Theatralische Sendungen


 

Also wenn Sie mich fragen, verehrte Herren der Akademie, wie ich vom Mensch zum Übermenschen geworden bin, dann führte der Weg durch die Schauspielschule. Hier lernt man alle zu sein und dabei keiner richtig, weil man ja nur das Abziehbild braucht: Bänker schaut nervös auf die Uhr, das Kind verträumt in die Luft, das Frauenzimmer verschämt zu Boden, voilà Charakterpanorama der Nation. Dem bürgerlichen Publikum Unterhaltung und Vergewisserung, dass es noch abgefucktere, ärmere, triebischere oder unzufriedenere Personae geben wird, als sie, deshalb das eigene Leben gerade so noch erträglich. So zeige ich ihnen allen ihre Fratzen und sie bezahlen mich dafür, hoffend, dass aufgrund ihres Lachens über jene die eigene unterdrückte Traurigkeit kurz einmal nicht obsiege.    

 

Wie ich jedoch in diese hehre Akademie aufgenommen wurde, ist eine eigene Geschichte. Während es früher genügte eine Flasche Korn zu exen und danach laut zu rülpsen, wurden den Meinigen abverlangt, einen Aufsatz zu verfassen über die Aufgaben eines Mimen in unserer krisenumwetterten Zeit. Ein Bekenntnis. Zum Aberglauben. Es sehnte mich, schwitzend vor dem leeren Papier, nach den Zeiten, da es genügte zu schlucken, wo heute eine Nabelschau verlangt wird, bei der mein innerstes moralisches Wesen zutage tritt. Denn was könnte diese Aufgabe sein? Des Theaterdirektoren Bettgenosse zu werden, wenn dieser es wünscht? Unbezahlte Führungen durch das Theater zu geben oder gar eigene Stücke ohne Gage an der „Bar“ feilzubieten? Dabei Projektionsfläche zu sein von der vom Begehren hart vom Nichts ins Nichts gepeitschten männlichen Stadtgesellschaft? All dies wäre keine neue Definition des vielseitigen Berufsbildes. Es wäre die Beschreibung des Status quo.

 

Eine Aufgabe hat jedoch nur der Visionär. Der etwas ins Werk setzt, was es so noch nicht gibt. Denn dies unterscheidet ihn vom Boten oder Handlanger. Ich höre schon die Zweifler: „Sich die Hände auf die Straße zu kleben, um den unaufhaltsam ausbeuterischen Warenstrom für ein Vaterunser lang aufzuhalten, nur um dann im Gefängnis zu landen, soll das eine Aufgabe in Ihrem Sinne sein?“ Wieder andere maulen: „Dass es bei Filmsets jetzt immer Therapiegespräche geben muss, bevor man mit dem Drehen beginnen kann, weil die Schauspieler ohne safe space nichts mehr zu produzieren bereit sind, ist dem Gelingen der Kunst als Kommunikationsmedium auch nicht zuträglich. Hier entscheiden Parlamentarier über ihre eigenen Diäten.“

 

Ich aber teile die Flut an Hasskommentaren, um in ihrem Tal zu einer neuen Zukunft zu gelangen, in der unsere Leute ohne Knechtschaft leben können. Ich fordere einen Schauspieler:in, der in Theorie geschult ist, seinen Barthes kennt, seinen Lyotard, seinen Rancière, Frantz Fanon, natürlich Focault usw., der aber auch die Gewerke versteht. Mal geschreinert hat. Einen Dispoplan. Eine Exeltapete mit tausend Gehältern erstellt. Und natürlich fechten kann. Und Feldenkrais wäre nicht schlecht. (Nur Rollenstudium kann man sich sparen. Das lernt man in einem rotweinschwangeren Streitgespräch mit dem Dramaturgen und ansonsten by doing)

 

Eine solche Akademie, hohe Herren, aus der ein solcher Schauspieler hervorgehen könnte, existiert freilich noch nicht. Weshalb es auch überflüssig wäre, einen solchen Schauspieler zu fordern. Denn Sie entscheiden, was die Aufgabe eines Mimen überhaupt sein kann. Seien Sie also, mit Verlaub meine Herren, lieber transparent mit Ihren Annahmen, und sparen Sie sich einstweilen die mühsame und überdies geheuchelte Fragerei


Hochachtungsvoll


Ihr Wilhelm Meister-Rotpeter


 

 

  

 



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