Nicola Kötterl - (Anti-)Körper
Eine Textbegehung
von Janik Hauser
Gestell
Wir sind überdurchschnittlich zottlige Menschen, als wir hereinkommen, aber der
whitecube (einer, der den Namen verdient) macht uns sofort zu Modell-Exemplaren.
Leuchtet uns aus. Der graue Natursteinboden lässt uns schweben wie Halbgötter.
Die Höhe der Decken macht einen gleichzeitig klein wie eine Ameise.
Für sein Festspielhaus hat Richard Wagner an der vorderen Bühnenkante eine kleine
Rampe bauen lassen, damit der Körper, wenn er sich nähert, der Kulisse magisch
enthoben wirkt. Ich vermute, er hätte diesen Ort geliebt.
Gips(Und wir sind auch nicht alleine. Am rechten und linken Rand dieses
unheimlichen Guckkastens liegen Körperteile aus Gips. Arme, Beine, und anderes.
Wir entsinnen uns kurz, dass ein Körper aufhört, ein gottgegebenes Ganzes zu sein,
wenn er zerteilt wird. Und fragen uns eine Sekunde, ob nicht genau das schon zu
Lebzeiten geschieht, während wir von Fitness für Bauch-Beine-Po träumen. Aber
auch ohne die Assoziation zur zeitgenössischen Psychopolitik: Spürbar wird, dass
hier noch Leichen aus dem Keller über die Ränder schwappen und unseren
supercleanen Raum bevölkern. In dem Fall aus dem Keller der Akademie der
Bildenden Künste München)
Vier Körper
Und diese vier Körper werden uns schließlich geboten -- ein Schock (Was hatten wir
erwartet? Rüschenkleider?) Marineblauer Kunststoffanzug, hauteng. Wie ihn
Bodybuilder tragen. Weiße Turnschuhe. Haare: mit Pomade nach hinten fixiert. Ich
sehe Muskeln sich abzeichnen, es fließt zwischen männlich und weiblich. Die
Protagonisten sind so, wie Gott sie schuf (und ihr hartes Training natürlich).
Ihre teilnahmslose Hochmütigkeit (die ich unterstelle, vielleicht weil die Blicke so starr
sind?) erinnert an einen anderen Pavillon -- bespielt von Anne Imhof.
Aufgereiht sind sie am anderen Ende des Raumes. Und haben so im ersten Bild
etwas von den New Kids, die lässig an der Mauer bei der Schule stehen. Wenn sie
sodann jedoch den Raum erobern, dessen symmetrische Klarheit in synchron
arbeitenden Zweierpaaren reproduzierend, ist jede Lässigkeit verschwunden. Wie
Cyborgs zaudern diese Objekte nicht. Nichts erzählen! Sondern nur noch präzise tun,
was der Befehl aufgibt!
Bewegungen
Und das ist zunächst eine Dehnübung. Aber nicht jeder für sich. Dem Bedürfnis
gemäß. Sondern als starres Programm. Den Göttern oder dem Staat oder der
Perfektion verpflichtet. Dann Speerwurf – Diskus – Weitsprung -- Sprint. Klassischer
Fünfkampf. Bei all den Bewegungsabläufen scheint eine strengstens getaktete
quadratische Partitur hintergründig zu walten. Wie beim Zeit-Schach entsteht so eine
Fläche an Konzentration, in der der Mensch sich ganz und gar den Regeln der Kunst
hingibt. Er erscheint als Unterworfener. (Und darin groß und frei)
Der Sound: schwillt an, pulsiert. Wie Schmerzphasen treibt er die Leiber vor sich her,
aus sich hinaus. Und gleich den klatschenden Dampfhammer-Händen aus der Kafka-
Parabel Auf der Galerie gönnt er ihnen keine Pause.
Doch die klare Abfolge von Bewegungskategorien aus dem Sport wird durchsetzt mit
anderen Disziplinen der Disziplinargesellschaft. Militär, Gefängnis, Prostitution. Als
hätte der Parasit der Macht mit seinem Bedürfnis die Körper zu unterwerfen
massenhaft andere Wirte gefunden. In den Systemen der Tänzer*innen führt diese
Zeitraffer der Gewalt an den Rand des Leistbaren – Momente der Konfusion sind
vorprogrammiert. Es scheint: Der Machtapparat hat Verluste in seiner Phalanx
bereits eingepreist. Für jede*n der die fällt, kommt ein neuer kampfesmutiger Körper
nach.
Wie sich jedoch das Karussell der Wiederholung von Gesten schneller und schneller
dreht, unterfüttert von den tieffrequenten Sound-Samples, kann, so scheint es, die
Ordnung des Quadrates nicht mehr aufrechterhalten werden. Eine Kreisbewegung
bildet sich heraus, ein Tanz von Kraft um eine Mitte (hier: die Glasscheibe, die auf
Rollen händisch gedreht wird), wobei in dieser Mitte, an der Glasscheibe immer noch
der Bewegungsfluss zu einzelnen Posen gefrieren kann. Sie erscheint als Nullpunkt
in dem Dampfkessel von Sexualisierung, Körperkult, Projektionsgeschehen,
Unterwerfung.
Am Schluss zerbirst diese Scheibe. Die Fragilität des individuellen sowie des
kollektiven Körpers liegt traurig und geplättet im Raum, wo eben noch so viel Potenz
und Biegsamkeit aufgewirbelt wurde.
Katastrophe
Dieser Bruch des unzählig verbogenen Materials, so könnte man in Anlehnung an
die griechische Dramentheorie deuten, ist die Katastrophe in dem Gefüge der
Performance. Die Unter-Brechung, an der sich alles Handeln neu ausrichten muss.
An der vielleicht ein Umdenken einsetzen könnte. Zu einem gedeihlicheren
Zusammenleben, in dem Körper weniger müssen, und gleichzeitig mehrfache
Bedeutung tragen dürfen. Aber dieser Moment wird überholt von der Trägheit der
althergebrachten Mechanismen. Das Karussell gerät wieder in Schwung.
Das Stück (Anti)-Körper steht, wie jede darstellende Disziplin, auf einem fast schon
verlorenen Posten. Um zu bezeichnen, was ihr Gegenstand ist, muss sie diesen
zunächst einmal wiederholen. Fraglich ist: Macht sie sich hierdurch sodann
mitschuldig? Wie kann vermieden werden gleichsam auf Gewalt mit Gewalt zu
reagieren? Der Ansatz einer Lösung ist die Wiederholung der Machtdynamiken.
Hierbei kann ein Momentum der Neudefinition, der Immunisierung entstehen.
Literatur:
Haß: Chor
Rechnitz (Jelinetz)
Kafka: auf der Galerie
Byung-Chul Hang: Narration, Psychopolitik
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