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 Ich lese ja nur selten und dann ungern

 

Aber ich glaube mich zu erinnern, dass mich ein Marxist mal dazu gebracht hat J. Butler zu lesen, die etwas über Versammlungen geschrieben hat, und dass dann Körper politisch werden und die Frage aufkam, wie das mit einer Online-Versammlung ist und ich baff war, dass jene einer vor-Ort, will heißen einer Fleisch-und-Blut-Versammlung gleichgestellt werden könne.

 

Witzig, weil ich an die Hannah Arendt- Ausstellung denken musste, daran wie gefährdet diese schwarzen Körper waren, die einfach mit Polizeischutz zur Schule sind, an deren Deutung sie sich verschluckt und dafür später entschuldigt hat, während ein Konzept des „körperlosen“ Aktivismus ja gerade von Arendt ausformuliert wird, und dann merke ich, dass ich schon wieder zu assoziativ denke, und dass all dies ja nirgendwo hinführt.

 

Und ich wische die Erinnerung weg, wie ich mal von einem linken Mob unter Drohungen daran gehindert wurde, bei einem Hanau-Marsch mitzulaufen, nur weil ich davor Höcke aus der Nähe betrachten wollte, als queer schießender Claqueur, und dann aber gelabelt wurde, von den jungen zarten HfG-Gemütern, die der Ästhetisierung von Politik hemmungslos verfallen sind mit ihrer zuckersüßen Instagram-Wut. Weil auch das nirgends hinführt.

 

Ich wende mich lieber Dingen zu, die Chiffren sind für das von mir Unverstandene aus dem Bereich unseres Zusammenlebens. Weil den großen Wunsch sich ungefährdet zu überheben, unangreifbar im Recht zu sein (Facebook-Hate), den kenne ich (ich habe ihn ironisch gekostet und ernsthaft genossen, inzwischen bin ich clean und dankbar dafür) ebenso wie das berauschende Ritual der Exklusion (im Gymnasium habe ich ausgeteilt, im Master eingesteckt, so läuft das, what goes around comes back around). Ich fleddere lieber Kunst auseinander, die ich gesehen habe, und die mich nicht aufhört zu beschäftigen, indem ich beschreibe, was bedeutet, wie einen Truthahn in Scheiben zu zerlegen, zu öffnen, Neugierde für das Innere zu entwickeln, das Rezept weiterzukochen, anstatt Labels zu verteilen, mit Worten festzuzurren, Wertungen loszuwerden, Hierarchien zu zementieren. Sonst wäre ich zum Feuilleton gegangen. Bin ich aber nicht. 

 

Also hänge ich in Chiffren rum. Wie ich bei dieser einen Performance im Vorraum des Pathos stand und eine Piktogrammtabelle studieren musste. Die Einlassdame war meine Freundin S., die Mühe hatte, die Rolle zu wahren, in der sie streng und abweisend zu mir sein musste (ich assoziiere den KitKat-Club in Berlin, wo es in der Schlange wirklich UM ETWAS GEHT), weil wir allein in dem Raum waren und sich dann ernsthaft die Frage aufdrängt warum jetzt spielen?!?. Wie man dann drinnen seine Jacke nicht nur abgeben musste, sondern diese vakuumiert und an einen Fleischerhaken gehängt wurde, als wäre sie ein abgeworfener Identitätspanzer, als solcher eine Metapher für das feindselige von sozialen Codes durchgetaktete Leben „da draußen“. Dazu passend gab es die Möglichkeit, sich eine neue, gegebenenfalls queere Frisur zu machen. Jetzt für immer. Als solches eine Inversion des Haarerlasses der Bundeswehr (auf den Bezug genommen wurde). Getaucht in schummriges Rot war diese Frisierstube mit all ihrer sexuellen Spannkraft nicht zuletzt als eine subtile Aufforderung lesbar, doch BITTE ENDLICH SEIN LEBEN ZU ÄNDERN, mit allem was dazugehört. Dies verortet gleich neben der Bar, deren utopisches und zugleich sedatives Potential ich sicher niemandem erklären muss. 

 

Und wem gehört der Dancefloor? Verdammt spannende Frage. Hier, und das ist der Punkt, an dem dieses extrem durchdachte Raumkonzept, meines Erachtens nach, etwas hakt, weil die Teilung der Räume eben noch fortwirkt. Ich unterstelle natürlich gerade, dass eine Aufhebung der Trennung intendiert war, und zugleich, dass eine solche Aufhebung immanent politisch ist, aber vergebt mir – ich bin nur ein bescheidener Rezipient, ein einfacher Arbeiter im Ameisenbau des Diskurses, der sein Glück versucht. Dann aber auch die Frage, wie das überhaupt gehen soll, mit Tänzern einen Raum zu bespielen, in dem sich Zuschauende gleichzeitig frei bewegen können, oder sogar selbst veranlasst sind, sich zur Musik zu bewegen. Womöglich gar in Resonanz mit den inszenierten Körpern. („Wenn Beschleunigung unser Problem ist, ist Resonanz die Lösung“). Es wäre aber, so ist mein Gefühl, so verdammt lohnenswert, weil dieses Übergreifen von Energien, dieses nicht-geskriptete Umschlagen einer Betrachterrolle in die eines Schöpfers an den Grundkonditionen unseres sozialen Miteinanders rührt. Wer darf wo rein? Wer darf wann reden? Welche Körper werden betrauert, begehrt, inszeniert? Wie funktioniert Fürsorge? Wie können wir uns herausfordern? Ist Selbstfürsorge tatsächlich politische Kriegsführung, wie Bojana Kunst behauptet?

 

Szenenwechsel. Falsch. Szenenwechsel hieße an einen anderen festen Ort zu gehen, der etwas bedeutet. Wir müssen uns in viele verschiedene Orte teilen. Fluid werden. Denn das digitale Theater bricht mit der Grundkonvention der Gattung, dass man sich um 20 Uhr versammelt haben muss, sonst gehen die Türen zu und der Vorhang ohne dich auf. Wer Assoziationen zur antiken Agora hat, ist gehalten sich zu zügeln und sich vor Augen zu führen, dass in den meisten Publikumsgesprächen die immerselben weißen alten Männer ihre deplatzierten Bildungstiraden auszuteilen suchen, während es an Beschreibungen und der Bereitschaft, das Gesehene weiterzudenken, mangelt. // „Schreibt unseren Charakteren! Sie antworten auch“ // In der Pandemie gab es viele peinlich Versuche, dem Medium seine Würde zu bewahren, obwohl die Praxis des Sich-Versammelns allgemein geächtet war. So neigten sich die eitlen Gesichter in Richtung Linse, schnitten all ihre Bewegungen auf das Fürstenauge zu, größtenteils gekrümmte Körper, geduckt vor einer alles umwölbenden Diktatur der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie. Vielerorts, so schien es mir, war das jedoch nur eine geschwätzige Bankrotterklärung, die keiner so richtig genoss, weder Produzent noch Rezipient. Wo wohl der Stachel im Fleische war? Ich habe eine bescheidene Vermutung. Es ist die leugnende Ignoranz gegenüber dem Raum. Die fehlende Bereitschaft diesen als Grund-Agens in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben zu begreifen, demgegenüber unsere Blicke, unser Schweigen, unser nervöses Lachen, Verharren, Wollen nur operantes Verhalten ist. Jemand Klügeres als ich hat einmal gesagt, man solle Raum nicht als Container betrachten, sondern als vielfach verflochtenes System an Bedeutungen. Und so bedeutet es etwas, sich nicht im Park sondern auf Ebay-Kleinanzeigen zu treffen (love in a hopeless place). Noch so eine Chiffre. Es erscheint anhand dieser Theaterproduktion (zumindest in der Fiktion) möglich dem Raum („Internet“) wieder seine utopische Dimension (unbegrenzter Reichweite und ungezügelter Nähe) zurückzugeben, die eine unsere Zeit kennzeichnende „Eskalationstendenz“ ihm ausgetrieben hat. Quasi die Rettung eines Marktplatzes, wo man jüngst nicht mehr stehenbleibt und schwätzt, sondern sich nur noch gegenseitig ins Gesicht schlägt und weiterrennt. Vielleicht ist das der Treibstoff für die unheimliche Sympathie, die dieser Truppe entgegenschlägt: Nämlich deren Optimismus bezüglich der Veränderbarkeit der Grundkonditionen des Raumes in einer Periode der Verhärtung. Zu wünschen wäre es. 

 

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