Pauke/Trompete. die schlechte theaterkolumne
Klamauk in grellweis-orange
Oliver Reese inszeniert am Schauspiel Frankfurt Kleists Krug und zerbricht ihn über einem Richter Adam, der zwischen Stromberg und Mario Bart oszilliert
von Janik Hauser
Mit einem Vorwort von ANONYM:
Also
das ist unverschämt, Herr Reese. Wie ich mir vorstelle, dass Sie die Darstellerin aus Mainz? Düsseldorf? Linz? behandelt haben. [...] [Inhalt von der Reaktion gekürzt. Vorgestern wars noch da. So wie Snapchat...] Manchmal wünschte ich,
Leute wie Sie hätten einfach einen Knopf im Ohr, über den man ein
wenig Anstand per App in homöopathischen Dosis einstreuen könnte in
diesen WirdPassendGemachGestus
Der
Chauvinismus dieser erzählten Welt, das schafft Herr Reese gemeinsam
mit den DarstellerInnen zu zeichnen, ist ein gleichermaßen subtiler
wie gewalttätiger. Die Gerichtssekretärin muss sich auf der
schmalen Spielfläche (Bühne XY) an den Herren vorbeischieben,
weshalb sie ihren ungeheuer eng ansitzenden Rock ein Stück hebt und
mit der stoischen Grausamkeit einer Begehrten an den Herren als ein
postfeministischen Krebsgang vorbeistolziert. Sie antizipiert so
spielerisch diejenige Lektion, die Eve (Evchen) von der
grausam-pedantischen Justiz über die 90 Minuten Verhandlung
gewaltsam eingenötigt bekommt: Der Blick der Männer ergreift Besitz
und kann nicht anders abgestreift werden, als über den Vorgang, des
sich-abtasten-lassens. Denn deshalb muss der gute Ruprecht
(grandios-rollennah und mimisch aktiv: Lukas XY) ins Gefängnis: Weil
er dem korrupten Richter Adam ein Widersacher, zwangsläufig verliert
gegen die phallisch-deutsche Sache, die nur durch den Krieg ganz
vollendet werden kann (Wir erinnern uns: der Krug ist bei Kleist
Chiffre für einen irreversiblen Schaden, den die
Partikularinteressen an dem deutschen Volkskörper anrichten). Subtil
auch deshalb, weil der Supervisor, wenn ich mich hier recht erinnere,
sich zu der Entscheidung zur Wahrheit erst durchringen kann, nachdem
die Schönheit und Verzweiflung der Eve ihn zu sehr rührt.
Gar
nicht subtil ist die Weise, wie das Team um Reese die Komik des
kleistschen Textes erarbeitet (Lukas Rüppel, Du bist hier ausdrücklich
auszunehmen). Erzwungene Pointen und ungemein anbiedernde
Stimmvariationen brechen sich vor Allem um die Richterfigur Adam
(XY), der hierdurch unglaublich harmlos wirkt. Ebenso wie bei dem
fettnapferprobten Büroleiter Stromberg aus der gleichnamigen
Fernsehserie legen Reese/Mayer die Rolle auf einen drollig-unbeholfenen
Hedonismus an, der dem obrigkeitskritischen Linken aus den Reihen
2-25 in seiner Brechstangenreduktion wohl gefallen mag. Aber trifft
er die destruktive Verschlagenheit eines Amtsträgers, der die Liebe
einer Vierzehnjährigen ausnutzt beziehungsweise die Gegebenheit des
Krieges mit einer 75 prozentigen Chance darin umzukommen in Bezug auf
Ruprecht? Kleists Namensgebung ruft die Vertreibung aus dem Paradies
auf, möglicherweise die Irresistibilität der weiblichen Reize in
der Übertragung. Aber er bezieht klar Stellung: Für Recht und
Ordnung. Reese sucht, so scheint es mir, mit seiner Inszenierung
ebenfalls eine ebenso klare Position. Sie könnte etwa lauten: exzessiver
Klamauk statt kluge Exegese.
So ist denn auch die Lichtregie einer konsequenten Dichtonomisierung anheimgestellt. Da ist einerseits die schmale Gerichtsbühne in einem trügerisch-warmen orangeton, der die Holztäfelung des Saales als deutschtümelndes Wohnzimmer entlarvt (Richter Adams Kleiderschrank ist treffenderweise eine Türe dieses Vielortes der (un-)Rechtssprechung). Dann vorne eine in weißes Licht getauchte Spielfläche, die in das Publikum hereinragt. Der Revisor Walter sitzt an hier beschriebenem Abend direkt zwei sitze neben mir. Macht mich zum Komplizen seiner laborhaft-messerschaft sezierenden Wahrheitssuche nach Protokoll. Macht mich zum Richter über die stumme, primär gestische Unterdrückung der Frau vor Gericht durch das Gericht, aufgrund des Gerichtes. Dieses Hellweiß wirkt so ungeheuer wahrheitsstiftend gegen diese Scheinwelt der Raucherpausen (à la Mad Men) und der (WENN AUCH NUR TEMPORÄR; NICHT WAHR; HERR R.?!) kurzhaarigen Mimikry-Sekretärinnen. Und da es nicht so ist, dass die Darstellerin ihre [...] [von der Reaktion gekürzt] sie mit in Ihrem Boot nach Berlin sitzt, dass Sie die lungensüchtige Aushilfe-Kunstreiterin in der Manege meinen Dampfhammern entgegentreiben, die gerne Hände wären, da das alles nicht so ist, da alles so grellhell erleuchtet ist, weine ich ohne es zu merken.
Abb1: Hedonismus |
Abb2: Der unbelehrbare |
Abb3: Angriff ist die beste Verteidigung |
Eine gesellschaftsbezogene Deutung wird Adam als Verkörperung eines korrupten Justizwesens sehen, in dem Privates und Öffentliches vermischt werden. Andererseits ist er natürlich auch eine Figur in der Tradition der alten – sozusagen vorliterarischen – Vitalkomik, deren Vertreter sich durch triebgesteuerte Unmäßigkeit in Bezug auf Essen und Trinken, man muss eigentlich sagen durch „Fressen“ und „Saufen“, und ihren unersättlichen Sexualtrieb hervortaten. Als lüsterner Alter stellt Adam also einen alten Komödientypus dar, der durch sein Verhalten mehr oder weniger gegen gesellschaftliche Normen verstößt. Es handelt sich hier aber nicht um den Rückfall in eine vorliterarische Form der Komödie, denn Kleist ist es gelungen, diese alte Art der Komik in eine „regelmäßige“, literarische Form zu integrieren.
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