Warum ich diesen text schreibe, wenn sie wollen

Frankfurt, Dramaturgie, 3. Mastersemester Chris Merken (so etwas wie der weiße heterosexuelle Saraswati) beklagt sich im COACHING DRAMATURGIE, dass man als Produktionsdramaturg in der freien Szene zunehmend das Marketing, die Akquise von Fördermitteln (und andere nicht-künstlerische Aufgaben) mitübernehmen müsse. Wir alle jung und voller Hoffnung, können uns einer gewissen Befremdung nicht erwehren, dass da jemand sitzt, der sich ÜBERHAUPT WAGT ZU BEKLAGEN, WÄHREND ER GLEICHZEITIG EINEN JOB HAT. Jetzt ist fünf Jahre später. Und es ist Inflation. Dennoch würde ich sagen, meine Haltung hat sich nicht geändert. Weshalb ich auch seit zwei Jahren (vergeblich) versuche Streitstände — zum Beispiel den über die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung — auswendig zu lernen und deshalb keine Zeit habe für spoiled-richkid-questions like „what is the next up’n’coming city for an internship in the arts?!“. Eigentlich.


Aber


Sie hat gefragt.


Betonung auf „Sie“.


Die Queen, wenn man so will. Queen Mum.


Das Ding ist nur, wenn ich meinem antielitären Chris-Merken-hater-Ich im Spiegel noch in die Augen schauen können möchte, bedarf es jetzt zumindest eines gewissen Begründungsaufwands, bezüglich der Frage, was ich denke, wenn — und Insa, deine Worte hallen mir sehr wohl noch schmerzhaft nach im Ohr — ich sage


OK, ICH MACHS. 


Ich hab also nach der versoffenen Nacht im Kunstverein statt zu schlafen, eine lange Liste gemacht, mit Pros und Cons, wobei ich die überwiegende Seite hier stark gekürzt wiedergegeben möchte 


  1. Die gewachsene Überzeugung, dass das Mobbing, welches mir in ebendiesem Dramaturgie-Studiengang widerfahren ist, und welches mich auch endgültig mit diesem Dunstkreis hat brechen lassen, und mit dem Gedanken, dass Menschen, deren Herz für Theater brennt (oder die diesem Feld zumindest ihr Berufsleben zu opfern bereit sind) Menschenfreunde sein müssten, dass also dieses Mobbing seine Wurzeln in dem identitätspolitischen Diskurs mit seinen Essentialisierungen hat, all dies zurückgehend auf Focaultlektüren, die man sich hätte sparen sollen, oder zumindest deren Conclusionen für das tägliche Leben es zu überdenken gegolten hätte. 
  2. Aus og. Überzeugung ist in mir eine starke Sympathie für Leute angelegt, deren Stimmen, dich als Gegenüber tragen, deren Blicke dich einfangen, deren Nachfragen sich aus Interesse speisen, deren Körperzeichen auf Einschluss stehen und deren Alltag auf Mut, flankiert von einer Gesinnung, die auf Gemeinschaft zielt. 
  3. Aus meiner Erfahrung aus Gesprächen mit darstellenden Künstler*innen hat es sich als selten aber unabdingbar erwiesen, dass über die eigene Praxis und ihre Implikationen ernsthaft nachgedacht wird. Ein Nachdenken, dass einen gefährden kann. Ich nehme es daher als Indiz, Helena, wie eine Frage in dich versinkt, weil du nachdenkst, wie sie dich kurz arretiert. Übrigens auch wie du, Nici, ohne Rage über soberness und mansplaining reden kannst. Ohne Narzissmus. Wie du hochdotierten shit im HdK machst, aber auch deinen Sonntagnachmittage mit Experimenten im Innenhof der Akademie dir um die Ohren zu schlagen bereit bist.
  4. Ich habe ein Resurrexit-Gefühl, wenn ich an die Probebühne mit Blick auf den Güterbahnhof denke
  5. Nach dem Freerider-Geburtstag und der gescheiterten Waschsalon-Performance weiß ich: Du würdest mir auch Windeln nach Sigmaringen fahren, damit sich der Hungerkünstler vor dem Hoftheater nicht wundsitzt.
  6. Boris N. nimmt sich auch eine Stunde Zeit, um mit mit mir über meine Stuss-Ideen nachzudenken.
  7. Es ist — entgegen der Annahme in manchen von Mousonturm-Gratis-Kürbissuppe verwöhnten Kreisen —  keine Renovierungsarbeiten an dem Gestell möglich, ohne dass man sich die Hände nicht ein wenig schmutzig macht.
  8. L. F. Céline (mit Houellebecq mein einziges nicht-weibliches Vorbild) war sich auch nicht zu schade, dem Fürsten den Popo zu pudern um gleichzeitig qua Schrift dessen moralische Insolvenz zu vervalten.  


 


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