Fwd: über medien/unis
FEUILLETON
Doch kompliziert
Nach einer skandalösen Anti-Israel-Demonstration an der Universität der Künste Berlin engagieren sich nun Studenten gegen antisemitische Ausfälle in postkolonialem Jargon.
VON PETER RICHTER
Viele waren es nicht, die sich am Mittwochnachmittag im kleinen Studentencafé im Hauptgebäude der Berliner Universität der Künste, UdK eingefunden hatten, zwei Dutzend Leute vielleicht. Dann gingen eine Pressesprecherin und eine Dame „vom Gebäudemanagement“ herum und stellten bohrend Fragen nach dem Beruf: Wer als Journalist enttarnt werden konnte, ward nachdrücklich des Ortes verwiesen, und zwar „auf Verlangen der Studierenden“. Das reduzierte die Zahl der Anwesenden noch einmal deutlich.
Studierende waren es streng genommen auch gar nicht, sondern Streikende, Studenten im Ausstand „für Palästina“, wie es auf einem Programmzettel hieß, der zuvor ausgeteilt worden war. Außerdem wurde ein vom Verfassungsschutz beobachteter Agitator der trotzkistischen Gruppe „Arbeiterinnenmacht, Liga für die Fünfte Internationale“ von Studenten gesehen, die diese Zusammenkunft mit Sorge betrachteten. Auch die Damen vom Universitätspersonal waren bei ihrem fragwürdigen Vorgehen sichtlich von Panik getrieben. Um die Größe der Aufregung und des Medieninteresses zu verstehen, muss etwas über die Vorgeschichte gesagt werden.
Vor zweieinhalb Wochen, am 13. November, fand in demselben Haus, allerdings in der großen Eingangshalle, eine Performance statt. 80 bis 100 Leute saßen da, alle schwarz gekleidet und maskiert. Sie lasen die Namen von Kindern vor, die bei Israels Angriffen auf Gaza getötet worden waren, und hielten ihre rot angemalten Handflächen in die Höhe. „It’s not complicated“ stand in großen Lettern auf dem Boden und auf Transparenten stand: „Stop colonialism“ oder „Free Palestine“. Protestiert wurde mit der Aktion speziell gegen Norbert Palz, den Präsidenten der UdK, weil der in einem offiziellen Statement des Hauses den Terror der Hamas verurteilt und Solidarität mit Israel erklärt hatte.
„Nicht in unserem Namen“, wurde ihm von den Protestierenden entgegengehalten, außerdem der Vorwurf der Islamophobie und des Rassismus. Sie verlangten, dass Palz Israels Angriffe auf Gaza als Genozid verurteile und den Bundeskanzler persönlich davon abbringe, Israel zu unterstützen. Die Versuche des Uni-Präsidenten, Argumente vorzubringen, wurden konsequent niedergeschrien. Es gibt Aufnahmen von den Ereignissen, die nachvollziehbar machen, warum Palz heute sagt, dass er das als „dystopisches Ereignis“ in Erinnerung hat. Und warum er seitdem israelische und andere jüdische Studenten seines persönlichen Schutzes an der Hochschule zu versichern sucht.
Denn das eigentlich Skandalöse waren die rot bemalten Handflächen. Blut an den Händen zu haben, ist normalerweise ein Vorwurf, den man anderen macht. Was zunächst nach einem schiefen Bild aussehen mochte, erwies sich in diesem Kontext aber als besonders aggressives Statement mit insbesondere für jeden Menschen aus Israel sehr unmissverständlicher Botschaft: Im Jahr 2000 waren zwei jüdische Reservisten im Westjordanland falsch abgebogen, festgenommen und auf einem palästinensischen Polizeirevier von einem Mob gelyncht worden. Einer der Täter hatte der Menschenmenge draußen am Fenster daraufhin stolz seine blutverschmierten Hände gezeigt. Auf dieses Bild bezog sich die Performance von immerhin Kunststudenten und Gastprofessoren, dazu auch etlichen Universitätsfremden, darunter der Agitator der „Fünften Internationale“.
Mehr als zwei Wochen lang war davon kaum etwas nach außen gedrungen, bis in dieser Woche zuerst die FAZ davon berichtete. Zumindest eine Gruppe von Studenten hatte dann doch das Bedürfnis, das nicht einfach auf sich beruhen zu lassen. Eleni Manolopoulos, die bildende Kunst studiert, ist eine der wenigen, die auch unter ihrem Namen darüber mit der Presse sprechen mag. Sie hätten sich, „einfach gezwungen gesehen, etwas zu sagen, aufgrund des Antisemitismus. Ich finde es richtig, dass man auch für die Rechte der Palästinenser einsteht und dafür demonstriert und dafür muss es auch einen Rahmen geben, auch in einer Universität. Aber was nicht geht, ist der Antisemitismus in Bezug auf Israel, den wir kritisch betrachten.“
Denn vollkommen zu Recht, sagt sie, bestehe das Bedürfnis, gerade jetzt auch über die Lebensbedingungen und die Rechte der Palästinenser zu sprechen, nicht zuletzt über die Missstände im Westjordanland. „Aber bei der Demonstration am 13. November ist nicht einmal erwähnt worden, dass die Geiseln nicht zurück sind.“ Stattdessen die brutal simplifizierende Behauptung auf dem Boden, die Lösung des komplexen Nahostkonfliktes sei mitnichten kompliziert. „Ich habe keine Lösungsvorschläge“, sagt dagegen Manolopoulos: „Ich bin Kunststudent, kein Politiker. Aber trotzdem finde ich es sehr kalt, Waffenstillstand zu fordern, aber nicht ein Wort über die Geiseln fallen zu lassen. Denn dann entsteht für mich tatsächlich der Eindruck, dass jüdisches Leben für sie nichts wert ist.“
Das Gleiche gelte für jemanden, der kein Wort über die Opfer in Gaza verlieren wolle. „Das heißt nicht, dass man es vergleichen muss, man kann das nebeneinander stehen lassen. Aber es muss ausgesprochen werden. Aber das findet bei diesen Demonstrationen gar nicht statt.“ Da werde gegen Israel gehetzt und gleichzeitig behauptet, das sei kein Antisemitismus. „Die verstehen gar nicht, dass es auch Antisemitismen gibt, die aufgerufen werden, wenn man bei Israel von ,white colonial state‘ redet.“
Es sind solche Formeln und Ideologeme der sogenannten Postcolonial Theory, die viele an der UdK inzwischen, wenn nicht als Ursache, dann zumindest als Verstärker der Misere wahrnehmen, zumal Theory in der Praxis der UdK fast schon ein hochstaplerisch großes Wort sei. Ein Student, der anonym bleiben möchte, beklagt eine hausgemachte Neigung zum Unterkomplexen, Parolenhaften und blind Nachgebeteten. Er erlebe bei seinen Kommilitonen, „dass die analytischen Fähigkeiten gar nicht da sind. Die werden direkt diesem Diskurs ausgesetzt, ohne überhaupt die Werkzeuge zu haben, um zu erkennen, was ein richtiges Argument ist“.
Das Problem bestehe sowohl in der Fachlehre einzelner Klassen, als auch in der gegenwärtigen Ausrichtung der Studium-Generale-Kurse. „Damit meine ich nicht, dass der Postkolonialismus an sich schlecht wäre, ich sehe nur, dass man ihn auf jeden Fall antisemitisch missbrauchen kann.“ Gleichzeitig liege bei diesen Themen und Tonlagen auch ein karrieristisches Kalkül vor, weil es schlicht die am meisten geförderte Diskursmode sei im gegenwärtigen Kulturbetrieb.
Das Diskursniveau in der UdK selbst macht inzwischen sowohl diesen Studenten als auch ihrem Präsidenten Sorgen. Palz vermutet, dass da eine womöglich gar nicht besonders große Gruppe laut auftritt. Aus dem antidemokratischen Verhalten und den autoritären Methoden, mit denen er konfrontiert worden sei, müssten spätestens im nächsten Jahr Lehren gezogen werden, auch in Zusammenarbeit mit anderen Berliner Hochschulen.
Manalopoulos beklagt eine regelrechte „Verrohung des Tons“ durch den Mangel an offenem Dialog in der Uni: „Und wenn diese Verrohung stattfindet, dann ist es gefährlich für jede Minderheit, die muslimische Minderheit, die jüdische Minderheit, jegliche Art von anderen Minderheiten.“
Im Moment gebe es „einfach sehr viel Angst“ an der Hochschule. „Das bereitet uns auch Sorge: Wir sind jetzt die Ersten, die etwas gesagt haben. Man macht sich vulnerabel. Dafür brauchen wir die schweigende Mehrheit: dass sie sich für demokratische Werte einsetzt. Nicht für eine Seite in diesem Konflikt hier, sondern für demokratische Dialoge.“ Aber die Mehrheit verstecke sich noch.
An diesem Mittwochnachmittag versteckt sie sich konkret offensichtlich in den Klassenräumen, während der „Student Strike For Palestine“ unter selbst gewähltem Ausschluss der Öffentlichkeit in der Cafeteria hockt. Das war mit Sicherheit deutlich größer geplant, aber das Medienecho scheint viele abgeschreckt, womöglich ja auch zum Nachdenken gebracht zu haben. Und vielleicht, wer weiß, hat auch die Idee, dass man seine Professoren bestreiken könnte wie Arbeitgeber, wieder einmal nicht so richtig überzeugt. „Bildung“, sagt Eleni Manolopoulos zum Abschluss, sei das, was sie sich von der Uni gerade am meisten wünsche: „Bildung, Aufklärung.“
Kommentare