Ein philosophischer Essay zur Hygiene
Erik A. (Columbia Univ.) ist Gastautor bei SlämSchläm seit Februar 2018. Er bedient das rechte Spektrum der Leserschaft. Von seinen Äußerungen distanziert sich die Gesamtleitung ausdrücklich. Für seine Artikel hat A. [mehr lesen]
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
Louis Ferdinand Céline, der berühmte französische Sprachkünstler und Romancier war Hygieniker. Seine Doktorarbeit in Medizin schrieb er über Semmelweiß, das ist der Typ, der das Penicillin erfunden hat. Wer ein wirksames Medikament erfindet, erweist der Menschheit einen Dienst, indem er eine Grenzziehung ermöglicht zwischen dem, was unseren Körpern schadet und dem Anderen. Das ausgestoßen gehört. Denn es gehört nicht zu uns, einfach aus dem Grund, weil es die Kraft hat, uns anzugreifen.
Diese Denke fasziniert den Hygieniker, denn er sieht den Kampf ums Überleben als den Hauptkriegsschauplatz unseres Daseins. Céline, der noch immer in den französischen Lehrplänen seinen festen Platz hat, huldigt dieser Denke in seiner Doktorarbeit ebenso, wie er in seinem literarischen Schaffen eindrückliche humoristisch verklausulierte Bilder von Erbgesundheit liefert, die diesem Denken der Ausgrenzung durch die Hintertür einen roten Teppich ausrollen.
Von einer Kollegin habe ich eine lustige Anekdote: Donald Trump hat in seinem Wahlkampf öfters einmal einfließen lassen, wie oft er sich täglich die Hände wasche (Wir alle erinnern uns außerdem an die Diffamierung von Mexikanern, unter der Behauptung, diese brächten Krankheiten oder an die Formulierung Shitwhole-countries, die die Konzepte wirtschaftlicher Minderwertigkeit Fäkalien überblendet -- welche wiederum notabene! ein Ausscheidungsprodukt sind) Und überhaupt gebe er den Staatsoberhäuptern aus Asien nicht gerne die Hand zum Gruß, weil er die Bakterien fürchte. Er bekennt sich also wie seine Kollegen Céline und Semmelweiß zu dem Phantasma des reinen Körpers und "Volks"-Körpers. Der Witz ist nun, dass die Öffentlichkeit hier nicht lediglich harmlose funfacts aus dem Privatleben des Präsidentschafts-Kandidaten vorgesetzt kommt. Pustekuchen. Irgendein PR-Heini im Wahlbüro Trumps hat eine Statistik ausgegraben, dass unter Trumps Zielgruppe den konservativen Wählern Hygiene signifikant höher gehängt wird, als bei dem Rest der Amerikaner. (Danke Anja, das war ein sehr inspirierender Vortrag!)
Die Juristen, das weiß jeder, die sind ein komisches, pedantisches Völkchen. Sie erstellen sogenannte Gutachten, formulieren Öbersätze, definieren einzelne Begriffe und legen unter dieses engmaschige Netz an Bedeutung dann die Realität in all ihrer Komplexität. So kommen sie zu der Fragen, ob es Körperverletzung ist, jemandem ins Gesicht zu spucken, ob Beate Zschäpe an einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" leidend, unfähig war, das Unrecht ihrer Taten einzusehen, oder wo die sexuelle Belästigung beginnt und wo der einseitige aber dennoch "harmlose Flirt" aufhört. Diese Arbeit bezeichnen viele in meinem Umfeld als "trocken" und in einem negativen Sinne "normierend". Ich bin gut mit einem Rechtsanwalt befreundet und würde nach vielen abendfüllenden Gesprächen selbst sagen: Sie ist vor Allem irgendwie hygienistisch ("die guten kommen ins Töpfchen, die schlechten ins Kittchen") und sehr notwendig.
Die öffentliche Meinung in Zeiten von Facebook und Twitter, so könnte man ein älteres Sprichwort abwandelnd formulieren, ist die vierte Gewalt im Volk. Jedoch im Vergleich zu der Judikative mit ihrer Unschuldsvermutung, dem strafprozessualen Mündlichkeitsprinzip und nicht zuletzt den (oben als pedantisch bezeichneten) strengen Regeln der Subsumtion sind ihre Regeln nirgendwo bindend formuliert oder gar mit Eigenschaft zur zwangsweisen Durchsetzung versehen. Zu deutsch: Wer kümmert sich darum, dass es "fair" zugeht, wenn irgendwo der Vorwurf des Konservatismus, Chauvinismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus laut wird. Wer wird gegen aufbrandende Aufschreie seine Stimme erheben und für Differenzierung und Verständigung statt Fama plädieren?
Ein Kollege aus einem arabischen Land hat sich neulich vertraulich an mich gesagt: "Erik, wann ist bei Euch Kritik eigentlich zu einem Suchspiel verkommen?" Ich wusste nicht sofort, worauf er hinaus wollte? "Naja, ein Seminar kommt mir manchmal vor wie dieses Gesellschaftsspiel "TABU". Man muss so schnell wie möglich einen Begriff erklären und der Rest der Gruppe hängt nur an Deinen Lippen, in der Hoffnung, du mögest eines der verbotenen Worte benutzen, damit sie Dich anhupen können." Nachdenklich zog er von dannen, ich konnte gerade noch hinterher rufen, dass kritein nun mal unterscheiden heiße, und dass wenn man die Spreu vom Weizen trennen muss nicht jedes einzelne Korn...
Meine Metapher geriet ins Wanken. Später erfuhr ich von einer Studierenden, dass er wohl gesagt hatte, dass, frei übersetzt, Theaterstücke in arabischen Ländern nach dem arabischen Frühling "von einer visuellen Dramaturgie kontaminiert" seien, die den "Primat des Textes auf der Bühne gefährden" würden (von dem alle im Raum wussten, dass mein Kollege sich niemals anschicken würde, ihn zu verteidigen). Ich wusste in diesem Moment ob ich schmunzeln sollte oder die Stirn in Falten legen über diese Episode hygienischer Operation an dem Hygiene-Denken. Notwehr gegen Notwehr ist eben eine schwierige Sache.
ea
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