Katharina Blum / Historismus / Kanon

 Also erstmal vorausgeschickt: Im Bezug auf dieses Stück Literatur überlagert sich bei mir einiges, weshalb eine einigermaßen objektive Beschäftigung mit der Inszenierung mir -- mehr noch als ohnehin schon immer -- zusätzlich schwer fallen wird, da hilft auch kein Zynismus, der hilft eigentlich eh nie...


Die Blum war damals mit 15 (erster Urlaub ohne Eltern in Vias Plage) so etwas wie das obligatorische gelbe Werther-Reclam einem jeden 17jährigen ist. Ein Freund. Eine Bibel. Eine art Organ, das man nicht rausschneiden darf, ohne dass es zu Funktionseinbußen kommt. Ein bisschen Identität in Zeiten der Cholera.


Weshalb ich in dem besagten Urlaub auch angefangen habe, den Text als ein Theaterstück umzuschreiben (ich glaube ungefähr fünf Bilder weit bin ich gekommen), ein sehr affirmatives "Umtopfen", fast so als gäbe es das, eine Übersetzung, bei der nichts verloren geht, durchdrungen von der blinden Liebe für dieses -- zugegeben -- literarisch ziemlich arme aber ideologisch so ungeheuer starke Stück Nachkriegsgeschichte (insofern nicht unähnlich der Inszenierung von Philipp Arnold).


Sodann gibt es die Anekdote, dass mein Opa Reich-Ranicki auf einer Bildungsreise getroffen hat und ihm um die Ohren gehauen, wie er kraft seines Amtes als Lietraturpapst, diesem misslungenen Werk seine Absolution erteilen konnte, quasi der Kniefall vor dem Prinzip form follows function, in einer Zeit, wo es heiß her ging -- und wenn mein Opa gegen den Genossen Böll geschossen hat, dann muss dem zwangsläufig eine tiefe Kränkung vorausgegangen sein, sonst lässt man das Zeug ja einfach liegen, anstatt in immer neuen Schleifen, getragen vom Aufwind des gerechten Zorns, die in Form gegossene LÜGE, bzw. dieses MISSVERSTÄNDNIS zu umkreisen... 


Zuletzt natürlich der Umstand, dass mein,  feministisches Erweckungserlebnis iR meines Literaturwissenschaftsstudiums (wie ich es (marketingtechnisch abgebrüht, wie ich nunmal bin) selbst nenne) auf einer genderkritischen Relektüre von Ansichten eines Clowns beruht hat. Dass sich also gerade anhand Bölls wohlmeinender Prosa (#Gewissendernation) zu der ich viel zu sehr Fanboyy vibes hatte, als dass ich sie sinnvoll hätte analysieren können, 

    Eben genau aus dieser toxischen Kombi

         meine ART ZU LESEN, bzw. das, was ich als LESEN DEFINIERE so grundlegend verändert hat. 

(Natürlich ist der Mitverdienst der Jelinek an diesem Turningpoint absolut offensichtlich, und ihn zu unterschlagen wäre barbarisch.... danke dafür, Antonia Egel! Danke auch an Stefan Hermes als dekoloniales Erweckungserlebnis)


Aber trotz allem (und auch den drei Wiesnmaß im Kopf zum Trotze) beschleicht mich das Gefühl, dass mit der Entscheidung mit diesem Stück die Spielzeit zu eröffnen GANZ GEWALTIG ETWAS FAUL ist.


Also von diesen historisierenden Kostümen mal ganz abgesehen




entsteht für mich die bohrende Frage: WARUM MACHT IHR DIESES STÜCK UND WARUM GERADE JETZT?

Jetzt weiß ich nicht genau, ob sich diese Frage nicht von vornherein schon verbietet, ob sie mehr noch ein alter Dramaturg*innen-Fetisch ist und auf der redundanten schillerverseuchten Annahme beruht, Theater müsse RELEVANT bzw. TAGESAKTUELL sein... Vielleicht möchte Otto Normal ja auch einfach nochmal in schönen Seventies-Look gekleidet sehen, was damals bei seinem Abi Sternchenthema war (schließlich fällt der Tatort heute wegen Brennpunkt aus und der neue Schirach ist auch schon weggesnackt... warum also nicht mal wieder SCHÖN INS THEATER ??) Zumal es dort ja auch die inzwischen obligatorische Videobespielung gibt und schöne Musikeinlagen, und Drehbühne, die das alles so ein bisschen peppig-kunstig daherkommen lassen... Gönnen wir es Otto, dass er eine 1 zu 1 Übersetzung genießen will, ein bisschen TEXT ALS BILD, ein kommensurables Event, bei dem wieder ein bisschen coole RAF-Bleibtreu-Vibes aufkommen.* 

Gut, aber gönnen wir es auch dem verbildeten Master-Dramaturgen, der jetzt eine Ausbildung zur Krankenschwester anfängt, um endlich mal was Relevantes für die Gesellschaft zu tun, verübeln, dass er zwischen Spätschicht und der 5. Zigarette in Crocs ein bisschen abhatet über die Kunstschaffenden dieser öffentlich stark subventionierten Bildungseinrichtungen?

Gönnen wir es ihm, dass er zu bedenken gibt, dass der Mord an Lübke oder die Selbsttötung von der österreichischen Ärztin nicht so einfach (monokausal) auf der Vermarktung von Hass durch einzelne unmoralische Menschen zu erklären ist. Leider ist das Problem weit komplexer. DER GANZE SCHWARM ist heute ein Hurensohn, dem man nicht mehr entkommt, wie im Panoptikum haben die Regierten sich das Feuer schön selber in den Dachstuhl gelegt (der mal ein kühl denkender Kopf war)...

Und dann noch kurz zum Thema Feminismus on stage: Schon klar ist die Katharina eine ganz tugendhafte reine unschuldige Magd (wie übrigens auch die Marie vom Schnier), die sich gegen patriarchales Dauerfeuer mit leicht roten Wangen wacker wehrt... Aber bin nur ich in dem Argwohn gefangen, dass sie im Text (und die Inszenierung steht dem leider in gar nichts nach...) ebenso wie die Ureinwohner in CONRADS Herz der Finsternis einfach KEIN GESICHT VERLIEHEN BEKOMMT...? Dass sie einfach nur literarische Verfügungsmasse ist, ein hübsches Vehikel für ein bisschen linke feel-good-Propaganda? Oder bin ich da zu hellhörig? 

Wahrscheinlich bin ich das.

Ich hatte übrigens damals im Abi eine Themaverfehlung, weil ich das öffentliche Interesse an einer emotionalisierten Darstellung Blums in Zeiten von barbarischen Politikermorden argumentativ versucht habe stark zu machen, dies im Rückgriff auf Erwägungen von Thomas Hobbes und Immanuel Kant (von dem ich damals wie heute nur die goldene Regel kenne...)

Das war natürlich noch weit vor meinem Erweckungserlebnis...





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*Ihr hättet ein Stück über die verlorene Ehre der Kasia Lenhardt machen können...


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