#LOHN ISCH DA (Podcast über Arbeitslosigkeit)



Geräusch der Warteschleife

Jingle

Tag 54

Soundscape Hinterhof -- jemand übt Klavier

Ich warte. Auf den DHL-Mann. 

Mein neues Mountainbike ist kaputt. So kaputt, dass Canyon es zurücknehmen muss.

Da ich aber zu ungeschickt bin um es selber zu demontieren, habe ich das bei einem Kumpel gemacht, wo es jetzt lagert. Und dort sitze ich schon seit 8h morgens im Innenhof. Mit knurrendem Magen und leicht verkatert, weil ich gestern mal auf einem ausnahmsweise guten Date war.

Ich glaube den Nachbar:innen ist das alles schon etwas unheimlich. Ich bin wie ein Wegelagerer mit Riesenkarton. Ich muss an Spongebob denken, der in einer Fernsehverpackung den Spaß des Jahrhunderts hat, während ich hier sitze und an meinem eigenen Konsumverhalten verzweifle. Und an unserer Versandtgesellschaft -- bleiben wir fair, die hat auch ihren Beitrag an meiner Misere.

Jedenfalls ist da diese Ruhe in dem Hinterhof. Ein bisschen Geschirr-geklappere, Stimmen aus dem Radio.  Ich komme in so eine Art Trance des Wartenden.

Auf einmal klingelt es. Und alles ist auf einmal anders.







Geräusch der Warteschleife

Jingle

Tag 52

Soundscape Metall auf Metall

Es ist Feiertag. Das freut vor allem Leute, die sonst auf Arbeit sein müssten. Und die bei der Gelegenheit draußen flanieren und ihre Kohle loswerden.

Für uns (ihr merkt schon: ich unterteile inzwischen in "die" und "wir") ist das vor allem ganz nice, weil mal keine verklausulierten Briefe von der ARGE hereinschneien (sonst gerne auch mal drei an einem Tag), und man sich dem widmen kann, was liegengeblieben ist.

Meine Jobvermittlerin Frau Marx (Name wahrscheinlich geändert -- warum sollte eine Jobvermittlerin so heißen?!) möchte einen Lebenslauf von mir. Und eine lückenlose Liste über alle meine Nebenjobs der letzten 5 Jahre (Marketingaushilfe, Lesesaalaufsicht, Tutor, Nachhilfelehrer) mit Eintritts- und Ausstiegsdatum. Puh!

Eine Menge Holz. Beim Drübernachdenken kommt mir, dass das Jobben immer ein bisschen Ausgleich war zu der Studiumstätigkeit. Es war bezahlt. Es war praktisch. Draußen in der "echten Welt". Und abgegrenzt, während die Option doch noch etwas zu lernen eigentlich immer im Hinterkopf geschlummert hat (bis man sie in Bier ertränken konnte). 

Jetzt, da ich wirklich Zeit habe, ist das nicht mehr so fame mit dem Jobben. 15 Std. die Woche darf ein Arbeitsloser hasseln. Wenn wir drüber kommen, verlieren wir den Status und sitzen ganz auf dem Trockenen. Also kein wirklicher Ausgleich. Zumal das Sich-Bewerben (Stepstone durchforsten, unzählige Personalbögen ausfüllen, Anschreiben zusammenbasteln, Lebenslauf fälschen) für mein Empfinden so ziemlich die ermüdenste Tätigkeit ist, die man sich vorstellen kann. Man wünscht sich sehnlich etwas sehnigeres -- Etwas, das die Muskeln in Spannung bringt. Vielleicht sollte ich auch einfach viel mehr Sport machen... Jetzt wäre ja "die Zeit".

Also ab an den See!

Den Papierkrieg kann ich auch noch heute Abend führen...

Cheerio !

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Geräusch der Warteschleife

Jingle

Tag 50

Soundscape Regen / Donner

Wenn ich wirklich so arm wäre. Wie mein Sachbearbeiter denkt. 

Wäre ich schon längst verhungert.

Wenn ich wirklich so fleißig wäre. Wie in meinem Lebenslauf steht

Würden wir nicht hier sitzen.

Wäre das ein Date.

Alle meine Freunde würden mir raten, aufzugeben.

Weiterzuziehen.

Aber da dies irgendwo zwischen Fiktion und Realität spielt.

Sich immer noch irgendeine Gelegenheit auftut

wie bei Oliver Twist

lebe ich noch

Und es geht erst so richtig los


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Geräusch der Warteschleife

Jingle

Tag 43

Soundscape Isarwahnkiosk

Dass man die verschiedensten Dinge mit Hingabe machen kann, vergisst man manchmal. Dann braucht es Gurus, die einem die Perspektive zurechtrücken. Einem das vortanzen, dass man dann selbst erst nur imitiert, in der Hoffnung die Bewegung möge sich bald mit Leben füllen. Ich nenne sie meine Rick Rubine des Alltags. Kleine schimmernde Rohdiamanten. 

Beim Kiosk habe ich so einen kennengelernt. Ich nenne ihn mal Max. Weil das zu ihm passt.  

Wenn er den Kiosk zuschließt, dann verliert er nie die Ruhe. Auch wenn die Stammtischgäste immer dichter werden und immer absurdere Post-letzte-Runde Ideen haben. (Noch eine große Weißweinschorle mit nur einem SCHUSS Aperol und exakt einem Eiswürfel bitte). Er zählt die Kasse, wischt den Boden, Verrammelt den ganzen Laden mit komplizierten Eisenstangen-Systemen von denen gefühlt jedes klemmt und seine eigenen Tücken mitbringt. Ein Escapegame für das Proletariat, wenn man so will. Nur ohne Escape.

[...]

Ich bin ja eher so Team Ratio

Sinn von Arbeit




Geräusch der Warteschleife

Jingle

Tag 43

Soundscape Restaurant

Meine gute Freundin Selina und ich stehen beim Italiener im Westend und warten auf die Pizza, die wir uns teilen wollen. Wir scherzen über 20.000 € Investitionsstau hinsichtlich privat-wirtschaftlicher Annehmlichkeiten. Autos. Segelurlaube. Die Stimmung ist ausgelassen.

Die Pizza zu kaufen ist etwas unnötig, weil ich meine Tagesration eigentlich schon hatte. Kichererbsensalat mit Tomaten, Apfel, Karotte Thunfisch, Zitrone. Bei Aldi ca. 3,50 €. Aber mit der geschnorrten Kippe und dem Flaschenbier zum EKP kommt ein Hüngerchen. Und mit der zweiten Halben die Scheißdraufmoral zurück. Wir kriegen Lust, einen Grappa zu trinken. Also bestellen wir. 

Nach einer kleinen Weile kommt die Pizza und die Rechnung. Und ein kleiner Schock. Eine Mikroagression des Universums, wenn man so will. Ein Grappa kostet nämlich 6,90€. Reflexhaft drehe ich mich zur Bar, aber zu spät. Der joviale Gastwirt schenkt schon in bauchige Gläser, als gälte es ein Geschäftsessen unter Applewatchträgern.

Es ist dies ein winziger Moment von fieberhaftem Kontrollverlust. Wie die Zehntelsekunde, in der man  sein Handy verloren zu haben glaubt. In der man die Bierflasche umgestoßen hat. Denn irgendwie ist es ja so: Es gibt da diese Entropie der Vermögensverfügungen: Wenn man nicht aktiv dagegenhält, die Karte von rechts her liest, oder mit den Freund:innen ein kompliziertes Auseinanderklamüsern der Rechnung anstößt, dann gibt man eben Geld aus. Das Geld verausgabt sich gleichsam selbst. 

ENDE 

Aber vielleicht fange ich von vorne an

Ich bin Janik, erfreut. 32 Jahre und immernoch nicht erwachsen. Ich habe gerne Germanistik studiert, nachdem es mit der Schauspielschule nicht geklappt hat. Dann im Master Dramaturgie und noch ein erstes Juraexamen obendrauf, weil warum nicht?! Gönnung muss sein. Sprich ich lebe seit rund 12 Jahren von 1000€ -- die von meinen Eltern kommen --  und manchmal Minijobs. Meine Miete kostet im Schnitt 600, Versicherung 170, SPD-Mitgliedschaft 4,50, Alditalk 7,99... Ich könnte noch ewig so weitermachen. Aber irgendwann langweilt das Bedürftigkeitsballet. Jedenfalls hat es mir immer irgendwie gereicht. Gut gereicht sogar. Ich gehe gerne was trinken, manchmal auch ein bisschen über den Durst und habe niemals Hunger leiden müssen. Dafür kaufe ich mir niemals Klamotten, auch nicht Second Hand und habe so gut wie keine technischen Geräte oder fancy Möbel zu Hause. Tja. Und ich bin arbeitslos, mit allem, was dazugehört.

Und WAS GENAU da dazugehört, das möchte ich über die nächsten bescheidenen Folgen ein bisschen genauer ergründen. Es mich und andere fragen. Wenn es mir gelingt, wird das ganze eher Poesie als Politik oder Entertainment. 

Wenn es mir nicht gelingt, wird es ein selbstmitleidiger Kommentar auf "das System" oder eine zynische "Abrechnung" mit den Behörden. In dem Fall bitte ich um Entschuldigung. Es ist grade ganz schön Dampf am Kessel. Könnt Ihr Euch eh vorstellen.

Konzentrieren wir uns also zunächst auf das Positive. Kurz überlegen... Ja. Zum Beispiel heute morgen. Ich bin in die Riedlerstraße 75 gefahren, um Widerspruch gegen meinen Ablehnungsbescheid einzulegen, der mir vergangene Woche ins Haus geflattert ist. Zur Niederschrift in der Geschäftsstelle, wie es heißt. Keine Schlange, offene Türen. Der Sicherheitsmann tut ein bisschen so, als hätte ich gerade eine Privataudienz bei Taylor Swift. Aber im Endeffekt lässt er mich ans Infodesk. Die Frau die dort steht, ist lockig und nett. Sie erfasst sofort mein Anliegen und bietet mir ein Druckerpapier an, damit ich meinen Rechtsbehelf nicht auf einem herausgerissenen karierten Fresszettel einlegen muss. Als ich abgebe, bemüht sie sich noch darum, mir eine Empfangsbestätigung auszustellen, denn "Alles schon vorgekommen... Bei manchen Widersprüchen hieß es schon, sie seien verloren gegangen. Und dann ist die Frist natürlich um... Schön blöd." Ja. Schön blöd. Und ganz schön lieb, namenlose Türhüterin, dass Du versuchst, hier meine Interessen zu wahren. Ich wette, es kommen genug überspannte, teils freche Freunde hier an und suchen in Dir ein Ventil für die empfundene oder tatsächliche Ungerechtigkeit... Und überhaupt: den ganzen Tag in diesem eher kargen Büro. Mit vermutlich viel Leerlauf. Ich überlege kurz, wie viel man mir bieten müsste, um diesen Job zu machen...

Apropos Jobs. Alle meine Freunde und Verwandten reagieren in etwa so auf meine unerwartete Zwangspause:


"Mach doch was Soziales. Und zieh nach Berlin, oder so..."

"Sei froh. Am Schluss ist es Dein letzter freier Sommer..."

"Hui. Ich wünschte, ich wäre an Deiner Stelle!"

"Kannst Du nicht ein Praktikum in einer Kanzlei machen -- zur Überbrückung?"

[...]


Dass das alles sehr hoch gegriffen ist. Und im Endeffekt nichts so heiß gegessen wird, wie gekocht, das muss ich euch nicht erzählen. Aber ohnehin. Ich muss los... Probearbeiten beim Kiosk! Wir sehen uns.


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