Past Lives / Krise der Narration

Also wenn ich diesen Byul-Hang richtig verstehe, dann sind INSTA und Snapchat die Endstufe der Vernichtung der Narration. Obgleich "Stories" genannt fragmentiert sich die Lebenserzählung dort zu einzelnen Informationen (die eben genau Punkte sind und keine kohärenzstiftende Eklektik iSe Erzählung als Linie). Diese Zerstückelung ist ganz im Sinne der dataharvester, die sie in Vorhersagemacht ummünzen, dh. vor allem auf einer "Vorstufe des Bewusstseins" (etwas hinkende Analogie mit dem Medium Film nach Walter Benjamin und Freud) Kaufentscheidungen prognostizieren und provozieren können.

Und vielleicht bin ich jetzt naiv oder zu binär unterwegs, wenn ich denke raushören zu können, dass dieser Verlust einer Verortung des Menschen in einer ganzheitlichen Erzählung (irgendwo ist da auch Heidegger reingemodelt worden), etwas negatives ist. Dass dadurch etwas wertvolles verlorengeht. 

An anderer Stelle haben wir uns schon mit dieser Erzählbarkeitskrise als Krise des Patriarchats in Kriegszeiten auseinandergesetzt. Und man konnte sich hier einer gewissen Freude nicht erwehren, dass zwar -- heftig genug -- die Familie darüber zerbricht, aber zumindest jeder mit seiner Wahrheit in der Hand dasteht und die Sicht auf das eigene Leben nicht völlig vernebelt wird von einer im Kern gewaltvollen und vom Kollektiv oktroyierten Zielvorstellung darüber, wer man zu sein hat.  

Sodala. So weit so gut. Aber was wenn die Scheiße backfired ? Wenn also nicht die Narration sich in der Krise befindet, sondern wenn die Krise eben gerade dadurch zustande kommt, dass der Drang, alles in ein größeres Ganzes zu überführen, quasi ein Leben nach dem mythologischen Real Book zu führen, einem die Luft abschnürt? Da gibt es nämlich diese eine Szene in dem Film die mich wirklich elektrisiert hat. Die zwei liegen nebeneinander im Bett und er (von Beruf Autor notabene!) eröffnet das Gefecht mit "Ich denke gerade daran, was das für eine gute Geschichte ist". Gemeint ist die über Jahrzehnte hingestreckte und fragmentierte "Begegnung" der Hauptdarstellerin und ihrem Kindheitsfreund (alias "sweetheart"). In einem Exzess der Abwertung der Beziehung (bzw. genauer gesagt der "story" hinter der Beziehung) fährt er dann fort, alles was andererseits zwischen den beiden ist, derbe kleinzureden (eigentlich -- und das ist für mich irgendwie paradox, indem er gerade das Argument der Folgerichtigkeit bzw. Alternativlosigkeit stark macht, quasi eine Partnersuche nach Armin Laschet, wo doch diese Komponenten gerade das Signum der Narration sind... Hä? Invertiert die Liebe als Schlachtfeld diese ganze Konstellation??). So klein, dass es mir alternativlos erscheint (denn was will man darauf auch groß sagen? Etwa: "Stimmt gar nicht... wir beide sind was ganz besonderes!"?) wenn am Ende das vernichtende Urteil steht. Aber vorgetragen in einem süßlichen Ton des Neo-Determinismus (gibt es so etwas? Einen zeitgenössischen Fatalismus ohne Gott?): 


At least this is, how we ended up here...   


Die Geschichte wird also konsequent vom Ende her gedacht. Spannend.


Das ist alles noch nicht sehr durchdacht. Aber an dieser liebenswerten ("gehörnten") Figur scheint mir eine eindrückliche Replik exerziert worden zu sein auf die doch auch sehr ambitionierte Forderung einer Rückkehr der Narration


Was, wenn wir dieser Größe gar nicht mehr gewachsen sind?


NOTIZEN

Es ist ja eine reine Behauptung/ Mutmaßung, dass die beiden füreinander bestimmt sind. Oder sieht man es an der Art wie ihre Gespräche verlaufen (intuitiv-assoziativ-mutig-fürsorglich)

"nützliche Tipps eines älteren Autoren"-->  Romantik=Selbstzweck vs. Diffamierung des alltäglichen Austauschs als quasi-kapitalistisch. Was würde Illouz dazu sagen?

Der Begriff "glücklich ein" schwebt als totale Pointe über allem leer d.i. bedeutungslos im Raum

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