on attention
Aufmerksamkeit ist eine Ware. Das zumindest behauptet Georg Franck
Was heißt das für mich? Jede Sekunde, die Ihr meinem Blog von Eurer Lebenszeit schenkt, ist ungeheuer viel Wert. Google, Twitter, Instagram würden dafür einiges an Barem liegenlassen.
Dieses Eigentum, Eure ungeteilte Aufmerksamkeit, wie sollte es anders sein, verpflichtet.
Ich werde daher nicht mehr, wie letzthin geschehen, irgendwelche dahergelaufenen Gastautoren ihre halbgaren Thesen hier verbreiten und verbreitern lassen. Denn das ist ja was effektiv passiert, wenn man auf Twitter geht, oder sich Gastautoren wie L.K ins Boot holt: Viel Sprache, viel Effekt auf wenig Inhalt (d.h Argumente und intersubjektiv verwertbare Begriffe). Ich habe den Fehler gemacht, den die SZ-Online Redaktion schon in den 2000ern unter großen Buhrufen wiederrufen hat, als sie für bestimmte Artikel die Kommentarspalten geschlossen hat. Denn es kommt einfach ganz viel hasserfüllte Kackbrühe dabei raus, wenn man das plebejische Geschwätz gewähren lässt. Es war jetzt lange genug "broadcast yourself", wir brauchen ggf. wieder eine neue Aristokratie des Wortes und eine Gegenbewegung zu der Acceleration mit der der Raubbau an dem Diskurs vorangetrieben wurde.
Es ist einfach nicht vertretbar (und BASTA), dass der 218a StGB nicht zum Schutz des ungeborenen Lebens eingerichtet wurde.
Lasst uns diesen Quatsch also löschen und in Zukunft vermeiden...
Lasst uns alle Journalist*innen sein und bestimmte Standards einhalten. Machen wir unsere Grundschullehrer*innen stolz!
Aber wo wir gerade beim Thema attention sind. Vielleicht kann man ja eine Brücke schlagen zu den Geschehnissen im Dannenröder Forst. Der wird derzeit von einer Menge Aktivisten* bevölkert, die verhindern wollen, dass die A 49 dort entsteht, und dafür alle Bäume weichen müssen, die bis jetzt noch dort stehen. Diese Jungs müssen sterben als Pallets in der Stube irgendeiner spießbürgerlichen als Heizung enden. Man versteht, dass da die Gemüter hochkochen. Wir erinnern uns, dass unlängst Markus Söder himself sich erblödet hat, einen Baum zu umarmen, weil man diesem Thema anscheinend gerade dann doch echt gar nicht mehr ausweichen kann. Die diesbezügliche Aufmerksamkeit ist garantiert.
Es ist nun eine tragische Wendung, deren Eignung als Metapher im Kontext unseres Themas nicht gar fernliegt, wenn, wie neulich geschehen, eine Gruppe von Aktivisten* sich von einer Autobahnbrücke abseilt, um ein Transparent anzubringen, dabei ein Verkehrsteilnehmer* allerdings derart abgelenkt wird, dass er einen Unfall verursacht und sich schwer verletzt. Denn wo suchen die betreffenden Personen ihre Aufmerksamkeit und in welchem Stadium des Meinungsbildungsprozesses? Verkürzt gesagt: sie suchen eher dort (bei den Autobahnfahrern*), wo sie vermuten müssen, nur schwer durchzudringen, sich aber ihres Statuses als Aufreger und luziden Nestbeschmutzers absolut gewiss sein können und sie suchen sie gerade dann (unmittelbar vor Baubeginn) wenn alle Verfahren der Bürger*innenbeteiligung, bei denen kompliziert Positionen artikuliert und gegeneinander abgewogen werden müssen bereits abgeschlossen sind, und der somit provozierte Moment direkter Konfrontation der Antagonisten ein visuell eindrückliches und medial wirksames weil leicht zu dechiffrierendes Finale verspricht.
Pointiert könnte man sagen: ein derart zahnloser Tiger muss natürlich umso heftiger zappeln, um in der Manege noch Eindruck zu schinden. Dass dabei so manches Pferd scheu wird, und es mitunter auch mal kracht, liegt dann nicht mehr so fern. Vielmehr realisiert sich darin eine mehr oder minder typische Betriebsgefahr des motorisierten (Diskurs-)Verkehrs. Ein erbittertes Zerren um die knalligeren Bilder führt ggf. nicht zuletzt dazu, dass die vielen validen Argumente gegen die Verwirklichung des Großprojekts zu den nerdigen kleinen Brüder der ungemein kommensurablen David-gegen-Goliath-Erzählung verkümmern.
Es ist natürlich eine reine Unterstellung und semiotisch ungenau wenn ich diese Form des In-Erscheinung-Tretens als narzisstische Selbstvergewisserungsstrategie zu deuten versucht bin, die den Mantel der Gerechtigkeit erstmal nur als Tarnumhang trägt. Trotzdem mal geäußert hier als Vorlage, um von der Gegenansicht umso gnadenloser zerfetzt zu werden.
Es ist aber entschuldbar, dieses Zerren, bei dem Reibung entsteht und es gegebenenfalls auch mal kracht, wem man sich vor Augen hält, wie verdammt leichter der Ruf in die eigene Echokammer von der Hand geht, und wie verflucht schwer dagegen die Schwelle zu überwinden ist, hin zu einer Apostrophe an zumindest potentiell etwas anders Denkende, bei welcher man die eigene Sprache infrage stellen muss, die durch das ewige preaching to the converted bereits ganz heiser und fahl geworden ist.
Grüße aus der Chefredaktion
Ganz allein im Haus. Alle anderen sind mit Isomatte und Proviant zu den Baumhelden im Danni gefahren. Geländespiele spielen
Kommentare