Seifenoper in drei Aufzügen

Überschrift: Im Namen des Parthenon

Unterüberschrift: Die Dokumenta 14 in Kassel. (K)Ein Verriss

Zitat: "Man sieht ganz viel, dass man nur verstehen muss, um es zu verstehen."

Zum Beispiel ist ein Vorhang aus Schädeln nicht ein dekadentes Muskelspiel (des Künstlers und somit Sinnlichmachung der neoliberalen Made-im-Speck:Dispositiv:Kunstmarkt) wie wir es von Damien Hirst kennen, er ist kein Kater am Morgen nach der Feier, der die fleischlichen Freuden huldigt, wie eine bekannte Performance von Carolee Schneemann, er lässt kein Türchen offen, dafür, dass in uns etwas kippt und unser Blick, der Begegnung mit der vom Kunstobjekt erzählten Welt ist, in seiner Limitiertheit uns selbst vor Augen tritt.

Der Vorhang ist der pure moralische Appell. Unser Blick wird von dem vor uns hängenden Objekt nicht gekippt, im Gegenteil, er wird auf einer nahtlos funktionierende Achse an die Beschreibungskarte an der Wand daneben verwiesen. Eine automatische Rufumleitung. Bei Anruf Erklärung, hier werden sie geholfen. Unerschütterliche Achse des Guten.

Bemerkenswert, wie diese Beschreibungskarten dort hängen: einmal in der Mitte gefaltete und  gelochte DIN A4-Blätter an Prototypischen Wandhaken. Nicht wie sonst häufig bedruckte Wände von denen sich die Rahmung der Kunstwerke in einer Tiefschwarzen Autorität erheben, sondern ephemere Gestelle. Für Diebstahl oder schelmische Vertauschung anfällig. Fast frech die Suggestion, dieser Gruselvorhang, der eins zu eins für das "neoliberale Gespenst" steht oder den Imperialismus wäre zur Not auch selbsterklärend. Denn im Gegenteil: direkt neben dem Vorhang aus Schädeln ist die Erklärung nochmal zum Kunstgegenstand erhoben: Der Gesetzestext über die Regelung der Rentierhaltung, der den Sami auferlegt wurde, liegt dort -angeblich in vollem Umfang- zweisprachig in der Vitrine ausgestellt. Mit eigenem Namen versehen liegt er dort nicht als Material sondern als Kunstwerk. Als überkomplexes weil sprachlich (Juristenjargon) sich verschließendes Readymade der exzessiven Unterkomplexität äußerster Geschlossenheit für den interpretatorischen Zugang durch einen Ausstellungsbesucher.

Ich werde nicht fragen, ob es unter den Sami üblich ist, mit Einzelstichen schöne Abbildungen auf Stoffbanner zu nähen, oder ob die Künstlerin hier in eine Primitivismus-Falle tappt. Es ist auch nicht sehr erheblich, dass viele Zuschauer verzückt vor den Passagen stehen, die Massaker an den nomadischen Gruppen abbilden. Zur Freiheit der Kunst gehört auch die Freiheit zur Reduktion oder die Freiheit eine Form zu wählen, die dem Zuschauer eine Inferenz abverlangt. Wenn dieser sie nicht leisten will, muss das nicht zwangsläufig die Schuld des Werkes sein. Aber die Seife, die einfach nur der Kapitalismus/Kunstmarkt IST, die ihn mitnichten transformiert, ausstellt, schwächt, verhöhnt, kommentiert, lenkt die Rezipienzhaltung auf eine schülerhafte Reclam-Lektüreschlüssel-Blick aus dem heraus das Indigogewand sich mit den Eisennuggets sich mit den Videoprojektionen auf dem Ausstellungsbanner des Ethnographischen Museums zu Berlin mit den 4 Heckler und Koch-Maschinenegewehren, die auf die Performern zielen zu einem doch zu berechenbaren Kritikhammer fusioniert. Institutionalisierte Kritik in Hochauflösung.

[Dieser reduktionistische Artikel hat aus Gründen der Lesbarkeit sehr interessante Beiträge der Dokumenta wie z.B. die Masken, die Hochzeit mit den Elementen, das Woyzeck-Video, die Gestenuntersuchung von Prinz Golem uvm. einfach ausgeschlossen. Angaben wie immer ohne Gewähr]

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