. Aber wie im fiktiven Tunnel des Sterbenden ziehen alle Räume nochmal an mir vorbei (Auch die  B R I C K S  vor blauem Batiktuch. Ich hatte sie noch nicht erwähnt. Sie schlucken alle Bewegung, die hier in diesem Haus über Dekaden vonstatten gegangen ist. Kondensieren sie, um sie dann mit einem schalen Label zu versehen, das die Armut von Sprache rausblökt. Ich sehe den Grundriss des Hofes kurz von oben (noch ein Haus im Haus!) und die Grenzlinien verdoppeln sich, als wäre ich benommen. Die Körper verlieren ihre Richtung. Doppelbelichtung. Polyperspektive. Später stehe ich hier tanzend mit dem vierten Bier in der Hand und ein Kalb schmiegt sich an meine Schenkel. Noch taste ich mich voran. Meine Hand findet eine Grätenstruktur bohrender Fragen über mein Konsumverhalten. F U Z Z Y   F O S S I L. Die Schuldfrage muss uralt sein, schließlich steht sie in Marmor graviert. Ein Memento Mori aus Täterperspektive. Einfachste Milchmädchenwahrheit schon vor Erfindung des Suchalgorithmus. Der Fötus plopt. Der Herrgott bestellt eine Weißwurscht. Ich muss da raus!)   

Endlich bin ich an der Luft. Und da liegt es. Der Raumtrenner schlechthin _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Jede Mauer muss vor seiner Potenz erzittern. Ist es noch lesbar ohne Lampedusa? In der Dunkelheit erscheint jedenfalls seine reine Negativität. Natürlich auch faszinierend schön neben dem ganzen Gebilde von Menschenhand, die ständig unterbricht mit ihren Einsen und Nullen. Und dann vermessen und informiert am Kompromiss scheitert. Weil sie lieber töten will, um zu leben. Ich muss eine Weile seine Erhabenheit einsickern lassen. Des göttlichen Textes. Ozeanisches Gefühl? Dann fährt meine S-Bahn und ich muss los.  

(Transformationen) Und hier meine These in Reinform. Nicht in Reimform: Die Ausstellung Zuwege in Zahn am Bach schraubt empfindlich am Dispositiv, indem sie zum einen Stadt und Land, Ausbildung und Praxis sowie Konzeptuelleres mit Plastischerem zusammenführt (Zuwege) und zum anderen Raumgrenzen aufruft, um dann eigentlich eine transformative Raumbenutzung zu praktizieren. De-Parzellierung in progress. Und ein kleiner Sturm auf die Bastille des Kunstmarktes. Nur ohne Blut.

(Zum Weiterlesen) Ulrike Haß et al.: Raumbildende Prozesse im Theater, München 2013.

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