on attention II - Replik auf THEATER KANN DAS
Prolog
These
Behauptungen machen die behauptete Tatsache zwar in gewisser Hinsicht wahrer, wie wir bezüglich Donald Trump gesehen haben (freilich insofern Wahrheit, wie häufig in den Geisteswissenschaften weniger als essentieller Begriff sondern eher als intersubjektiver Kampf angesehen wird, Schlachtfeld der Epistemologie). So entstehen qua Sprechakt afrikanische Staaten, Wahlbetrug wo tatsächlich nur eine Wahl war und Alternativlosigkeiten (Mauerbau) wo eigentlich eine Wahlmöglichkeit bestünde. Behauptung statt Diskurs. Aber fraglich bleibt wie lange diese provisorische Wahrheit aus Begeisterung oder Empörung (das kann man beliebig permutieren) die Beteiligten* glücklich macht. Wie lange die Freude reicht über die sprachlich hergestellte Potenz und wann es einen nach neuer Selbstvergewisserung dürstet.
These
Unbestimmte Slogans geben einem bestimmten Auftreten das nötige Understatement. "Wir schaffen das" ist in gewissen Kreisen als deutlich zu hemdsärmelig angesehen. Es haftet dem eine beinahe paternalistische Aufforderung zum Tätigwerden an. Zum gemeinsamen Tätigwerden, wobei dieses ein "Wir" erfordert, welches mit einer grundsätzlichen Skepsis, ja beinahe Verachtung versehen worden ist, aus der man jetzt fast nicht mehr heraus kann. (Allenfalls kann ein rot hervorgehobenes "uns" noch Zustimmung finden, insofern es Teil eines durchweg positiv konnotierten wie weiten Begriffes wie der der Kunst ist).
Und noch etwas flirrt in dieser Unbestimmtheit. Das ungeheuer zwingende (im doppelten Wortsinn) Argument der Partizipation. Wenn ihr Songwünsche habt, ruft sie einfach! Als ob so etwas jemals funktioniert hätte. Als ob die Institution wandelbar wäre, nur Wachs in den Händen ihrer teuren Rezeption. Produkt ihrer Rezeption. Die Sphären Produzent/Konsument sollen aggressiv verwischt werden. Und das soll notabene nach Utopie klingen und natürlich keineswegs ein neoliberales Projekt sein. Erst recht kein billiges Marketing. Den Rezipient* zum kreativen Co-Autor* erheben als Weg durch die Krise. Das ganze verbucht und abgerechnet durch die Türhüter des Diskurses Facebook, Twitter, Instagram. Am Ende des Regenbogens der Goldtopf. Partizipation der Teilung und Wegnahme.
Aber was kann das Theater?
Versuch einer Konkretisierung des Schlachtrufes
Überleben?
Klar, denn die Steuerressourcen sind ja erstmal unbegrenzt, im Vergleich zu denen des Nagelstudioinhabers*. Das ist wohl nicht das Problem und gleichzeitig auch nicht die beschworene Kompetenz
Gehört werden?
a) analog
Über den November hinweg wohl eher schwierig. Zumindest in den althergebrachten Räumen. Etwas anderes wäre es, wenn man wie einst das Bread and Puppet Theatre mit dem LKW durch die Stadt fahren würde und vor den Fenstern der riesigen Häuserfassaden haltend, einfach begänne zu spielen. Gegen alle Widerstände. Mit Megafon, meinetwegen mit Maske, mit oder ohne Sondernutzungsrecht. Neue Formate ausprobieren. Wenn Fragen entstehen könnte der/die* Dramaturg*in der Produktion ja zu Hause anrufen und man könnte mit Leuten sprechen, die womöglich sonst das Theater niemals von innen gesehen hätten. Aber natürlich gibt es auch den Effekt, dass dadurch die althergebrachten Formate in ihrer Legitimität angekratzt werden würden. Das müsste man halt wagen.
b) digital
Muss das sein? Ja, vielleicht muss das sein. Und bringt uns wieder etwas semiotische Bescheidenheit ein. Dann muss man halt mal genauer hinschauen, was da auf der Bühne gezeigt werden sollte. Vielleicht wird so mancher billiger Effekt, auf den die hundertste Signature-Move-Inszenierung von einem top bezahlten Star-Regisseur (Rasche, Mondtag, younameit) entscheidend fußt, somit einfach enttarnt. Das Gepose fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen ("kein Mensch hat so nen Körper"). Vielleicht werden dann ja wieder andere Komponenten des Zeichensystems Theater relevant. Ist noch nicht absehbar. Ich würde mich in jedem Fall darüber freuen.
Sich selbst erkennen?
Erfahrungsgemäß schwierig. Wird zwar immer stark behauptet, aber selten tatsächlich eingelöst. (Gegenbeispiele sind unter anderem die Zeit von Wanda Golonka in Frankfurt (siehe Nikolaus Müller-Schölls Ausführungen in An Antigone...), Boris Nikitin, der das Vorsprechen der Otto-Falkenberg-Bewerber*innen für die Schauspielschule selbst wiederum zu einem Theaterabend umtopft) Aber eigentlich wäre genau jetzt die Zeit dafür, die eigene Rolle in der Gesellschaft nicht nur lamentoartig zu behaupten, sondern sich ganz konkret an die Definition zu wagen, ggf. an die Reform, falls notwendig. Ich meine es gibt ja genug zu kritisieren an der Institution. Wenn jetzt schon solche Videos entstehen, wie das oben verlinkte von L.R, dann sollte der Gestus der Revision nicht nur kokett vorgeführt werden, sondern das Medium des Vlogs konsequent als ketzerische, feige Attacke auf die heiligen Hallen genutzt werden. Das nur meine Meinung.
Mal still sein und weiter denken
Allerdings könnte der wichtigste Beitrag derjenige sein, der gar nicht geäußert wird. Es könnte genau jetzt an der Zeit sein, mal nicht um sich selbst zu kreisen. Sondern vielleicht neuen Input suchen. Mal wieder mit der Familie reden, die man so lange vernachlässigt hat für Abendproben und Premierenfeiern (oder ähnliche Trinkanlässe, wie sie in der Theaterszene ja nicht rar gesät sind). Sich mal einen Bestseller holen und schauen, was derzeit so vertreten wird. Es ist ja möglich, dass man sich schon gewöhnt hat an das ständige gesehen-Werden an das zyklische gefeiert- und beklatscht-Werden. Das ist aber vielleicht Teil des Problems, das gerade unseren Diskurs so verhagelt. Ich denke immer an die gute Elfriede Jelinek. Natürlich erscheint die nicht zu irgendwelchen idiotischen Preisverleihungen, weil das ja auch alles bescheuertes Beiwerk ist. Sie feiert die Effizienz des einfach-zu-Hause-Bleibens. Dies erfordert den zunächst befremdlichen Verzicht auf den eigenen narzisstischen Impetus. Aber ich bin überzeugt: Es lohnt sich.
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