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URTEILEN
Eine Textfläche (Theatertext) nach einem Besuch im Justizzentrum Frankfurt mit der Dramaturgieklasse des Karel Vanhaesenbrouk
Nebentext: Wir brauchen jemanden auf der Bühne, der eine Banane schält. In Hawaiihemd, vielleicht Machete, wenn möglich
Und wir brauchen jemand, der es nicht schafft, sich die Robe überzustülpen. Im Hintergrund blecherne Aufnahmen aus dem kaukasischen Kreidekreis. Dies Szene, in der Azdak inthronisiert wird.
Haupttext: Eine seltsame Aufmerksamkeit. Nicht wie in einer Gemeinderatsitzung, wo jeder mit seinem Anliegen an das Gespräch kommt, davor den Raum mit seiner Stimme bevölkert, wie Orchestermusiker, bevor ich der Vorhang öffnet: Sicherlich warten dann alle auf ein Zeichen, davor ist dieser Raum jedoch bereits ihr ZuHause. Nicht hier im Gerichtssaal. Es ist eine Spannung in der Luft, wie wenn man auf einen Promi wartet. Auf die Aura des Afrikaners mit der Machete. So wurde uns das angekündigt. So hat das auch gestimmt. Wir kriegen, was wir verdienen. Brot und Spiele. Aber es war nur ein Baseballschläger, und den hatte der Angeklagte nicht einmal selbst in der Hand. Und natürlich möchte er in dem laufenden Verfahren gegen sich, nicht seine Brüder belasten. Muss er auch nichtNemo se tenetur in ipse. Das gefällt der Bunten Menge nicht. Die Schüler haben extra etwas von ihrer am-Kiosk-sich-tummeln-Zeit geopfert für dieses blütrünstige Familiendrama. So hat es geheißen. Aber für ein gutes Drama, so haben wir gelernt, brauch es einen Spannungsbogen. Eine Maus mit geradem Rücken. Und am Schluss müssen wir herausgehen und etwas gelernt haben. Predesse et delctare. Aber werde Brot essen, noch spiele spielen kann man hier. Das Popkorn fehlt und die aufgebrachte Prostituerte, die den Richter Alexander Hold dreist belügt, weil sie eine Gefallene ist und GEFALLENE MACHEN DAS NUN EINMAL. Wir erwarten dass ein Mann kommt und sie wieder richtet, also, über sie richtet, nicht hinrichtet, das wäre zu viel. Aber hier sitzt auf einmal diese verkrüppelte Frau, wie der Afrikaner sie genant hat. Spielt es eigentlich eine Rolle, dass es ein Afrikaner war? Jedenfalls spielt der Afrikaner seine Rolle hier nicht. Er tritt ja nicht einmal auf. Wir haben umsonst gewartet. Das wird einsaftiges Bußgeld geben. Kinder das wird was geben, da werden die Straßen von dem Stadtteil mit Blut getränkt.
Es erstaunt uns Zuhörende, dass die Schulbildung des Angeklagten so eine maßgebliche Rolle in der Interrogation spielt, wir werten das als Klassenjustiz. Wir ziehen nicht in Betracht, dass das Prinzip der Resozialisierung dahinter stehen könnte. Wir sind wütend auf diese Weißen Männer, und dass sie die Schwarzen aburteilen. Wir vermuten, dass hier vor allem Privilegien zementiert werden sollen. Wir würden gerne selbst auf der Richterbank sitzen und unser Ermessen walten lassen. Wir würden verschiedene Maße erfinden. Wir würden Kategorien abschaffen, weil mit ihnen die Gewalt gegenüber dem einzelnen schon beginnt. Wir würden wie Salomo mit scharfem Verstand Gut von Böse scheiden und dabei nicht wie der der Richter aus dem Kaukasischen Kreidekreis in Verruf geraten. Dieser Stuhl würde uns nie zu heiß werden, weil wir brennen. Wir brennen auf Gerechtigkeit und meinen damit nur, dass es andere sein sollen, die Austeilen. Endlich mal die anderen. Immer die anderen, das wäre Gerechtigkeit. Das Gegenteil von jetzt.
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