UNFCCC, COPs und Scheitern von Kyoto
Einleitung
Ein beliebter Topos aus Einleitungen zu Artikeln über den Klimaschutz ist, dass die Erkenntnisse bezüglich einer gefährlichen, vom Menschen verursachten Störung des Klimasystems schon lange vorliegen bzw. sich abzeichnen. Und tatsächlich warnte der Schwede Svante Arrhenius bereits 1896 davor, dass Kohlendioxidemissionen zu einer globalen Erderwärmung führen können. Erst nahezu einhundert Jahre später jedoch, im November 1988, wurde ein zwischenstaatlicher Ausschuß über Klimaänderungen unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) einberufen.
Der Befund ist in der Tat alarmierend. Im Vergleich zum Weltklima vor der Industrialisierung hat sich die Erde bereits um mehr als 1° Celsius erwärmt. Auf der Nordhemisphäre war die 30-Jahresperiode von 1983 bis 2012 die wärmste zumindest der letzten 1.400 Jahre. Jedes der drei vergangenen Jahrzehnte war wärmer als alle vorhergehenden seit dem Jahr 1850. Nach Berechnungen der NASA war 2017 weltweit das wärmste Jahr nach 2016 überhaupt seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Meeresspiegelanstieg im Zeitraum von 1901 bis 2010 betrug 19 ± 2 cm. Der grönländische Eisschild und der antarktische Eisschild haben in den beiden letzten Jahrzehnten Masse verloren. Ansteigende Weltmeere bedrohen die Existenz ganzer Staaten, während an anderer Stelle Dürreperioden und extreme Wetterlagen drohen. Bemühungen, die für die Erwärmung mitverantwortliche Emission von Treibhausgasen zu begrenzen jeodoch, sind unter anderem durch die weitere Zunahme der Erdbevölkerung und die fortschreitende Industrialisierung auch von Entwicklungs- und Schwellenländern wenig erfolgreich geblieben.
Diesbezüglich offenbart sich zunächst ein Spannungsfeld aus dem Bedürfnis die Wirtschaft nicht über Gebühr zu hemmen und dennoch eine Reduktion der Schadstoffe zu erwirken. Mitunter ergibt sich auch eine Diskrepanz zwischen Behauptung von Veränderung und deren Umsetzung. Allgemein ist der Konflikt zuletzt ein solcher zwischen den Generationen der heutigen Entscheidungsträger und der dahingehend Leidtragenden. Dies wird daran ersichtilich, dass das BVerfG im Hinblick auf Letztere ein intertemporales Freiheitsrecht geschaffen hat, oder daran, dass sich Interessenverbände, die für einen schnellen Kurswechsel mit zunehmend spektakulären Aktionen agitieren, alarmistische Namen geben, wie z.B. Letze Generation.
Ich möchte mit vorliegenden Aufsatz (1) den Verlauf der umweltvölkerrechtlichen Vertragswerke zum Klimaschutz bis zum Jahr 2015 grob skizzieren und (2) dabei auch auf die strukturellen Schwierigkeiten eingehen. Schließlich soll (3) dargelegt werden, warum das Kyoto-Protokoll im Endeffekt als gescheitert bezeichnet werden kann.
(1) Vertragswerke zum Klimaschutz vor 2015
Die erste und zweite Phase des Umweltvölkerrechts, dessen Anfänge bis ins 18. Jhdt. zurückreichen, beschäftigte sich zuvorderst mit punktuellem Artenschutz und verlieh im Rahmen des völkerrechtlichen Nachbarschutz dem Prinzip der souveränen Staatengleichheit seine Geltung, wobei der Schutz der Lebensgrundlagen bzw. des Klimas allenfalls ein Rechtsreflex war. Im Vordergrund stand die Regelung staatlicher Abgrenzung und Koexistenz. Erst mit einem sich herausbildenden Bewusstsein der “Globalität” der Problemstellung und der Wahrnehmung, Teil einer umfassenden “Risikogesellschaft” zu sein, wurden Lösungsansätze abseits bilateraler oder arten-zentrierter Regelwerke gesucht. 1972 kam es – einberufen von den Vereinten Nationen – zur ersten globalen Umweltkonferenz in Stockholm, aus welcher die Stockholmer Erklärung hervorging. Schon in dieser Phase war die Frontstellung von Industrieländern und Entwicklungsländern ein die Diskussion prägendes Element. Letztere sahen sich mit fallenden Rohstoffpreisen, einer steigenden Staatsverschuldung und breiter Armut ihrer schnell wachsenden Bevölkerung konfrontiert und wollten ihre wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten daher keinesfalls begrenzt wissen. Formal bindende oder gar einzelnen Staaten quantifizierte Ziele diktierende Vorschriften erhält die Erklärung nicht. Allerdings diente sie – wie es im Völkerrecht für sogenanntes soft law häufig der Fall ist – als Anstoß für eine nächste Phase des Klimaschutzdiskurses, von Schmidt bezeichnet als Phase der kooperativen Bewirtschaftung.
Mit ihrer Entschließung Nr. 45/212 berief die UN-Vollversammlung am 21. 12. 1990 ein „Intergovernmental Negotiating Committee for a Convention on Climate Change” (INC) ein, das beauftragt wurde, die Verhandlungen über ein internationales Klimaschutzregime bis zur Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro abzuschließen. Tatsächlich gelang es den Teilnehmern aus 150 Ländern nach überaus zähen Verhandlungen, innerhalb des vergleichsweise kurzen Zeitraumes von 15 Monaten ein umfassendes Vertragswerk auszuhandeln. Die so entstandene und 1994 inkraft getretene Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) bildet das Fundament des internationalen Klimaschutzregiemes. Heute sind nahezualle Staaten der Welt an diesen Vertrag gebunden. Die Unterzeichner verpflichten sich gem. Art. 2 darin, „die Stabilisierung der Treibhausgas- konzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird”. Somit wurde der menschengemachte Klimawandel und seine Gefahren für die Spezies erstmalig verbindlich anerkannt, was einen Meilenstein darstellte, wenngleich die Ziele noch nicht quantifiziert und somit konkretisierungbedürftig waren. Ein Vorgang freilich, der weitere 23 Jahre dauern sollte. Der Art. 3 statuiert dabei handlungsleitende Prinzipien: Der erste Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten bedient den schon oben angesprochenen zeitlichen Vorsprung der Industrienationen, was die Verschmutzung anlangt. Zusätzlich haben diese einen technologischen und finanziellen Vorsprung, der sie beim Gegensteuern handlungsfähiger sein lässt. Wenngleich also die Verantwortung für den Schutz des Klimas von allen Staaten anerkannt wird, liegt die Führungsrolle bezüglich Gegenmaßnahmen bei den Industrienationen (sog. Anlage I Staaten). Sodann darf gemäß dem Vorsorgegrundsatz eine verbleibende wissenschaftliche Ungewissheit bezüglich der Ursachen des und bezüglich der Wirksamkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht zu einer Flucht aus der Verantwortung führen. Angeknüpft wird daher regelungstechnisch an das bloße Besorgnispotential. Die Leitlinie nachhaltiger Entwicklung (sustainable development) schließlich entwickelt die ethische Dimension des Klimaschutzes, auch im Hinblick auf die oben erwähnte intergenerationelle Gerechtigkeit. Es wird jedoch auch betont, dass klimaschutzpolitische Maßnahmen den speziellen Verhältnissen der Parteien angepaßt und in die nationalen Entwicklungsprogramme eingebunden sein sollen. Vor allem wird im Zusammenhang mit diesem Programmpunkt jedoch die Einsicht kodifiziert, dass wirksamer Klimaschutz nicht unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung der jeweiligen Staaten betrachtet werden kann. Demgemäß ergibt sich ein dreigliedriger Pflichtenkatalog mit verschiedenem Adressatenkreis: Während alle Unterzeichner gehalten sind, Treibhausgase zu reduzieren und diesbezügliche nationale Programme zu erarbeiten, dahingehende Berichte zu veröffentlichen, eine “Inventur” der Emissionen vorzunehmen, zu kooperieren und zu forschen, müssen ausschließlich die Anlage I Staaten Maßnahmen zur Emissionsminderung und -Speicherung in sogenannten Senken ergreifen, und ihrer Informationspflicht nachkommen. Allerdings ist auch diese Verpflichtung nicht quantifiziert. Auf der dritten Stufe müssen die Anlage II Staaten den Entwicklungsländern Hilfestellungen in Form von Finanz- und Technologietransfer leisten.
Schließlich mit am bedeutendsten im Vertragswerk ist jedoch die Komponente der Institutionalisierung des internationalen Klimaregiemes in Form der Konferenzen der Vertragsstaaten (COPs). Diese Treffen finden einmal jährlich statt und haben sich zum Kristallationspunkt der Klimadiplomatie entwickelt. Auch NGOs können daran teilnehmen. Durch die zyklische Anlage der Termine hat sich eine eigene Dynamik herausgebildet. Zudem ist die Einrichtung des Sekretariats zu erwähnen, welches eine naturwissenschaftliche Basis für Klimaverhandlungen schaffen soll und die obligatorischen Treibhausgasemissionsberichte zusammenstellt und veröffentlicht. Die darauffolgenden beiden COPs verliefen jedoch ohne nennenswerte Resultate.
Auf der dritten Vertragsstaatenkonferenz wurden 1997 mit dem Kyoto-Protokoll sodann erstmals rechtsverbindliche Begrenzungs- und Reduzierungsverpflichtungen für die Industrieländer festgelegt. So haben sich 39 der insgesamt rund 190 weltweit am Protokoll teilnehmenden Staaten verpflichtet, den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis zum Jahr 2012 um fünf Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Die von der Europäischen Union gemeinsam für ihre Mitgliedsstaaten zugesagte Reduzierung beträgt acht Prozent (hiervon 21 Prozent in Deutschland). 2012 wurde das Kyoto-Protokoll für den Zeitraum von 2013 bis 2020 um eine zweite Periode verlängert.
Hier von Interesse sollen jedoch zuvorderst die sog. Kyoto-Mechanismen insbesondere der Clean Development Mechanism (CDM) sein. Denn das Protokoll “stellt die Mechanismen der Marktwirtschaft gegen anthropogene Treibhausgasemissionen in Dienst, indem es projektbasierte Emissionsminderungen zu handelbaren Produkten erklärt”. Diese fänden, laut Bühler und Crone, dankbaren Absatz nicht nur bei Staaten mit verbindlichen Reduktionszielen, sondern auch bei “Unternehmen mit grünem Anstrich und Konsumenten mit schlechtem Gewissen”. Die hier skizzierte kritische Perspektive auf eine dem Ablasshandel ähnelnde Konstellation mit begrenztem Nutzen für das Klima, wird besser nachvollziehbar, wenn die Wirkweise des Mechanismus erörtert wird: Entwicklungsländer kooperieren mit Industriestaaten, indem Immisionsreduktionsmengen übertragen werden, welche bei Projekten in Nicht-Anlage-I-Staaten entstanden sind. Die Anrechnung der Emissionsminderung auf die Verpflichtung des Industrielands erfolgt dabei durch Übertragung von Gutschriften, die vom Executive Board des UNFCCC für das Minderungsprojekt ausgestellt werden. Die durch ein Projekt erzielte Reduktion wird durch Vergleich mit der sogenannten Baseline bestimmt, d.h. als Differenz gegenüber der Situation ohne Projekt. Das hypothetische Szenario wird vom Projektierer selbst ermittelt, bedarf aber der Genehmigung durch das Executive Board.
(2) Schwächen des Mechanismus
Durch den Mechanismus wurden allerdings Anreize zum Missbrauch geschaffen. Denn Nicht-Annex-I-Staaten unterliegen selbst keinen Reduktionsverpflichtungen nach dem Protokoll und haben insofern keinen Grund, die tatsächliche Reduktionsleistung möglichst genau zu überprüfen. Besonders dreiste Akteure produzierten zusätzliche Mengen des hoch klimaschädlichen Gases HFC-23, dessen Treibhauspotential rund 11.700 mal höher ist als jenes von CO2, und ließen sich eine anschließende Verringerung als Einstellung des Betriebs kreditieren. Doch auch in weniger rechtsmissbräuchlichen Konstellation verursachte die Frage nach der additionality komplizierte Abgrenzungsschwierigkeiten. Mithin ist die Verifizierung und Überwachung von Emissionsminderungsprojekten ein neuralgischer Punkt des CDM. Insgesamt, so eine von der EU- Kommission in Auftrag gegebene Studie, dürften ca. 85% der unter dem CDM zertifizierten Projekte eher keine Emissionsreduktion bewirkt haben. Ein weiterer Kritikpunkt: Ein Großteil der Projekte wurde in Ländern durchgeführt, die auf den Technologietransfer – der eigentlich ein Hauptziel des Mechanismus darstellte – in weit geringerem Maße angewiesen waren, als die avisierten Staaten. Als die EU auf den Missstand reagierte, indem sie die Handelbarkeit der Zertifikate im Rahmen des separaten Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) sperrte, kollabierte der Preis der Zertifikate, was den CDM praktisch bedeutungslos werden ließ.
Auch die in Art. 1 Nr. 9 KRK angelegte und in der Anlage A des Kyoto-Protokolls aufgegriffene Möglichkeit der Emmisionsreduzierung über sog. Senken (Waldbestände, oder im Ozean das Phytoplankton) war problematisch. Denn diese Biomasse bindet das CO2 nur vorübergehend, anstatt es dauerhaft zu beseitigen. So wurden im Zuge des Nettoansatzes (Art. 3 III Kyoto-Protokoll) Nutzungsänderungen honoriert, die im Falle von Waldbränden – welche überdies zunehmend wahrscheinlicher werden – oder von Baumsterben zu einem großformatigen Freiwerden von CO2 führen können. Der Klimawandel wäre in diesem Szenario, so fasste es der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin, lediglich aufgeschoben.
(3) Scheitern
Als eines der umfassendsten und strengsten Systeme zur Einhaltung eines multilateralen Umweltabkommens in der Menschheitsgeschichte gab es für Außenstehende mit dem Kyoto-Protokoll durchaus begründete Hoffnung auf einen anstehenden Kurswechsel der Weltgemeinschaft. Diese wurde jedoch letztlich vorerst enttäuscht. So entschieden sich die USA als einer der größten Emittenten von Treibhausgasen weltweit, die Vereinbarung nicht zu ratifizieren. Auch Kanada zog sich zurück, als sich abzeichnete, dass es die Verpflichtungen zur Reduktion im ersten Zeitraum nicht erfüllen würde. Wichtige Industriestaaten stimmten der Folgeverpflichtung (für den Zeitraum 2013 bis 2020) nicht zu. Hirezu gehörten Japan, Kanada, die USA und die Türkei. Auch verzögerte sich die Ratifizierung des Folgeabkommens bis zum Ablauf des zweiten Verpflichtungszeitraums. Die Emissionen stiegen weiter weltweit ungebremst an – insbesondere auch in Schwellenländern wie China und Indien.
Die Frage nach den Ursachen für das Scheitern wird mitunter mit dem Fehlen einer Basistheorie beantwortet, welche für die internationale Kooperation bei der Problemlösung streitet. Auch ein Mangel an innerstaatlichen Fundamenten, damit Politiker teure Zusagen machen können, sowie Korruption bzw. die Zementierung wirtschaftlicher Hierarchien trotz Globalisierung, oder letztlich der Rückzug der USA aus der Führungsrolle werden ins Feld geführt.
Neben diesen Widrigkeiten im setting, wird jedoch mit Blick auf die Regelungstechnik die Frage virulent, ob nicht gerade eben die strengen Zielvorgaben im Kyoto-Protokoll die Regierungen der Staaten abgeschreckt haben, indem diese sich in ihrer Souveränität bedroht sahen. Gestützt werden kann diese These im Hinblick auf die von Buck ausgeführte Wirkungsweise von Sekundärrecht ohne die inhärente Notwendigkeit ratifiziert und somit demokratisch legitimiert zu werden, welche Flexibilität schafft. Andere Autoren sehen daher das nationale Ordnungsrecht herausgefordert, verfolgen also einen bottom-up-Ansatz. Wieder andere sehen erst in der Reduktion der Regelungsdichte auf internationaler Ebene genau den Letzteren befördert.
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