in einfacher Sprache >> Legal affairs / Rundfunkgebühren/ Affirmation




Wir finden dass Sprache nicht dazu da sein soll, Leute zu unterdrücken. Wir haben das unserem Autor gesagt. Er hat geleugnet, dass er das mit dem Artikel zu der Serie Legal Affairs gewollt hat. Wir haben daher in der Redaktion beschlossen, mit ihm ein Interview zu führen und aufgrund der so gewonnenen Erkenntnisse den Artikel nochmal in einfacher Sprache zu schreiben. Diesen Artikel kannst du unten lesen, in fetten Buchstaben


Ne, es ist natürlich immer dünnes Eis wenn man sich hinstellt und meint, man wisse es besser als das Feuilleton [In der Süddeutschen Zeitung wurde die Serie Legal Affairs sehr gelobt. Auf diesen Artikel wird sich hier bezogen]


Und ich bin auch kein Gscheidhaferl, wo jetzt aus Prinzip Expertise behaupten muss, sowie das Sujet Jura lautet. [Die Verfasserin des Artikels hat Jura studiert, ist allerdings am ersten Staatsexamen gescheitert und hat jetzt ein besonderes Verhältnis zu juristischen Themen, das sie hier offenlegen möchte, um der Leserin und dem Leser diesen persönlichen "Bias" nicht vorzuenthalten]


Und ich rede jetzt nicht zwingend davon, dass in keinem deutschen Gerichtssaal ein Richter ohne fließendes Deutsch mit seinem Hammer gegen das Geraune des einfachen Volkes, dieses peinlichen Chores der Ottonormalverbraucher (der wir GEZ-Zahler selber sind) anhämmern muss. Nein. Dass ein Prädikatsexamen Deutschkenntnisse in  Wort und Schrift erfordert und die Saalordnung in aller Regel gewahrt IST, versteht sich von selbst, und soll daher auch hier nicht vertieft werden. ((Ohnehin ist mein Argument selten das versteckte Plädoyer für einen Hyperrealismus, wo sich die Streitgegenständliche Kunst daran hält, auch als „Drittes Reich“ anzutreten)) [Die Autorin hat in dem Interview, das wir mit ihr geführt haben, gesagt, dass sie in diesem Absatz darauf eingehen wollte, dass vieles in der Serie nicht der Realität entspricht. Zum Beispiel gibt es einen Richter, der nicht fließend deutsch spricht. So etwas würde in einem Gerichtssaal eher nicht vorkommen. Das findet die Autorin aber kein Problem, weil sie allgemein mag, wenn die Kunst die Realität frei erfinden kann, anstatt sie nur abzubilden. Zweiteres nennt die Autorin "Hyperrealismus"und deutet über den Bezug zu dem deutschen Dichter Friedrich Schiller eine kunsttheoretische Überlegung an, dass Kunst und Staat in Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen eventuell nicht genug voneinander getrennt sind. Die Kunst also in dem Dienst der Politik steht. Hier wollte die Autorin schon das Thema anreißen, wovon der Artikel weiter handeln soll. Das lautet zusammengefasst: Die ARD-Serie Legal Affairs benutzt künstlerische Mittel, um bei den Zuschauerinnen und Zuschauern einen naiven Begriff von Gerechtigkeit hervorzurufen, und somit indirekt "Werbung" für den Staat und die Justiz zu machen.]


Dann hämmert von mir aus munter drauflos. Wenn es der Spannungsfindung dient. 


Oder die Besetzung. Cool, wenn zwei gutaussehende deutsche Kartoffeln die Wahrheitshelden spielen und die einzige migrantische Person ein defätistischer Problembär ist (viel zu rational. Egoistisch. Rückgratlos). Ich bin selber eine Kartoffel, why should i bother. [Hier wollte die Autorin in einem ironischen Gestus die Besetzung der Serie als nicht divers genug kritisieren. Dabei möchte sie ihre eigenen Privilegien als Weiße Autorin offenlegen und besonders betonen, dass es nicht genügt migrantisch gelesenen Personen wichtige Nebenrollen zu geben, wenn hierdurch selbst wiederum problematische Rollenbilder zementiert werden. Judith Butler nennt diesen Vorgang in zeichentheoretischem Vokabular "Resignifikation"]


Auch finde ich es vertretbar, Diese Metoo-Geschichte als große Peripetie zu Nießbrauchen. Das ist ja (tatsächlich, mal ohne Ironie) gar nicht so abwegig, dass man den Wissensvorsprung, der Macht und Dominanz ist, EINFACH NICHT MEHR WILL, weil er patriarchal kontaminiert ist (hier gelingt der Serie übrigens eine der wenigen wirklich spannenden Metaphern auf unsere Zeit). Klar ist das mit Pathos überfrachtet. Aber es ist eine spannende Wendung. [Dieser Abschnitt soll in gewohnt kurzer prägnanter Sprache auf die, wie die Autorin im Gespräch sagt, "offene Wunde in der Dramaturgie", also das große Problem in der Art, wie Handlung und Figuren gestaltet sind, eingegangen werden. Mit "Metoo-Geschichte" meint die Autorin die Handlungssequenzen der Serie, die von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und Machtmissbrauch handeln, ein Thema, das der Autorin aus eigener Vita wichtig ist, wie anhand der Großbuchstaben, deutlich gemacht werden soll. Was mit "Wunde" gemeint ist, wird auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht ganz klar. Jedenfalls kritisiert die Autorin die Figur der Staatssekretärin. Sie sei "nicht glaubwürdig", wenn sie erst vor Gericht ihre Meinung ändern würde. Dies sei "keine echte Kehrtwende" sondern nur "Ablasshandel". Jedenfalls "manifestiere sich darin ein Klischee einer post-feministischen Macht-Mätressenschaft, die erst feministischen Esprit entwickele, wenn sich die Schlinge um den Hals....]


Und ästhetisch. Easy. Fokussiert die Wippe im Hintergrund anstatt die Protagonisten, die sich da vorne unterhalten. Ändern wir unsere Sehgewohnheiten. Und werden wir bessere Menschen. Schiller-TV. 


Mein Unmut entzündet sich nicht an den Holzschnitt-Charakteren, oder den Dialogen, die eher den Charakter von Gebrauchsanweisungen haben. Wie oben dargelegt auch nicht an Besetzung, Bezug zu aktuellen Diskursen, Kameraführung oder mangelhaftem Einblick in strafprozessuale Abläufe. Alles geschenkt. 


Es geht mir eher um den Tenor, dass Organe der Rechtspflege (denn nichts anderes sind Anwält*innen) vor allem dann sexy und erfolgreich seien, wenn sie tricksen, hacken, bedrohen und ihre Rechtseinschätzung bar jeder Selbstkritik dem Mandanten* als Fußfessel anlegen. Als wäre die Anwaltstätigkeit ein Sport, zu dem Doping und ein linearer Leistungsbegriff einfach dazugehört.


Nur dass ich nicht falsch verstanden werde: ich schwinge hier nicht die Naturalismus-Keule. Klar. Erzählt was ihr wollt. Die Gedanken sind frei.


Aber dieses scheiß öffentlich-rechtliche Fernsehen macht es sich gerade zur Aufgabe einen didaktischen Totalabriss über drängende Rechtsannekdoten zu liefern (Deep Fake-APR; #metoo-Beweislast, Satire-offener Kunstbegriff; Neue Rechte-Meinungsfreiheit, Parteiverbote; etc. pp.) Die Serie ist einzureihen in ein Programm, dass für die Rechtsprechung begeistern will. Für ihr befriedendes Potential werben (über die Schierach-Produktionen, die aus der exakt selben  Ecke kommen, habe ich ja schon an anderer Stelle trefflich abgekotzt). Ein Potential, dass diese unstreitig besitzt. 


Nur eben zu anderen Konditionen. Zu solchen eines GEREGELTEN Verfahrens. Einer OFFENEN Grundrechtsabwägung. Einer SCHWEIGENDEN Öffentlichkeit im Gerichtssaal. Einer LEGALEN Verteidigungsstrategie. Einer TRENNUNG  zwischen Dritter und vierter Gewalt. 


Das ist das skandalöse und nervige an der Serie: sie führt eine Wahrheit der Sexyness ein. Welche absolut zu sein scheint. Und siedelt diese in der Welt der Rechtsfindung an, wo mit gutem Grund ein intersubjektiver, prozessualer Wahrheitsbegriff gepflegt wird.


Als Plädoyer für ein Gemeinwesen macht sie so (in einer ohnehin heiklen Zeit) den Bock zum Gärtner.


TRIGGERWARNUNG: Diese Serie könnte Sie rechthaberisch und reaktionär machen. Sie ersetzt NICHT die Lektüre von Jhering und Benjamin! 

Kommentare

Anonym hat gesagt…
On Vernon Subutex oder: Ein Plädoyer für vulnerable Körper
Wie machen sie es eigentlich alle mit vögeln, während der Pandemie?
Ich finde diese Frage steht im Raum, während man über Lüftungssysteme in Schulen und Angehörige an Sterbebetten und körpernahe Dienstleistungen (was das auch immer sein mag) schon erschöpfend diskutiert hat.
(Witzig, nur bei der Impfpflicht hüllen sich alle in beredtes Schweigen. Dieser Umstand passt aber super in diesen Artikel, wovon der handelt kann man ja in der Überschrift lesen. Bin ja hier nicht Euer Papagei…)
Die Frage bohrt. Wie bumsen Singles unter der Regentschaft von Karl Lauterbach dem Großen?
Wenn ich jetzt ein weißer alter Mann wäre, würde ich freilich schlüpfrige Anekdoten erzählen, die alle im Raum etwas beschämt zurücklassen (ist das Internet überhaupt ein Raum? Judith Butler sagt YES ). Aber ich bin nicht alt (oder ist man mit dreißig schon alt? Mit Pimmel schon Mann? Gute Frage). Und außerdem erzähle ich nicht gerne Anekdoten, in denen ich vorkomme (bin wohl doch kein Mann. Bin wohl ein Brecht-Jünger. Ein Epigone in einer Zeit des omnipräsenten Narzisstischen Offenbarungsmonologs).

Nur erstens habe ich rein gar nix zu erzählen und zweitens braucht diese abfuckte Zeit wirklich keine Anekdoten. Keine Kasuistik. Keine Kategorien. Keine Nabelschau oder ein Stäbchen in der Nase.

Diese Zeit braucht eine Utopie. Oder gleich mehrere. Virgine D. hat so eine solche am Start. Oder mehrere.

Mit einer Koeppenschen Simultantechnik spinnt sie Handlungsstränge ineinander. Bohèmes in Paris, allesamt. Irgendwann kennt man ein Panorama an Individualisten (m/w/d) und versteht, wie schwer es zwangsläufig ist, als ein solcher in der Stadt zu überleben (finanziell, psychisch, physisch, weltanschaulich). Brennpunkt dieses abgefuckt-glamourösen Erzählkosmos ist der verstorbene Pop-Sänger Alex Bleach, der dem Erzähler einen esoterischen Schwurbel-Nachlass per Videotape hinterlassen hat, um den schon die Geier kreisen. Alle Sekundär-Parasiten, die die Körper der Kreativen mit ihrem Durst nach Rampenbelichtung erst der Zersetzung aussetzten.

Aber Frau Despentes (ein Pseudonym, der auf eine Kindheit im Ghetto alludiert) packt diese ganzen Sonderlinge (oder sind sie fucking allgemein?), nicht mit Samthandschuhen an. Eine Art zeitgenössische Caspar Neher, die das Licht der Lightbulbs urbaner Coffeshops scheut. Und sich in die Eck-Borzen verzieht zum Schreiben:
Anonym hat gesagt…
Der Rechte kommt schlecht weg, ob seiner Verbitterung, die sich neben seiner Xenophobie vor allem in seiner verkrampften Monogamie entzündet
Die loyale Lesbe, die dem Protagonisten aus der Patsche hilft, ist eigentlich nur auf Kohle aus, wirkt aber in ihrer Lebensführung aufrechter als so manche*r aus der gehobenen Mittelschicht.
Der Postmigrantische (was meine ich denn bitte mit diesem Wort?) Uniprof ist nicht etwa stolz auf seine kulturelle Errungenschaft, sonden entwickelt eine Paranoia gegenüber seiner Tochter, die er allein aufgezogen hat und die (trotzdem – oder gerade deshalb?) streng gläubige Muslima wird.
Dabei, so lese ich das zumindest, fehlt jede, wirklich jede Überhebung seitens des Erzählers/ der Erzählerin. Es ist dies ein zynischer Humanismus, der in der Traditionslinie Balzack – Céline – Houellebeqc (Übrigens die erste Feministin in dieser Männerriege. Ist doch auch schon mal was, oder?) steht, meiner Meinung nach. Und der (kleiner Serviervorschlag) so verdammt gut tut in einer Zeit, in der die Awareness allen schon die Kehle zugeschnürt hat, die noch nicht auf dem Schafott gelandet sind.

Der Text bricht erst als Aicha, die Tochter des og. Profs eine kuriose Reise nach Madrid unternimmt. im Gepäck ihre Begleiterin, die einiges zu erzählen weiß von der doppelbödigen Emanzipation, die Frauen in der Pornoindustrie der 90er versuchten, von einem omnipräsenten Mail Gaze, von den Jugendsünden von Aichas vorverstorbener Mutter, und dabei mindestens genausoviel zu lernen scheint von der jungen Radikalen mit den strikten Gebetszeiten. Hier sehen sich zwei Protagonistinnen eines Post- bzw. Anti-Materialismus jeweils mit neuen Augen. Ein feinfühliger Vorgang, mithin ein Plädoyer das Andere zu umarmen, anstatt es abzugrenzen. Ein bisschen De-Maquillage in einer Welt mit zu viel Make-Up.

Aber dieser Crack (durch den, wie Jonny Cash sagt, das Licht eindringen kann), steht meiner Meinung nach für ein Grundverständnis, gegen cleane Oberflächen. Gegen fertige Lebensentwürfe. Gegen wohlfeile Argumente (nicht schwer wäre es nachzuweisen, dass auch Céline gegen eine falsche Hygiene angeschrieben hat, von Houellebecq ganz zu schweigen, Balsack habe ich nie gelesen…) Der Protagonist, der sich nach dem Rauswurf aus seiner Wohnung durch die Betten von Paris schnorrt und/oder vögelt, verkörpert ein Dandytum (Rocker?) des vulnerablen Körpers. Er ist, wie eine Freundin erkennt, gut gealtet. Und dennoch promiskuitiv, welch Skandalon!

Er sieht den Zerfall um ihn herum, in ihm ebenso, scheint ihn aber zu umarmen, tapfer auf der Suche nach der Libido in Zeiten der Cholera.

Für alle Heinies, die meinten, man solle die häusliche Quarantäne nutzen um DIE PEST zu lesen, hier eine ernsthafte Alternative. Zieht es euch rein. Geht runter wie Koks. Bitter im Nachgeschmack aber ungeheuer belebend.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

Ich bin draußen wie Corona-Spaziergänge

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