Krieg / öffentliches Sprechen / Deutungshoheit über Gewalt (Gedanken zu punktlive) 2

 Also wieder wurde etwas vorgelegt. Und ich soll darüber sprechen. Also was heißt soll. Niemand hat mich darum gebeten. Ich fühle vielmehr einen inneren Drang. Einen Trieb, den man vielleicht besser unterdrücken sollte. Oder zumindest sublimieren.


Vielleicht ist diese Form des Sprechens aber schon Sublimierung genug. Weil sie nie zur Sache kommt. Sie zielt immer darnach aber verfehlt sie permanent. Mein ganzes Sprechen eine einzige Aberatio Ictus. So sei es denn.


Alles beginnt, wir hatten schon darüber gesprochen, mit der Behauptung eine neue Sprache zu finden. Für das Theater. In den Zeiten der Digitalisierung. Für einen Anthroposophen wie mich natürlich eine offene Kampfansage. Und der Dramaturg in mir (er ist nicht zu Ende ausgebildet. Überdies verkümmert von so viel Liebeskummer, Marketing, Exzessen, Jura -- allesamt denkfeindliche und kritiklose Tätigkeiten) vermutet bei dieser Wendung der Sprache (sie windet sich förmlich, wenn sie über sich selbst spricht) natürlich eine Floskel, die massenhaft in Kulturförderungsanträgen gebraucht wird, um sich zu schmücken. 


Aber wir hatten eben auch schon die Vermutung geäußert, dass diese Floskel im Bezug auf punktlive ggf mit Leben gefüllt sein könnte. Wir hatten dies an dem durchschlagenden Erfolg der Amateurgruppe festgemacht und an dem Umstand, dass vermutlich eine Reflexion über das Dispositiv der digitalen Kommunikation in die Mittelwahl Einzug erhält und dort sichtbar wird. Das klingt noch sehr vage. Ist es sicherlich auch. Aber ist ja auch kein Bezahljournalismus hier. Sondern hobbiemaßiges Blogging.


Nun jedenfalls steht dieses Mal Odysseus zur Disposition. 

Als Mann 

Als Held

Als Schimäre


Und so viel kann ich verraten -- es geht hoch her. Denn am Anfang ist die um ihn gebaute Talkshow (seine Frau und sein narzisstischer Influencer-Filius sind auch zugegen) ein reines Sprechen über ihn. An ihm vorbei. 

Es wird sichtbar: Der Boulevard zwängt den einzelnen erst in die Rolle des Protagonisten. Um ihn dann zum Helden zu machen, oder scheitern zu lassen. 


Und das ausgehungerte Volk braucht das. 

(Spannende Frage übrigens, ob das Studio-Publikum in Nürnberg diese klamaukige affirmative Haltung an dem Abend performt, weil sie vor Beginn der Aufzeichnung aufgeheizt wurde, oder ob wirklich die meisten der hier versammelten so durstig sind nach Zoten und dabei gewillt die ungemeine Gewalt hinter jedem Entertainmentformat (Quizz-Duell, Offenbarungsinterview, Videoschalte auf den Olymp) und jeder Geschichte vom Krieg mutwillig zu überhören).


Jedenfalls wirken Frau und Kind relativ sattelfest. Genesen von den Entbehrungen des Krieges (die vor allem in den Widrigkeiten einer Besetzung des eigenen Zuhauses durch testosteronschwangere Freier bestanden hatte), während Odysseus wie ein kastrierter, ein rückgratloser Traumapatient in der Luft hängt.


Und dann kracht es natürlich. Weil das Patriarchat infrage gestellt wird. Von dem kleinen Filius treffender Weise, dem eben ein eigenes Großspur-Format angeboten worden ist, bei dem man ganz ohne den Ruhm von Papa auskommen kann. Er ist es, der letztlich den Realitäts-Check einführt, weil er nicht glauben mag, dass der Krieg tatsächlich so grausam und entbehrungsreich sein soll, wie immer kolportiert wird. Bezeichnenderweise wird dieser Griff nach der Wahrheit aber auch nur gewagt, weil der Kleine getriggert wird -- hier passt der Begriff ausnahmsweise -- von des Missachtung der eigenen Kinderkritzeleien durch den Vater, also quasi der Inbegriff von infantilem Narzissmus. Das Narrativ vom ruhmreichen Heimkehrer wird zur reinen Handelsware degradiert, das fallen muss, wenn ein jüngerer Bub nicht genug Aufmerksamkeit bekommt.

Die Möglichkeit Kohärenz zu stiften -- und hier macht die Inszenierung eine wirklich spannende Aktualisierung des Klassikers -- ist also nicht mehr wie nach antikem Verständnis ein göttliches Derivat. Verknüpft mit Wahrheit und Harmonie im Kosmos. 

Sie ist hier eine reine governance-Strategie und dem Eigennutz der sie bedienenden verpflichtet.

Konkursmasse in Zeiten, wo es wichtiger ist Follower zu haben, als bestimmten Werten zu folgen.  

Die Familie entzweit sich folgerichtig auch nicht an den Leiden des Kriegs. Diese können heilen. Sondern ihr Scheitern vollzieht sich an einer deutlich zu Tage tretenden Krise der Narration

Fraglich ist aber, ob hier der Rückschluss vorbereitet werden soll, dass die Familie nur durch die Narration gestützt wird. Und ohne sie nicht existiert.  

Das ginge wohl zu weit. Eher scheint es, dass der Oikos wirklich für sich funktioniert als Gebilde, aber in dem Moment, da die Polis in ihn eindringt, und ihren Tribut fordert (=Krieg) die Erzählung beginnen muss. 

Das Ende von deren Wirkmacht wiederum ist mit dem Eintreffen und Ausleuchten der geschundenen und traumatisierten Körper bereits besiegelt. 


Was dann kommt ist Trennung, Trauma, Schweigen.


Eine wichtige Erinnerung in einer Ära der quasi-Renaissance heiliger Kriege




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